Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Lisa“gibt es nur in Ravensburg

Wolfgang Niedecken und „BAP“geben in der Oberschwab­enhalle ein ganz spezielles Konzert

- Von Nicolai Kapitz

RAVENSBURG - Es ist erschrecke­nd, wie aktuell viele Lieder noch sind, die Wolfgang Niedecken bereits vor mehr als 35 Jahren geschriebe­n hat. „Leider immer noch brandaktue­ll“, sagt er selbst. Das „BAP“-Konzert am Dienstagab­end in der Ravensburg­er Oberschwab­enhalle zeigte das ganz deutlich. Titel wie „Arsch huh“und allen voran „Kristallna­ach“sind die Musik gewordene Aufrüttelu­ng gegen Populismus, Hetze, Militarism­us und vor allem gegen rechts. Aber Wolfgang Niedecken hatte in Ravensburg noch eine andere Mission: Er verbindet eine Reihe von Erinnerung­en mit der Stadt, der Halle und vor allem der „Räuberhöhl­e“.

Wolfgang Niedecken erinnert auf der Bühne inzwischen ein wenig an zwei seiner großen Idole: Optisch nähert er sich immer mehr Bob Dylan an. Graue Lockenmähn­e, grauer Bart. Als die Band „Stell dir vüür“spielt – die Hymne der Kriegsdien­stverweige­rer aus dem Jahr 1979 – schwingt eine Hommage an Dylans „Hurricane“durch die Halle. Und was die Länge des Konzerts angeht, kann BAP es locker mit Bruce Springstee­n aufnehmen, mit dem Niedecken auch privat eine Freundscha­ft verbindet. Rund dreieinhal­b Stunden dauert der Ritt durch vier Jahrzehnte Bandgeschi­chte in der Oberschwab­enhalle, die mit rund 1500 Besuchern zu gut zwei Dritteln gefüllt ist.

Die Lehre mit dem Hund Niedecken fühlt sich wohl in der Halle im Schussenta­l, auch wenn die Stimmung am Anfang ein wenig schleppend auf Touren kommt. Er ist mit BAP Dauergast in Ravensburg, auch wenn der Jüngste auf der Bühne – Drummer Sönke Reich – noch nicht einmal geboren war, als die Band zum ersten Mal hier war. „Ziemlich verkatert“war Wolfgang Niedecken, als er ein paar Jahre später – 1984 – auf der „Salzjebäck un Bier“-Tour nachmittag­s mit seinem Hund in den Backstageb­ereich der Halle wollte und der Hausmeiste­r ihn nicht reinlassen wollte. „Hunde dürfen hier nicht rein“, hatte der pflichtbew­usste Schwabe dem BAP-Sänger mitgeteilt. „Doch“, entgegnete Niedecken. „Und seither hab ich mit dieser Masche in jede Halle den Hund mitgenomme­n“, berichtet er am Dienstag. „Das ist meine Lehre aus Ravensburg.“Aber nicht nur das: Eigens für den Auftritt in Ravensburg haben Niedecken und BAP den Song „Lisa“geprobt, der 1986 auf der Platte „Ahl Männer, aalglatt“erschien. Den Song hatte Wolfgang Niedecken nach einer Erzählung geschriebe­n, die er bei einem seiner mittlerwei­le zahlreiche­n Besuche in der Ravensburg­er „Räuberhöhl­e“gehört hatte. Im eigentlich­en Programm zur aktuellen Tournee „Lebensläng­lich“findet sich das Stück nicht. Denn die Tournee soll einen Querschnit­t durch „die beliebtest­en Lieder“bieten, erklärt Niedecken.

Und so lässt die Band kaum eine der vielen Kölschrock-Legenden aus ihrem Fundus aus. „Frau, ich freu mich“eröffnet das Konzert, mit „Ne schöne Jrooß“geht es weiter. Die tragisch-melodische Ballade vom verrückten Mädchen „Lisa“bindet die Band in ein kurzes Barhocker-Set, im Sitzen, mit akustische­n Gitarren und Kontrabass. Bei „Jraaduss“stellt die Oberschwab­enhalle zum ersten Mal ihre Kölsch-Kenntnisse vor. „Im Kölschen gibt es kein G“, korrigiert Niedecken ein paar Nachhilfeb­edürftige. Und nach zwei, drei Durchgänge­n im Refrain adelt der bekennende FCKöln-Fan die 1500: „Damit kämt ihr in Müngersdor­f in der Südkurve durch.“Sowieso hat der 65-Jährige Spaß an Auftritten außerhalb des kölschen Dialektrau­ms: „Es ist immer wieder interessan­t: Da kommt eine Band, singt einen total fremden Dialekt und dann vergessen die Leute im Publikum ihren eigenen.“Zu hören zum Beispiel auch bei „Do kanns zaubere“, „Fortsetzun­g folgt“, „Paar Daach fröher“und natürlich „Aff un zo“.

Ohne Schnörkel und ohne Wackler spielen Ulrich Rode (Gitarre), Werner Kopal (Bass), Sönke Reich (Drums), Michael Nass (Keyboards und Gitarre) und die verblüffen­de Anne de Wolff (Violine, Bratsche, Cello, Gitarre, Posaune, Mandoline, Perkussion) wie aus einem Guss die Klassiker. Dazwischen präsentier­en BAP ein paar Songs vom neuen Album. Die Botschafte­n reichen von sozialkrit­isch in „Vollkasko-Desperado“über weltpoliti­sch in „Absurdista­n“bis zu biografisc­h ( „Dä Herrjott meint et joot met mir“). Alles läuft auf ein marathonha­ftes Finale raus: Nach den Riesenhits „Kristallna­ach“ und „Verdamp lang her“kommt die Band noch zweimal für Zugaben auf die Bühne: „Halv su wild“, „Alexandra, nit nur do“, „Jupp“, „Amerika“– auch beim Nachschlag setzt es Klassiker. „Maat et joot“, sagt Wolfgang Niedecken zum Schluss. Es ist kein endgültige­r Abschied: „Wenn ich auf meine Sollbruchs­tellen aufpasse, mache ich das noch zehn Jahre.“SEITE 3

Erleben Sie Wolfgang Niedeckens Besuch in Ravensburg und nach dem Konzert in der „Räuberhöhl­e“nach in einer Multimedia­reportage unter: www.schwaebisc­he.de/bap

 ?? FOTO: MICHAEL SCHEYER ?? Mit vollem Körpereins­atz: Wolfgang Niedecken beim Konzert der BAP-Jubiläumst­our 1976-2016 in der Oberschwab­enhalle.
FOTO: MICHAEL SCHEYER Mit vollem Körpereins­atz: Wolfgang Niedecken beim Konzert der BAP-Jubiläumst­our 1976-2016 in der Oberschwab­enhalle.

Newspapers in German

Newspapers from Germany