Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Eine Falschmeldung und ihre Folgen
US-Bürger stürmt Pizzeria auf der Suche nach einem Kinderporno-Ring
WASHINGTON - „Facts matter!“(„Fakten sind von Bedeutung!“), hat jemand auf weißes Papier geschrieben und das Blatt an eine Bambushecke vor dem Restaurant Comet Ping Pong geheftet. Es ist eine Art provisorischer Schrein, der da entstanden ist in dem Wohnviertel an der Connecticut Avenue, an einer lärmenden Straßenkreuzung im Nordwesten Washingtons. „Fakten sind von Bedeutung!“: Der Spruch hat einen Grund, denn es waren Fake News, erfundene Nachrichten, die das Comet zum Schauplatz eines Dramas werden ließen.
Zugetragen hat es sich am Sonntag, als ein junger Südstaatler, bewaffnet mit einem Sturmgewehr des Typs AR-15, ins Comet stürmte. Während die wenigen Gäste nach draußen flohen, machte sich der Eindringling auf die Suche nach einem Verlies. So steht es im Polizeiprotokoll, in dem Edgar Maddison Welch auch den Grund für seine Attacke nannte. Im Internet hatte er gelesen, das Comet diene einem Pädophilenring als getarnte Zentrale, in deren Keller man Kinder als Sexsklaven missbrauche. Worauf der 28-Jährige, zweifacher Vater, einst Feuerwehrmann, später erfolgloser Schauspieler, beschloss, die sechs Stunden im Auto von Salisbury nach Washington zu fahren, um die gequälten Kinder aus ihrer Not zu befreien. Auf seinem Streifzug durchs Comet schoss er auf das Schloss einer Tür, hinter der er den Zugang zu einem geheimen Gewölbe vermutete. Eine zweite Kugel traf einen Computer. Menschen kamen zum Glück nicht zu Schaden.
Sehr bizarr ist allein schon die Vorgeschichte. Es begann damit, dass James Alefantis, der Besitzer der Pizzeria, mit John Podesta korrespondierte, dem Wahlkampfmanager Hillary Clintons, der gern ins Comet kam. Nachdem Hacker Podestas E-Mails erbeutet hatten, machte Wikileaks den Fundus publik, was wiederum Alefantis zum Verhängnis wurde. Zu den Verschwörungstheorien der amerikanischen Wahlschlacht nämlich gehörte die irre Geschichte, nach der Hillary Clinton die Spinne im Netz eines Kindersexrings sein soll. Und Podesta ihr Handlanger. Und Alefantis der Bösewicht, der den Kerker bewachte. Im Keller des Comet.
Ende Oktober wurde das Gerücht mit einem Tweet in die Welt gesetzt. Wie ein Lauffeuer verbreitete es sich über soziale Medien, bis am Tag vor dem Präsidentschaftsvotum erstmals von „Pizzagate“die Rede war. Und auch als Welch sich von herbeigeeilten Polizisten abführen ließ, ohne ein Verlies gefunden zu haben, war die Sache noch nicht erledigt. Ein gewisser Michael Flynn Jr. schrieb noch Stunden nach der Festnahme bei Twitter: „Bis sich #Pizzagate als falsch herausstellt, bleibt es eine Geschichte.“Nun ist Flynn Jr. der Sohn eines Ex-Generals, den Donald Trump zu seinem Sicherheitsberater befördert hat. Obendrein saß Flynn Jr. im Übergangsteam des nächsten US-Präsidenten, ehe er am Dienstag dort seinen Stuhl räumen musste. Nach einem Bericht der „New York Times“rechnete sich Flynn Jr. Chancen aus, in den Stab des Weißen Hauses aufzurücken.