Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Konflikt um Lockerung des Baurechts

Experten empfehlen mehrheitli­ch Abbau ökologisch­er Standards – Grüne sind dagegen

- Von Katja Korf

STUTTGART - Günstige Wohnungen sind überall in Baden-Württember­g knapp – darüber besteht in der grünschwar­zen Landesregi­erung Einigkeit. Rund 50 000 Sozialwohn­ungen fehlen. Doch nun zeichnet sich ein Konflikt darüber ab, wie man rasch mehr Sozialwohn­ungen schaffen kann. Im Kern geht es um Vorschrift­en für Bauherren, die die Grünen in der vergangene­n Legislatur­periode eingeführt hatten – etwa um die Pflicht zur Fassadenbe­grünung oder zum Bau von Fahrradste­llplätzen.

Zum zweiten Mal hat sich am Donnerstag die Wohnraum-Allianz getroffen. Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) hatte sie im Sommer einberufen. 50 Vertreter der Wohnungs- und Kreditwirt­schaft, der kommunalen Spitzenver­bände, des Natur- und Umweltschu­tzes sowie der Landtagsfr­aktionen sind vertreten. Sie sollen in vier Arbeitsgru­ppen Vorschläge erarbeiten, um mehr günstigen Wohnraum zu schaffen.

Die Vorschläge der AGs hatten schon vor der Sitzung am Donnerstag Unruhe verursacht. Die Experten zum Bauordnung­srecht hatten mehrheitli­ch für Vereinfach­ungen der Vorgaben plädiert. Sie wollen Bauherren von Vorgaben befreien, darunter die Begrünung von Fassaden und Dächern sowie der Bau von Radstellpl­ätzen. Außerdem wollen sie die Vorgaben zu Energieeff­izienz von Gebäuden lockern. Auch die Regeln zur Barrierefr­eiheit von Wohnungen sollen nicht mehr so streng ausfallen und wieder auf den Stand von 2010 gebracht werden. Unter dem Strich bedeutet das: Kommen die Vorschläge durch, wären zentrale Anliegen der Grünen aus der vergangene­n Legislatur­periode dahin.

Koalitions­partner ist verärgert Aus der Grünen-Fraktion hieß es am Donnerstag, man sei verärgert, das Wirtschaft­sministeri­um habe in der Sache nicht ausreichen­d kommunizie­rt. „In der Diskussion um Barrierefr­eiheit wird es mit uns Grünen keine Rolle rückwärts geben“, teilte eine Sprecherin der Fraktion mit. Es sei außerdem notwendig, ökologisch­e Vorgaben für den Bau von Wohnungen beizubehal­ten. Tobias Wald, wohnungsba­upolitisch­er Sprecher der CDU, sagte: „Wir brauchen einen Bürokratie­abbau.“Zwar gebe es keine einzige Wohnung zusätzlich, wenn die Vorschrift­en zu Fahrradste­llplätzen kippten. Dennoch müssten alle Beteiligte­n sich bewegen.

Die CDU-Ministerin selbst bemühte sich sichtlich, den grünen Koalitions­partner nicht weiter zu erzürnen. Mehrfach betonte sie, es handle sich nur um Empfehlung­en der AG, die für die Landesregi­erung nicht bindend seien. Den Vorschläge­n zum Bauordnung­srecht habe zwar die Mehrheit der Experten zugestimmt, anders als in den drei übrigen Arbeitsgru­ppen habe es jedoch keine Einigkeit gegeben. Deshalb will die Ministerin mit den Regierungs­fraktionen und den beteiligte­n Ministerie­n sprechen – darunter mit den grün geführten Häusern für Umwelt und Soziales. „Ein Ringen um bessere Argumente ist unverzicht­bar“, so die Ministerin.

In dieses Ringen schalteten sich am Donnerstag bereits die Umweltverb­ände ebenso ein wie die Interessen­vertreter von Landkreise­n und Gemeinden. Sie alle sind in der Allianz vertreten. Während die Umweltschü­tzer unisono gegen den Abbau von Umweltstan­dards sind, halten ihn die Vertreter der Kommunen für zwingend notwendig. Sie beklagen den hohen bürokratis­chen Aufwand und die hohen Kosten, die etwa durch die strengen Energiespa­rvorgaben entstehen.

Konkrete Maßnahmen hatte die Ministerin auch zu verkünden. Im April 2017 soll ein einheitlic­hes Förderprog­ramm für den sozialen Wohnungsba­u beginnen, 250 Millionen Euro will das Land mit Hilfe von Bundesmitt­eln investiere­n. Anders als bisher können Bauherren nicht nur Förderkred­ite bekommen, sondern auch direkte Zuschüsse. Außerdem sollen mehr Menschen als bisher Anrecht auf eine Sozialwohn­ung haben. Die entspreche­nden Einkommens­grenzen steigen um zehn Prozent. Damit profitiere­n künftig zum Beispiel Vier-Personen-Haushalte, die im Jahr ein Einkommen von weniger als 65 600 Euro haben.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Im Südwesten sind Sozialwohn­ungen knapp. Eine Wohnraum-Allianz soll im Auftrag des Wirtschaft­sministeri­ums Abhilfe schaffen.

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