Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Siemens setzt auf digitales Wachstum
Konzern stellt bei Innovationstag in München seine Strategie auf diesem Gebiet vor
MÜNCHEN - Der Elektrokonzern Siemens will in den nächsten Jahren vor allem mit digitalen Diensten, Softwarelösungen und Cloud-Plattformen beschleunigt wachsen. Bei seinem Innovationstag in München kündigte das Unternehmen an, in diesem Bereich prozentual zweistellig zulegen und Marktanteile gewinnen zu wollen. Im Geschäftsjahr 2015/16 (30.9.) hatte Siemens mit Softwarelösungen 3,3 Milliarden Euro (plus zwölf Prozent) und mit digitalen Dienstleistungen eine Milliarde Euro umgesetzt.
Insgesamt belief sich der Umsatz im Geschäftsjahr 2015/16 (30.9.) auf 79,6 Milliarden Euro. Dabei wurde ein Nettogewinn von 5,6 Milliarden Euro erwirtschaftet. Größte Geschäftsfelder waren das konventionelle Kraftwerkgeschäft mit Erlösen von 16,5 Milliarden Euro vor der Medizintechniksparte mit 13,5 Milliarden Euro und dem Energiemanagement mit 11,9 Milliarden Euro. Weitere Geschäftsfelder sind die „Digitale Fabrik“(10,2 Milliarden Euro), Antriebstechnologie (neun Milliarden Euro), Bahn- und Mobilitätstechnik (7,8 Milliarden Euro), Gebäudetechnik (6,2 Milliarden Euro) und Windkraftanlagen (sechs Milliarden Euro). Siemens beschäftigt weltweit 348 000 Mitarbeiter.
In Abwesenheit des erkrankten Unternehmenschefs Joe Kaeser trat erstmals der erst seit dem 1. Dezember amtierende neue Technologievorstand Roland Busch öffentlich auf. Er kündigte an, Digitalisierung, Automatisierung und Elektrifizierung deutlich beschleunigen zu wollen. Dazu sollen neue Innovationszentren in China und Israel, die Cloud-Plattform Mindsphere, Kooperationen und Übernahmen sowie eine engere Einbeziehung von Startups über die neu gegründete Startup-Einheit next47 beitragen. Der Wachstumstreiber MindSphere soll nun unternehmensweit ausgerollt werden. Die als offenes System konzipierte Plattform erlaubt die schnelle und effiziente Analyse und Auswertung riesiger Datenmengen sowie die Verknüpfung von Maschinen unterschiedlicher Hersteller in einer Fabrik oder sogar in verschiedenen Fabriken weltweit.
Ausfallzeiten minimieren Die Vielzahl der von Sensoren gelieferten Informationen soll dazu genutzt werden, schneller, flexibler, effizienter, umweltfreundlicher und mit weniger Ressourceneinsatz zu entwickeln und zu produzieren, so Busch. Auch in der Wartung von Maschinen und Geräten lassen sich dem Unternehmen zufolge gewaltige Fortschritte erzielen, wenn etwa frühzeitig angezeigt wird, wann Verschleißteile ersetzt werden müssen oder Ersatzteile gebraucht werden. So ließen sich Ausfallzeiten deutlich minimieren.
Zur Stärkung der Innovationskraft erhöht Siemens seit Jahren die Mittel für Forschung und Entwicklung. Fünf Milliarden Euro will das Unternehmen dafür 2017 ausgeben – ein Viertel mehr als 2014. Um die Datenanalyse-Funktionen bei MindSphere für Kunden weiter zu vereinfachen, arbeitet Siemens mit IBM zusammen und plant, den Datenanalyse-Service IBM Watson Analytics und weitere Analyse-Tools in die Plattform zu integrieren. IBM will dafür auch Apps entwickeln, etwa im Bereich der vorausschauenden Instandhaltung. Siemens arbeitet auch eng mit anderen Unternehmen zusammen, etwa mit der französischen Atos, einem strategischen Partner, mit SAP, Microsoft, Airbus, der TU München (TUM) und anderen.
Ein großer Teil der Mittel fließt auch in die neu geschaffene Start-upEinheit next47. Geleitet wird sie von dem in Indien geborenen Amerikaner Lakshmikanth (Lak) Ananth, den Siemens aus dem Silicon Valley geholt hat. Am Rande des Innovationstages sagte der Venture-Capital-Spezialist, der früher für Hewlett Packard und Cisco gearbeitet hat, er sei überrascht über die Offenheit und den Innovationshunger, den er bei Siemens vorfinde. Der 43-jährige Manager soll für den deutschen Konzern verstärkt die Potenziale von Start-ups heben und das Engagement des Konzerns auf diesem Gebiet bündeln. Dafür ist Ananth weltweit unterwegs. Nach eigenen Angaben verbringt er etwa die Hälfte der Zeit im Silicon Valley, ist aber auch häufig in Schanghai, Peking, Bangalore und anderswo unterwegs, weil Innovationen lokal passierten. Ananth soll eine Brücke schlagen zwischen der Welt der Start-ups und Siemens. Er und sein Team haben in den kommenden fünf Jahren eine Milliarde Euro zur Verfügung, um als Risikokapitalgeber und Förderer von Gründern aktiv zu werden. Der Schwerpunkt des Engagements soll auf den Gebieten künstliche Intelligenz, Automatisierung, dezentrale Elektrifizierung, vernetzte E-Mobilität und autonome Maschinen liegen.
Ein erstes Projekt der Start-upEinheit ist ein hybrid-elektrischer Antrieb für Flugzeuge, dessen Machbarkeit bis 2020 nachgewiesen werden soll. Siemens arbeitet auf diesem Gebiet mit Airbus zusammen. In Ottobrunn bei München entstehen derzeit gemeinsame Einrichtungen.
Siemens hat zuletzt auch durch Zukäufe das Know-how im Bereich digitaler Anwendungen ausgebaut. Den Kauf der amerikanischen Mentor Graphics für 4,5 Milliarden Dollar bezeichnete Kaeser kürzlich als sehr wichtigen strategischen Meilenstein beim Ausbau der Führerschaft auf dem Gebiet der industriellen Digitalisierung. Zuvor hatte Siemens Software- und Digitalisierungsspezialisten wie die US-Firmen UGS, LMS und CD-adapco erworben.