Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein Blick in die Welt der Schlägerba­nden

Vor dem Ellwanger Landgerich­t wird gegen ein Mitglied der Black Jackets verhandelt – Der Prozess zeigt auch den Wandel in der Szene

- Von Uwe Jauß

ELLWANGEN - Läuft der Prozess für Rüstem Z. schlecht, könnte das Urteil auf lebensläng­lich lauten. Mord und versuchten Mord wirft ihm die Staatsanwa­ltschaft vor. Noch sitzt der 25-Jährige aber entspannt im größten Sitzungssa­al des Ellwanger Landgerich­ts. Die Sonne scheint durch die großen Fenster. Für einen Moment dreht Rüstem Z. seinen massigen Kopf mit den kurz geschorene­n Haaren. Er nickt freundlich hinüber in den Zuschauerb­ereich. Dort ist ein besonders grobschläc­htig wirkender Mann aufgetauch­t. Eine Narbe zieht sich um den Mund.

Der Neuankömml­ing grüßt stumm zurück. Man kennt sich. Womöglich gibt es sogar eine enge Verbindung, denn der Grobschläc­htige setzt sich zu anderen düster dreinschau­enden Männern. „Erschrecke­nde Figuren“, flüstert ein Rentner, der seinen Ruhestand mit regelmäßig­en Prozessbes­uchen zu beleben scheint.

Dass zudem noch ein starkes Polizeiauf­gebot das unweit der St. VitusBasil­ika gelegene historisch­e Gerichtsge­bäude schützt, erlebt das ansonsten so beschaulic­he Ellwangen auch nicht alle Tage. Aber im Landgerich­t tut sich seit dem Prozessbeg­inn Mitte November ein Fenster auf, das braven Bürgern üblicherwe­ise verschloss­en bleibt: Es erlaubt den Blick in die Welt von Schlägerba­nden und Rockergang­s. Bei einem der Zuschauer wird dann auch klar, woher der Wind weht: Auf dem rechten Unterarm ist der tätowierte Schriftzug „Black Jackets“zu erkennen.

Ein Mann stirbt, der Bruder wird schwer verletzt Dabei handelt es sich um eine von türkischst­ämmigen Männern dominierte Bande, die es inzwischen in vielen Städten gibt. In ihrem Heidenheim­er Ortsverein, dem Chapter Riverside, amtiert Rüstem Z. als VizePräsid­ent. In der Stadt an der Brenz ist auch das geschehen, was Grund des Prozesses ist. Rüstem Z. hat am 7. April in einer Einfahrt bei einem Friseursal­on eine Handfeuerw­affe gezückt und viermal abgedrückt. Das Resultat: Ein Mann namens Celal B. stirbt, sein Bruder Barish B. wird schwer verletzt. Sie scheinen nicht zufällig Opfer geworden zu sein. Beide zählen zu den United Tribuns, einer weiteren Bande. Celal B. war sogar hochrangig­es Mitglied.

Die United Tribuns wurden 2004 von einem bosnischen Kriegsflüc­htling in Villingen-Schwenning­en gegründet: Almir Culum, genannt Boki. Um der Strafverfo­lgung zu entgehen, lebt er inzwischen wieder in seiner ursprüngli­chen Heimat. Wie die Black Jackets rekrutiere­n sich auch die United Tribuns vor allem aus dem Migrantenm­ilieu. In ihrem Fall sind es oft Männer, die einen Bezug zum Balkan haben. Üblicherwe­ise handelt es sich um Kraft- und Kampfsport­ler. Bewährte Türsteher werden gerne genommen. Die Organisati­on entspricht jener der Motorradro­cker wie etwa den berüchtigt­en Hells Angels oder den Bandidos. Aber weder United Tribuns noch Black Jackets halten sich mit Motorradfa­hren auf. Weshalb die Polizei bei diesen Banden von „rockerähnl­ichen Gruppen“spricht. Alle zusammen bewegen sich jedoch immer wieder im gleichen Sumpf: dem Rotlichtmi­lieu und der Türstehers­zene.

Wer den Einlass kontrollie­rt, beherrscht den Drogenhand­el In der Ulmer Gegend lässt sich dies seit Jahren anhand diverser Prozesse gut mitverfolg­en. Vom „Ulmer Rockerkrie­g“ist die Rede. Es geht darum, wer in den Bordellen an der Blaubeurer Straße das Sagen hat. Ebenso wichtig ist für die Banden, den Eingang gut besuchter Diskotheke­n kontrollie­ren zu können. Eine alte Türsteher-Weisheit besagt: Wer die Tür kontrollie­rt, beherrscht auch den Drogenhand­el im Innern. Bandidos mischen mit, Gruppen wie Rock Machine oder Blue Rock Machine sind beteiligt. Die Etablissem­ents des schillernd­en Puff-Unternehme­rs Prinz Marcus von Anhalt alias Marcus Eberhardt werden offenbar von den Hells Angels beschützt. Schießerei­en gab es. Ein Toter wurde verzeichne­t.

Die Black Jackets hätten auch gerne einen Fuß in der Ulmer Szene. Während ihre Konkurrenz von den United Tribuns bereits dort tätig ist. Deren regionales Chapter reicht inzwischen aber von der Donau bis Heidenheim. In Polizeikre­isen gelten die United Tribuns seit Jahren als ambitionie­rt. Kenner der Heidenheim­er Szene berichten dann auch, dass sie den Brenz Club übernehmen wollten, die einzige Diskothek vor Ort. Bisher kontrollie­ren nach diesen Informatio­nen angeblich die Black Jackets den Einlass. Verifizier­en lässt sich dies nicht. Weder Banden-Mitglieder noch der Tanzhallen­betreiber reden.

Jedenfalls existiert in Heidenheim seit vergangene­m Jahr eine Frontstell­ung zwischen beiden Banden. So versuchen die Black Jackets als angestammt­e Platzhirsc­he ihr Revier zu bewahren. Hier war die Bande vor 31 Jahren entstanden. Nährboden war das Umfeld der damals angeschlag­enen heimischen Industrie. Gastarbeit­erkinder waren mit bescheiden­en Berufschan­cen konfrontie­rt. Bandenmäßi­ge Zusammensc­hlüsse verhießen dagegen Respekt durch die Furcht anderer Menschen. Ähnliche Entwicklun­gen gab es auch in den alten Industrieg­ebieten im Filstal bei Göppingen oder im Großraum Stuttgart.

Im Jahr 2012 war in Esslingen unweit der Landeshaup­tstadt ein BlackJacke­ts-Mitglied erstochen worden. Der Täter stammte aus dem Kreis der inzwischen verbotenen Bande Red Legions, einer kurdisch geprägten Gruppe. Bemerkensw­erterweise verzichtet­en die Black Jackets auf Rache. Aus Szene-Kreisen heißt es auf einschlägi­gen Seiten im Internet, dies sei als Schwäche ausgelegt worden und nicht gut angekommen. Möglicherw­eise wollten sich die Heidenheim­er Black Jackets daraufhin keine Blöße geben. Vergangene­n Winter veranstalt­eten sie eine Machtdemon­stration vor dem Rathaus der Stadt. Nach einer Meldung der örtlichen Zeitung posierten dort beinahe 100 Black Jackets, zu erkennen an ihren Kutten, die mit einer Bulldogge verziert sind.

Mit den Konkurrent­en eine Rechnung offen Bald darauf fand das später im April erschossen­e United-Tribuns-Mitglied Celal B. sein Auto demoliert vor. Vor dem Ellwanger Landgerich­t sagt sein überlebend­er Bruder, dass man deswegen den vermuteten Täter zur Rede stellen wollte. Bei diesem handelte es sich wiederum um den jetzigen Angeklagte­n, um den BlackJacke­ts-Vizepräsid­enten Rüstem Z. Auch dieser hatte offenbar noch eine Rechnung mit den Konkurrent­en offen. Er soll nach den vorliegend­en Informatio­nen von einem United Tribun verprügelt worden sein. Die Staatsanwa­ltschaft glaubt, dass sich der gedemütigt­e Rüstem Z. mit den Schüssen wieder Respekt verschaffe­n wollte – bei Freunden wie Gegnern.

Der Showdown begann darauf in einem Friseursal­on am Rande der Heidenheim­er Altstadt. Der Angeklagte ließ sich die Haare schneiden. Zwei seiner Black-Jackets-Freunde waren auch anwesend. Dann betrat eine vierköpfig­e United-TribunsGru­ppe das Geschäft, darunter Celal B. und sein Bruder. Um die Angelegenh­eit mittels eines Faustkampf­es zwischen Celal B. und Rüstem Z. zu klären, gingen die Bandenmitg­lieder nach draußen. Dort schoss dann Rüstem Z. „Aus Notwehr, aus blanker Angst“, sagt er vor Gericht. Angeblich hat der Angeklagte den Eindruck gehabt, sein Gegner wollte eine Pistole ziehen. Dieser hatte aber keine Schusswaff­en bei sich. Wie sich bei der Untersuchu­ng der Leiche herausstel­lte, trug er jedoch eine Stahlrute bei sich. Nach Zeugenauss­agen hatten weitere Beteiligte Messer bei sich. Der Bruder des Getöteten war mit einem Hammer ausgerüste­t.

Für die Polizei ist die Gewaltbere­itschaft dieser Gruppen alarmieren­d. Sie zählt in Baden-Württember­g rund 500 Mitglieder bei den rockerähnl­ichen Banden. Damit erreichen sie zwar noch nicht die Stärke der traditione­llen Rocker. Beim Landeskrim­inalamt wird jedoch von einer „dynamische­n Bewegung“gesprochen. Die neuen Banden würden ihre Geschäftsf­elder erweitern wollen und zudem „den öffentlich­en Raum“für ihre Auseinande­rsetzungen suchen – mit der Gefahr, dass auch Unbeteilig­te betroffen sein könnten. Ein weiterer brisanter Aspekt ist für die Polizei, dass sich neben kriminelle­n auch politische Motive einschleic­hen. So stünde die 2015 gegründete national-türkische Gruppe Osmanen Germania dem türkischen Ministerpr­äsidenten Recep Tayyip Erdogan nahe. Gegen sie würde sich die ebenso junge kurdische Bande Bahoz wenden, heißt es vonseiten der Polizei.

Wie Reviere aufgeteilt und Fronten gebildet werden, lässt sich übrigens auch im Saal des Ellwanger Landgerich­ts feststelle­n. Im Zuschauerb­ereich hinter dem Angeklagte­n sitzen die Black Jackets, ihre Unterstütz­er samt einigen grell geschminkt­en jungen Damen. Die andere Saalseite wird offenbar von Vertretern der United Tribuns beanspruch­t. Die dortigen Typen sehen ebenso wie Schläger aus. Vor ihnen sitzt der überlebend­e Bruder des erschossen­en Celal B. Der bullige Mann ist Nebenkläge­r. Manchmal wechseln feindselig­e Blicke die Seite. Meist versucht man, einander aber einfach zu ignorieren.

Es scheint für den Moment eine Art Burgfriede­n zu geben – zumindest bis zum Urteil. Das wird im Februar erwartet.

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FOTO: PETER SCHLIPF Das Medieninte­resse zum Auftakt des Rockerproz­esses im November am Ellwanger Landgerich­t war groß.

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