Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kooperation statt Konkurrenz
emeinsame Interessen, gemeinsame Herausforderungen und gemeinsame Werte: Auf den ersten Blick sind die Europäische Union und die Nato ideale Partner. Die praktische Zusammenarbeit zwischen beiden beschränkte sich bislang allerdings weitgehend auf Rhetorik. Bei einem Nato-Außenministertreffen wurde nun ein sieben Bereiche umfassendes Programm für mehr Zusammenarbeit beschlossen, das unter anderem auf mögliche Bedrohungen aus Richtung Russland eingeht. Die wichtigsten Punkte und ein Ausblick:
1. Abwehr hybrider Bedrohungen. Propaganda und Desinformationskampagnen, mysteriöse Anschlagserien oder Hackerattacken, die die Energieversorgung lahmlegen – bei Angriffen könnten Feinde künftig verstärkt auf eine Mischung aus konventionellen und unkonventionellen Methoden setzen. Um gegen solche Bedrohungen besser gewappnet zu sein, wollen sich Nato und EU intensiver austauschen und bei der Weiterentwicklung von Gegenmaßnahmen mit strategischer Kommunikation zusammenarbeiten.
2. Operative Zusammenarbeit. Zur Eindämmung des Migrantenzustroms über das Bürgerkriegsland Libyen wollen die EU und die Nato ihre Kräfte bündeln. Die Militärallianz stellt der wegen der Flüchtlingskrise gestarteten EU-Marineoperation „Sophia“bis auf weiteres Versorgungsund Aufklärungskapazitäten zur Verfügung. Die EU und die Nato wollen zudem prüfen, ob sie auch in anderen Bereichen des Mittelmeers zusammenarbeiten können – beispielsweise in der Ägäis, wo Besatzungen von Nato-Schiffen derzeit die Küsten beobachten und Aktivitäten von kriminellen Schleuserbanden an die türkischen Behörden melden. Dieser Einsatz wird bis auf Weiteres fortgesetzt. Die Türkei forderte zwar erneut ein baldiges Auslaufen der von Deutschland geführten Operation. Ein konkretes Enddatum nannte sie allerdings nicht.
3. Cybersicherheit. Experten von EU und Nato sollen künftig wesentlich intensiver Erfahrungen austauschen und bei der Ausbildung und Technologieforschung zusammenarbeiten.
4. Verteidigungsfähigkeit. Das „Jeder muss alles können“-Prinzip könnte künftig der Vergangenheit angehören. Wenn es um Fähigkeiten in Bereichen wie Lufttransport, Satellitenkommunikation oder Drohnen geht, wollen sich Nato und EU künftig ergänzen statt zu doppeln.
5. Verteidigungsindustrie und -forschung. Durch den aktuellen Mangel an Zusammenarbeit gehen nach Schätzungen der EU-Kommission derzeit jährlich allein in den EUStaaten zwischen 25 und 100 Milliarden Euro verloren. Mehr Dialog und engere Kooperation sollen Freiräume für neue Investitionen schaffen.
6. Übungen. Von 2017 an sollen Krisenbewältigungsübungen „parallel und koordiniert“trainiert werden. Bislang üben Nato und EU unabhängig voneinander. In Zukunft sollen zumindest die gewonnenen Erkenntnisse ausgetauscht werden.
7. Kapazitätsaufbau bei Verteidigung und Sicherheit. Sowohl die Nato als auch die EU unterstützen derzeit die Balkanstaaten sowie Länder wie Tunesien, Jordanien, Georgien und die Ukraine. Künftig könnte es eine bessere Abstimmung oder sogar Beteiligung geben. (dpa)