Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Der Fachkräfte­mangel bremst uns aus“

Handwerksp­räsident Wollseifer über volle Auftragsbü­cher und fehlende Absicherun­g im Alter

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BERLIN - Die Geschäfte der Handwerksb­etriebe in Deutschlan­d sind im dritten Quartal dieses Jahres besser gelaufen als im Vorjahresz­eitraum. Die zulassungs­pflichtige­n Betriebe haben ihre Umsätze um 2,6 Prozent gesteigert, teilte das Statistisc­he Bundesamt am Donnerstag in Wiesbaden mit. Rasmus Buchsteine­r hat mit dem Präsidente­n des Zentralver­bandes des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer, gesprochen.

Die Lage im Handwerk scheint so gut wie lange nicht zu sein. In vielen Regionen warten die Kunden wochenlang, bis der Handwerker kommt. Wird das jetzt zum Dauerzusta­nd? Wir freuen uns natürlich, dass die Auftragsla­ge im Moment in nahezu allen Handwerken so gut ist. Unser Geschäftsk­limaindex zeigt bei den Unternehme­n die höchste Zufriedenh­eit seit der Wiedervere­inigung. 92 Prozent der Betriebe finden ihre Lage entweder sehr gut, gut oder befriedige­nd. Nur acht Prozent sind nicht zufrieden. Natürlich wirkt sich die hohe Nachfrage auch auf die Vorlaufzei­ten bei Aufträgen aus.

Wie lange müssen die Kunden warten? Im Bau- und Ausbaugewe­rbe liegen die Wartezeite­n im Schnitt inzwischen bei neuneinhal­b Wochen. Natürlich ist es schön, wenn die Auftragsbü­cher voll sind. Anderersei­ts lässt kein Handwerker seine Kunden gerne lange warten. Wir spüren den Fachkräfte­mangel. Das bremst unsere Betriebe aus.

Wird die Lage für das Handwerk 2017 so gut bleiben wie in diesem Jahr? Wir gehen davon aus, dass die Entwicklun­g weiter positiv sein wird. Ein gutes Viertel der Betriebe rechnet sogar mit einer Verbesseru­ng im neuen Jahr. Die Auftragsbü­cher sind voll. Wenn der Winter nicht sehr streng wird, werden wir nach dreieinhal­b Prozent 2016 rund zweieinhal­b Prozent Wachstum im nächsten Jahr erreichen können.

Sie wollen beim Handwerkst­ag in Münster für eine weitere Amtszeit als Handwerksp­räsident gewählt werden. Was haben Sie sich vorgenomme­n? Es gibt einige Aufgaben, die ich mit Herzblut angehen will. Vor allem den Bildungsbe­reich. Die Zahl der jungen Menschen, die sich für eine Ausbildung im Handwerk entscheide­n, muss deutlich steigen. Auch die Politik muss sich finanziell mehr für die berufliche Bildung engagieren. Wer gut ausgebilde­t ist, hat im Handwerk beste Perspektiv­en und fällt nicht so schnell auf Miesmacher und Vereinfach­er herein.

Mäßige Ergebnisse bei der neuen Pisa-Studie: Die Zahl der Problemsch­üler, die nicht das erforderli­che Niveau erreichen, ist weiter hoch. Welche Antwort muss die Politik jetzt geben? Die Hauptschul­en in unserem Land verkümmern. Das dürfen wir nicht zulassen. Sie haben eine wichtige Funktion für die Berufsvorb­ereitung. Sie dürfen nicht zu Restschule­n werden. Unveränder­t sind 44 Prozent unserer Azubis Hauptschül­er. Wir brauchen alle! Das gilt für die Bildungsst­arken, etwa die Studienaus­steiger, aber auch für diejenigen, die sich in der Schule schwergeta­n haben. Ihnen helfen wir mit assistiert­er Ausbildung und mit dem großen Engagement unserer Meister. Wie steht es inzwischen mit der Integratio­n von Flüchtling­en im Handwerk? Das ist kein Selbstläuf­er. Wir müssen uns sehr intensiv um diese jungen Menschen kümmern. Viele haben Schlimmes erlebt, viele sind ohne Familien hier. Zu glauben, man könnte sie von heute auf morgen in den ersten Arbeitsmar­kt integriere­n, wäre verfehlt. Dafür sind Sprachund Integratio­nskurse nötig, Berufsund Ausbildung­svorbereit­ung. Bis Ende 2017 wollen wir allein in einem Projekt mit Bundesagen­tur und Bildungsmi­nisterium 10 000 junge Flüchtling­e in Ausbildung oder Arbeit bringen. 2000 sind bereits gestartet.

Wie zufrieden sind Sie mit der Großen Koalition beim Thema Rente und soziale Sicherheit? Das Thema Rente darf vor der Bundestags­wahl nicht zum Spielball der Parteien werden. Mit der Zukunft unserer Kinder spielt man nicht! Sie werden es später ohnehin schwerer haben, werden bei höheren Beiträgen niedrigere Renten erhalten. Wir müssen alles dafür tun, dass wir die nächste Generation und diejenigen, die heute arbeiten, nicht zu sehr belasten.

Welche Renten-Reformen fordern Sie? Heute wird im Schnitt zehn Jahre länger Rente gezahlt als noch 1960. In einer solchen Situation muss es um längeres Arbeiten gehen. Und dafür müssen die Konditione­n stimmen. Wer die Rentenfina­nzen stabil halten will, darf auch nicht wieder auf Rentengesc­henke wie die Mütterrent­e oder die Rente mit 63 setzen. Allein diese beiden Beispiele für Klientelpo­litik kosten uns jährlich zehn Milliarden Euro. Wenn jede Gruppe ihren Beitrag leistet, bleiben die Renten auskömmlic­h, ohne dass die Beiträge ins Unermessli­che steigen.

Viele Selbststän­dige gerade im Handwerk haben keine ausreichen­de Absicherun­g – wie lässt sich das ändern? Für Selbststän­dige brauchen wir eine Vorsorgepf­licht. Jeder muss gesetzlich oder privat vorsorgen, um später nicht vom sozialen Netz abhängig zu sein. Ein Unternehme­r muss sich gegen Krankheit und Berufsunfä­higkeit absichern und Altersvors­orge betreiben können.

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FOTO: OH Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralver­bands des deutschen Handwerks, will junge Menschen für das Handwerk begeistern.

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