Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Nach dem historischen Bund-Länder-Kompromiss der große Frust
Beide Seiten werfen sich seit Tagen vor, sich nicht an die Abmachungen zu halten
BERLIN - Am Morgen noch hatte das Bundeskanzleramt neue Vorschläge geschickt: Formulierungen für Grundgesetzänderungen, die helfen sollten, dass im Oktober vereinbarte Milliardenpaket zur Reform der Bund-Länder-Finanzen endlich unter Dach und Fach zu bringen. Doch wie so oft gilt: Alles hängt mit allem zusammen und der Teufel steckt im Detail.
Von der geplanten Autobahngesellschaft über die Flüchtlingspolitik und den Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende bis hin zu den Überlegungen von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) für eine schärfere Kontrolle der Länderhaushalte reichte die lange Liste der Streitpunkte. „Die Positionen sind noch weit auseinander“, heißt es am Nachmittag aus Länderkreisen. Die Verärgerung über das Vorgehen des Bundes sei groß. Der Bund wolle über das bereits Vereinbarte weit hinausgehen. „Das geht so nicht“, erklärte Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschef Erwin Sellering (SPD), derzeit Chef der Ministerpräsidentenkonferenz.
Mitte Oktober hatte es so ausgesehen, als seien die Reform der Bund-Länder-Finanzen und die damit verbundenen Grundgesetzänderungen nur noch Formsache. „Ende gut, alles gut“, hatte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) damals gejubelt. Doch weit gefehlt. Tatsächlich begann ein neuer zäher Verhandlungsmarathon. Plötzlich stand die Einigung, die ab 2020 jährliche Entlastungen der Länder durch den Bund von 9,52 Milliarden Euro vorsieht, wieder in Frage.
Einer der Streitpunkt ist die Bundesfernstraßengesellschaft: Schnelleres Planen soll sie ermöglichen, Reibungsverluste vermeiden. Doch von Anfang an war die Sorge groß, dass es über Umwege zur Privatisierung von Staatseigentum kommen könne. Zwar einigte sich die Bundesregierung auf einen Gesetzespassus, der das weitgehend ausschließen soll. Doch in Länderkreisen wurde noch einmal Beratungsbedarf angemeldet. Oder das Beispiel Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende: Hier fürchten die Ministerpräsidenten eine Mehrbelastung, verlangen „einen fairen Lastenausgleich“.
Groß war der Unmut bei den Regierungschefs der Länder. „Wir fahren nicht mit Begeisterung ins Kanzleramt“, erklärte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Sellering. Es müsse aufgepasst werden, „dass wir nicht eine völlig neue Staatsarchitektur bekommen“, ergänzte sein Kollege aus Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU). „Da muss noch ein dickes Brett gebohrt werden.“Eigentlich wollte das Bundeskabinett die Entwürfe für die geplanten Grundgesetzänderungen am heutigen Freitag beschließen und auf den Weg bringen. Damit wäre auch der Weg frei für ein 3,5-MilliardenEuro-Programm zur Sanierung von Schulen, für das der Bund einen Nachtragshaushalt verabschieden will. Auch die personelle Besetzung einer zentralen Behörde, die künftig für Abschiebungen zuständig sein soll, war bis zuletzt umstritten.
Ein Scheitern des Pakets hätte massive Folgen für die Länder. Nach dem Reformplan würde sich ihre finanzielle Situation teils deutlich verbessern. Für Nordrhein-Westfalen, das bevölkerungsreichste Bundesland, war ab 2020 mit rund 1,4 Milliarden Euro – 80 Euro je Einwohner – die größte Entlastung vorgesehen. Bayern kann mit 1,35 Milliarden Euro rechnen, Baden-Württemberg mit 961 Millionen Euro.