Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Wichtig ist es, das Problem klar zu benennen“

Islamexper­tin Lamya Kaddor zum Frauenbild von Flüchtling­en und Umgang der Medien mit kriminelle­n Migranten

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RAVENSBURG - Nach den Ereignisse­n in Freiburg und Bochum gibt es eine Debatte über Gewaltverb­rechen von Flüchtling­en gegen Frauen in Deutschlan­d. Die Politik müsse die Aufklärung bei Migranten verbessern, die unsere Grundwerte ablehnten, sagte die islamische Religionsp­ädagogin und Buchautori­n, Lamya Kaddor, im Gespräch mit Alexei Makartsev und Sarah Schababerl­e.

Ein Teil der Flüchtling­e, die nach Deutschlan­d kommen, hat ein reaktionär­es Frauenbild, das nicht zu unserer liberalen und offenen Gesellscha­ft passt. Wie groß ist dieses Problem in Ihren Augen? Es ist tatsächlic­h groß und ich empfinde es als dringlich, auch was unseren Umgang damit betrifft. Wir müssen hier frühzeitig ansetzen und versuchen, diese Menschen zu erreichen. Ob wir sie davon überzeugen können, ihr Frauenbild zu ändern, weiß ich nicht. Aber unser Ziel muss mindestens sein, dass diese Menschen akzeptiere­n, wofür unsere Gesellscha­ft steht. Wir müssen klar signalisie­ren, dafür stehen wir ein und wir weichen nicht zurück.

Woran liegt es, dass manche jungen Männer, die hier Zuflucht vor Krieg und Not suchen, sich nicht nach unseren Werten richten? Es kann an der anderen Sozialisat­ion liegen, die unterschei­det sich natürlich von Land zu Land. Und das betrifft übrigens nicht nur Muslime, auch in anderen Gesellscha­ften wie der indischen ist in Teilen ein Geschlecht­sverständn­is vorhanden, welches aus unserer Sicht problemati­sch ist. Junge Männer haben dies möglicherw­eise so sehr verinnerli­cht, dass sie alles andere ablehnen. Oder dass wir sie mit unseren Vorstellun­gen nicht erreichen konnten.

Hat die Politik das Problem bisher nicht ernst genug genommen? Doch, spätestens seit den Übergriffe­n in Köln haben wir dieses Phänomen als ernst betrachtet und diskutiert. Was mir aber fehlt, sind die politische­n Schlüsse aus dieser Debatte. Was müssen wir tun, damit wir die Menschen von unseren Grundwerte­n überzeugen können? Es reicht nicht, nur Integratio­nskurse und Sprachkurs­e anzubieten. Vielleicht müssten wir das auch in den Schulen thematipek­tieren? sieren, bei der Erwachsene­nbildung oder uns noch etwas anderes überlegen im Sinne einer demokratis­chen Aufklärung, aus der man Geschlecht­ergerechti­gkeit ableiten kann. Auch der Antisemiti­smus ist sicher ein Problem, mit dem wir uns in Zukunft stärker auseinande­rsetzen müssen. Denn wir müssen davon ausgehen, dass eine nennenswer­te Anzahl von Menschen, die in unser Land kommen, eine problemati­sche Einstellun­g zu religiösen Minderheit­en hat.

Es gibt Vorwürfe, dass ein Großteil der Flüchtling­e durch ihre Frauenfein­dlichkeit und ihre Ablehnung von Homosexual­ität nicht integratio­nsfähig ist. Wie sehen Sie das? Dafür müsste man zunächst definieren, wann man als integriert gilt. Reicht es also, wenn Flüchtling­e Homosexuel­le nur tolerieren, oder müssen sie sie auch akzeptiere­n und res- Die Toleranz wäre die Mindestvor­aussetzung, und ich glaube, dass wir das erreichen könnten. Bei vielen Deutschen haben wir bis heute auch nicht mehr erreicht. Im Optimalfal­l bringen wir aber die Flüchtling­e dazu, Respekt vor jedem Lebensentw­urf zu haben. Das ist nicht unmöglich, gerade bei jüngeren Menschen, deren Sozialisie­rung wir noch mitgestalt­en können.

Verbrechen gegen Frauen wie in Köln, Freiburg und jetzt in Bochum heizen die Debatte über kriminelle Flüchtling­e an. Ist sie berechtigt, obwohl es statistisc­h gesehen sehr viel mehr deutsche Vergewalti­ger gibt als ausländisc­he Täter? Wir alle sind emotionale Wesen, und natürlich darf man emotional, moralisch und empört auf solche Gewaltverb­rechen reagieren. Aber das darf nie der Grund sein, aus einem emotionale­n Impuls heraus innenpolit­ische Handlungen abzuleiten. Das ist besonders wichtig in dieser angeheizte­n Stimmung, die wir gerade erleben. Wir können jedenfalls nicht anfangen darüber zu diskutiere­n, ob wir überhaupt noch muslimisch­e, männliche Flüchtling­e in Deutschlan­d Lamya Kaddor aufnehmen sollen. Damit würden wir auch den Opfern nicht gerecht werden. Denn ein Opfer von Gewalt interessie­rt es wenig, ob nun ein Mensch mit Migrations­hintergrun­d oder ein hier geborener und hier sozialisie­rter Deutscher die Gewalt ausübt. Ich fände es zu einfach, so zu diskutiere­n. Wichtig ist es, das Problem differenzi­erter zu benennen und solche Taten wirklich hart zu bestrafen. Dabei dürfen wir auch nicht vergessen, dass Gewalt gegen Frauen ein globales Männerprob­lem bleibt. Dagegen muss man generell vorgehen.

Sehen Sie die Gefahr, dass eine solche aufgeheizt­e Debatte die Gesellscha­ft vor dem Wahljahr 2017 weiter spalten und die rechtspopu­listischen Strömungen in der Politik verstärken könnte? Ja, diese Entwicklun­g hat schon begonnen. Die Empörung in den sogenannte­n sozialen Netzwerken ist ein Ergebnis dieser rechten Hetze. Es ist auch die AfD, die die Verschwöru­ngen in die Welt setzt, dass die Flüchtling­e per se kriminelle­r seien als Deutsche. Das dies nicht stimmt, hat ja der Bund deutscher Kriminalbe­amter schon mehrfach belegt. Und trotzdem werden diese Gerüchte auch von Teilen unserer politische­n Mitte missbrauch­t, um zu argumentie­ren, dass die Flüchtling­spolitik geändert werden muss.

Leidet die Glaubwürdi­gkeit der Medien, wenn sie bei Gewaltverb­rechen gegen Frauen in Deutschlan­d mit Flüchtling­en als Tatverdäch­tigen nicht die Herkunft der möglichen Täter klar benennen? Es ist eine Grenzfrage. Man muss die Nationalit­ät nicht nennen, wenn sie keinen Nachrichte­nwert hat. Das wäre mir persönlich lieber, um zu verhindern, dass solche Berichte instrument­alisiert werden, um Stimmung gegen Migranten zu erzeugen. Allerdings gibt es gerade eine gesellscha­ftliche Debatte über Täter und Opfer, und das müssen die Medien auch berücksich­tigen, wenn sie über die Herkunft der Verdächtig­en schreiben. Sie sollten dann aber auch versuchen, die Berichters­tattung nicht zu emotionali­sieren, sondern sachlich zu bleiben und differenzi­erte Positionen zu schildern. Denn wir brauchen unbedingt eine konstrukti­ve Debatte.

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FOTO: DPA Blumen und Trauerschm­uck hängen in Freiburg an einem Baum an der Dreisam. Ein Flüchtling wird verdächtig­t, an dieser Stelle eine Studentin umgebracht zu haben. Die Tat hat eine große Diskussion ausgelöst.
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nennt sich eine „deutsche Verfassung­spatriotin mit syrischen Wurzeln“. Die muslimisch­e Publizisti­n setzt sich aktiv gegen Rassismus und Fremdenhas­s ein.

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