Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Lisa“gibt es nur in Ravensburg
Wolfgang Niedecken und „BAP“geben in der Oberschwabenhalle ein ganz spezielles Konzert
RAVENSBURG - Es ist erschreckend, wie aktuell viele Lieder noch sind, die Wolfgang Niedecken bereits vor mehr als 35 Jahren geschrieben hat. „Leider immer noch brandaktuell“, sagt er selbst. Das „BAP“-Konzert am Dienstagabend in der Ravensburger Oberschwabenhalle zeigte das ganz deutlich. Titel wie „Arsch huh“und allen voran „Kristallnaach“sind die Musik gewordene Aufrüttelung gegen Populismus, Hetze, Militarismus und vor allem gegen rechts. Aber Wolfgang Niedecken hatte in Ravensburg noch eine andere Mission: Er verbindet eine Reihe von Erinnerungen mit der Stadt, der Halle und vor allem der „Räuberhöhle“.
Wolfgang Niedecken erinnert auf der Bühne inzwischen ein wenig an zwei seiner großen Idole: Optisch nähert er sich immer mehr Bob Dylan an. Graue Lockenmähne, grauer Bart. Als die Band „Stell dir vüür“spielt – die Hymne der Kriegsdienstverweigerer aus dem Jahr 1979 – schwingt eine Hommage an Dylans „Hurricane“durch die Halle. Und was die Länge des Konzerts angeht, kann BAP es locker mit Bruce Springsteen aufnehmen, mit dem Niedecken auch privat eine Freundschaft verbindet. Rund dreieinhalb Stunden dauert der Ritt durch vier Jahrzehnte Bandgeschichte in der Oberschwabenhalle, die mit rund 1500 Besuchern zu gut zwei Dritteln gefüllt ist.
Die Lehre mit dem Hund Niedecken fühlt sich wohl in der Halle im Schussental, auch wenn die Stimmung am Anfang ein wenig schleppend auf Touren kommt. Er ist mit BAP Dauergast in Ravensburg, auch wenn der Jüngste auf der Bühne – Drummer Sönke Reich – noch nicht einmal geboren war, als die Band zum ersten Mal hier war. „Ziemlich verkatert“war Wolfgang Niedecken, als er ein paar Jahre später – 1984 – auf der „Salzjebäck un Bier“-Tour nachmittags mit seinem Hund in den Backstagebereich der Halle wollte und der Hausmeister ihn nicht reinlassen wollte. „Hunde dürfen hier nicht rein“, hatte der pflichtbewusste Schwabe dem BAP-Sänger mitgeteilt. „Doch“, entgegnete Niedecken. „Und seither hab ich mit dieser Masche in jede Halle den Hund mitgenommen“, berichtet er am Dienstag. „Das ist meine Lehre aus Ravensburg.“Aber nicht nur das: Eigens für den Auftritt in Ravensburg haben Niedecken und BAP den Song „Lisa“geprobt, der 1986 auf der Platte „Ahl Männer, aalglatt“erschien. Den Song hatte Wolfgang Niedecken nach einer Erzählung geschrieben, die er bei einem seiner mittlerweile zahlreichen Besuche in der Ravensburger „Räuberhöhle“gehört hatte. Im eigentlichen Programm zur aktuellen Tournee „Lebenslänglich“findet sich das Stück nicht. Denn die Tournee soll einen Querschnitt durch „die beliebtesten Lieder“bieten, erklärt Niedecken.
Und so lässt die Band kaum eine der vielen Kölschrock-Legenden aus ihrem Fundus aus. „Frau, ich freu mich“eröffnet das Konzert, mit „Ne schöne Jrooß“geht es weiter. Die tragisch-melodische Ballade vom verrückten Mädchen „Lisa“bindet die Band in ein kurzes Barhocker-Set, im Sitzen, mit akustischen Gitarren und Kontrabass. Bei „Jraaduss“stellt die Oberschwabenhalle zum ersten Mal ihre Kölsch-Kenntnisse vor. „Im Kölschen gibt es kein G“, korrigiert Niedecken ein paar Nachhilfebedürftige. Und nach zwei, drei Durchgängen im Refrain adelt der bekennende FCKöln-Fan die 1500: „Damit kämt ihr in Müngersdorf in der Südkurve durch.“Sowieso hat der 65-Jährige Spaß an Auftritten außerhalb des kölschen Dialektraums: „Es ist immer wieder interessant: Da kommt eine Band, singt einen total fremden Dialekt und dann vergessen die Leute im Publikum ihren eigenen.“Zu hören zum Beispiel auch bei „Do kanns zaubere“, „Fortsetzung folgt“, „Paar Daach fröher“und natürlich „Aff un zo“.
Ohne Schnörkel und ohne Wackler spielen Ulrich Rode (Gitarre), Werner Kopal (Bass), Sönke Reich (Drums), Michael Nass (Keyboards und Gitarre) und die verblüffende Anne de Wolff (Violine, Bratsche, Cello, Gitarre, Posaune, Mandoline, Perkussion) wie aus einem Guss die Klassiker. Dazwischen präsentieren BAP ein paar Songs vom neuen Album. Die Botschaften reichen von sozialkritisch in „Vollkasko-Desperado“über weltpolitisch in „Absurdistan“bis zu biografisch ( „Dä Herrjott meint et joot met mir“). Alles läuft auf ein marathonhaftes Finale raus: Nach den Riesenhits „Kristallnaach“ und „Verdamp lang her“kommt die Band noch zweimal für Zugaben auf die Bühne: „Halv su wild“, „Alexandra, nit nur do“, „Jupp“, „Amerika“– auch beim Nachschlag setzt es Klassiker. „Maat et joot“, sagt Wolfgang Niedecken zum Schluss. Es ist kein endgültiger Abschied: „Wenn ich auf meine Sollbruchstellen aufpasse, mache ich das noch zehn Jahre.“SEITE 3
Erleben Sie Wolfgang Niedeckens Besuch in Ravensburg und nach dem Konzert in der „Räuberhöhle“nach in einer Multimediareportage unter: www.schwaebische.de/bap