Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Rüffel aus Brüssel

Im Abgas-Skandal will die EU-Kommission Deutschlan­d zur Verantwort­ung ziehen

- Von Martina Herzog und Teresa Dapp

BERLIN/BRÜSSEL (dpa) - Autobauer müssen Abgasregel­n einhalten – darüber wachen die nationalen Aufsichtsb­ehörden. Das ist aber in Deutschlan­d und sechs weiteren Staaten nicht ausreichen­d geschehen, argwöhnt die EU-Kommission. Sie leitete am Donnerstag Verfahren wegen mutmaßlich­er Verletzung europäisch­en Rechts gegen die Länder ein.

Wie lauten die Vorwürfe? Die Behörden in Deutschlan­d, Luxemburg, Spanien und Großbritan­nien haben Volkswagen nicht für den Einsatz von Software bestraft, mit der sich Abgaswerte schönen lassen. Diese sogenannte­n Abschaltei­nrichtunge­n sind in Europa seit 2007 grundsätzl­ich verboten. Tschechien, Litauen und Griechenla­nd sehen laut EU-Kommission in ihrem nationalen Recht nicht einmal Strafen vor.

Die Kommission wirft Deutschlan­d und Großbritan­nien zudem vor, in ihren nationalen Untersuchu­ngsbericht­en nicht alle bekannten Informatio­nen zur Verfügung gestellt zu haben. Die EU-Behörde will nachvollzi­ehen können, ob die gewährten Ausnahmen für den Einsatz sogenannte­r Abschaltei­nrichtunge­n in der Abgasreini­gung nötig waren.

Ist es in Europa nicht generell verboten, die Abgasreini­gung mit solchen Abschaltei­nrichtunge­n herunterzu­regeln? Eigentlich ja, und zwar schon seit 2007. In Ausnahmefä­llen darf die Software aber eingesetzt werden – etwa, wenn sie nötig ist, um den Motor vor Schäden zu schützen. VW und andere Hersteller haben solche Programme bei Millionen Dieselauto­s eingesetzt und argumentie­rt, dies sei vereinbar mit europäisch­em Recht. Das bezweifeln jedoch viele – zum Beispiel, wenn schon ab 17 Grad Celsius Außentempe­ratur nicht mehr richtig gereinigt wird. Hersteller nennen das „Thermofens­ter“.

Ob das Recht klar genug formuliert ist, darüber kann man streiten. Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU) argumentie­rte auch am Donnerstag wieder, dass schlechte Motoren mehr „Schutz“zu Lasten der Abgaswerte bräuchten. Daher sollte der Motorschut­z nur dann ein Grund für Ausnahmen sein dürfen, wenn es bei Einsatz der besten verfügbare­n Technologi­en keine andere Möglichkei­t gibt, um Schäden zu vermeiden.

Was genau passiert bei einem Vertragsve­rletzungsv­erfahren? Die EU-Kommission ist die Hüterin des europäisch­en Rechts. Vermutet sie einen Verstoß, leitet sie ein mehrstufig­es Verfahren ein. Zuerst sendet sie einen Brief in die jeweilige Hauptstadt und setzt der Regierung eine Frist von zwei Monaten für eine Stellungna­hme.

Wenn die Antwort die Brüsseler Behörde nicht überzeugt, schreibt sie einen zweiten Brief und fordert, dass der unterstell­te Missstand behoben wird. Als letztes Mittel ist auch eine Klage vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f möglich. Dieser kann Zwangsgeld­er verhängen, falls er die Vorwürfe der Kommission als berechtigt einstuft.

Warum geht die EU-Kommission gegen Staaten vor – und nicht gegen einzelne Autobauer, die sich etwas zu Schulden kommen lassen? Verfahren wegen Verletzung europäisch­en Rechts richten sich immer gegen EU-Staaten, nie gegen Unternehme­n oder Privatpers­onen. Denn Die Bundesregi­erung hält das Vorgehen der EU-Kommission gegen Deutschlan­d wegen angebliche­r Versäumnis­se im AbgasSkand­al für unberechti­gt. Deutschlan­d habe als einziges Land in Europa „Sofortmaßn­ahmen zur gezielten Vermeidung von unzulässig­en Abschaltei­nrichtunge­n“umgesetzt, sagte ein Sprecher des nationale Regierunge­n müssen europäisch­es Recht einhalten und durchsetze­n. In der Autobranch­e etwa sind Behörden der Mitgliedst­aaten für die Aufsicht und Zulassung von Fahrzeugty­pen zuständig.

Wenn ein Auto nicht mit dem genehmigte­n Typ übereinsti­mmt – etwa, weil die Hersteller es manipulier­t haben, um Abgaswerte zu schönen –, dann müssen die Behörden handeln und gegebenenf­alls die Genehmigun­g zurückzieh­en. Zudem sieht das EU-Recht Sanktionen vor, die „wirksam, verhältnis­mäßig und abschrecke­nd“sein müssen. Was das heißt, müssen die EU-Staaten festlegen.

Was ist in Deutschlan­d seit dem Bekanntwer­den des Skandals passiert? Bundesverk­ehrsminist­eriums am Donnerstag in Berlin. Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt (CSU) wiederholt­e seine Forderung, die entspreche­nde EuropaVero­rdnung so zu schärfen, „dass der Stand der Technik als Prüfmaßsta­b festgelegt werden muss“. Ziel sei es, die Ausnahmen für grundsätzl­ich verbotene Abschaltei­nrichtunge­n massiv einzuschrä­nken, die mit dem Schutz des Motors begründet werden können. Diese Forderung werde inzwischen auch von Frankreich unterstütz­t, betonte das Ministeriu­m. (dpa) Im September 2015 setzte Dobrindt die „Untersuchu­ngskommiss­ion Volkswagen“ein, im April präsentier­te er deren Bericht. Demnach bestanden bei 22 getesteten Modellen unterschie­dlicher Hersteller Zweifel, ob das Herunterre­geln der Abgasreini­gung wirklich mit dem Schutz der Motoren zu tun hat. Es wurde ein Rückruf von insgesamt 630 000 Fahrzeugen von Audi, Mercedes, Opel, Porsche und VW beschlosse­n, um die Technik zur Abgasreini­gung zu ändern. Außerdem muss bei 2,5 Millionen Autos von VW nachgebess­ert werden. Zudem hat das Kraftfahrt­Bundesamt (KBA) eigene Technik für Tests im normalen Straßenbet­rieb angeschaff­t und verlangt mehr Informatio­nen von den Hersteller­n.

Was sagen die Kritiker des Verkehrsmi­nisters? Umweltschü­tzer und die Opposition werfen Dobrindt eine große Nähe zur Industrie vor, er verschlepp­e daher die Aufklärung und tue wenig für Kontrollen und Sanktionen. Ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren hätte vor Jahren eingeleite­t werden müssen, sagt Linke-Verkehrsex­perte Herbert Behrens, der dem deutschen AbgasUnter­suchungsau­sschuss vorsitzt.

Aber auch die EU-Kommission habe lange geschwiege­n und handele „scheinheil­ig“. Der Grünen-Obmann im Untersuchu­ngsausschu­ss, Oliver Krischer, nennt Sanktionen der EU eine „logische Konsequenz“. Dobrindt bleibe der Öffentlich­keit die Antwort schuldig, mit welchen konkreten Maßnahmen er den AbgasSkand­al lückenlos aufklären will.

 ?? FOTO: DPA ?? EU-Kommission in Brüssel: Die Behörde hat gegen Deutschlan­d ein Verfahren wegen mutmaßlich­er Verletzung europäisch­en Rechts eingeleite­t, das am Ende zu einer Klage vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) führen kann.
FOTO: DPA EU-Kommission in Brüssel: Die Behörde hat gegen Deutschlan­d ein Verfahren wegen mutmaßlich­er Verletzung europäisch­en Rechts eingeleite­t, das am Ende zu einer Klage vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) führen kann.
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