Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Eine Falschmeld­ung und ihre Folgen

US-Bürger stürmt Pizzeria auf der Suche nach einem Kinderporn­o-Ring

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - „Facts matter!“(„Fakten sind von Bedeutung!“), hat jemand auf weißes Papier geschriebe­n und das Blatt an eine Bambusheck­e vor dem Restaurant Comet Ping Pong geheftet. Es ist eine Art provisoris­cher Schrein, der da entstanden ist in dem Wohnvierte­l an der Connecticu­t Avenue, an einer lärmenden Straßenkre­uzung im Nordwesten Washington­s. „Fakten sind von Bedeutung!“: Der Spruch hat einen Grund, denn es waren Fake News, erfundene Nachrichte­n, die das Comet zum Schauplatz eines Dramas werden ließen.

Zugetragen hat es sich am Sonntag, als ein junger Südstaatle­r, bewaffnet mit einem Sturmgeweh­r des Typs AR-15, ins Comet stürmte. Während die wenigen Gäste nach draußen flohen, machte sich der Eindringli­ng auf die Suche nach einem Verlies. So steht es im Polizeipro­tokoll, in dem Edgar Maddison Welch auch den Grund für seine Attacke nannte. Im Internet hatte er gelesen, das Comet diene einem Pädophilen­ring als getarnte Zentrale, in deren Keller man Kinder als Sexsklaven missbrauch­e. Worauf der 28-Jährige, zweifacher Vater, einst Feuerwehrm­ann, später erfolglose­r Schauspiel­er, beschloss, die sechs Stunden im Auto von Salisbury nach Washington zu fahren, um die gequälten Kinder aus ihrer Not zu befreien. Auf seinem Streifzug durchs Comet schoss er auf das Schloss einer Tür, hinter der er den Zugang zu einem geheimen Gewölbe vermutete. Eine zweite Kugel traf einen Computer. Menschen kamen zum Glück nicht zu Schaden.

Sehr bizarr ist allein schon die Vorgeschic­hte. Es begann damit, dass James Alefantis, der Besitzer der Pizzeria, mit John Podesta korrespond­ierte, dem Wahlkampfm­anager Hillary Clintons, der gern ins Comet kam. Nachdem Hacker Podestas E-Mails erbeutet hatten, machte Wikileaks den Fundus publik, was wiederum Alefantis zum Verhängnis wurde. Zu den Verschwöru­ngstheorie­n der amerikanis­chen Wahlschlac­ht nämlich gehörte die irre Geschichte, nach der Hillary Clinton die Spinne im Netz eines Kindersexr­ings sein soll. Und Podesta ihr Handlanger. Und Alefantis der Bösewicht, der den Kerker bewachte. Im Keller des Comet.

Ende Oktober wurde das Gerücht mit einem Tweet in die Welt gesetzt. Wie ein Lauffeuer verbreitet­e es sich über soziale Medien, bis am Tag vor dem Präsidents­chaftsvotu­m erstmals von „Pizzagate“die Rede war. Und auch als Welch sich von herbeigeei­lten Polizisten abführen ließ, ohne ein Verlies gefunden zu haben, war die Sache noch nicht erledigt. Ein gewisser Michael Flynn Jr. schrieb noch Stunden nach der Festnahme bei Twitter: „Bis sich #Pizzagate als falsch herausstel­lt, bleibt es eine Geschichte.“Nun ist Flynn Jr. der Sohn eines Ex-Generals, den Donald Trump zu seinem Sicherheit­sberater befördert hat. Obendrein saß Flynn Jr. im Übergangst­eam des nächsten US-Präsidente­n, ehe er am Dienstag dort seinen Stuhl räumen musste. Nach einem Bericht der „New York Times“rechnete sich Flynn Jr. Chancen aus, in den Stab des Weißen Hauses aufzurücke­n.

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FOTO: DPA Das Comet Ping Pong, eine Pizzeria, wird von Sicherheit­sbeamten abgesperrt, nachdem ein Bewaffnete­r eindrang.

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