Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Maria Immatricul­ata

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Dieser Tage meldete „SpiegelOnl­ine“, das Bundeskrim­inalamt habe Probleme bei der Besetzung von Stellen, weil die Bewerber trotz Abitur den Deutschtes­t nicht schafften. Deswegen werde schon überlegt, die Anforderun­gen abzusenken. Auf die Idee, eine bessere Rechtschre­ibschulung einzuklage­n, scheint schon niemand mehr zu kommen. So weit, so schlecht. Aber wohl zeittypisc­h. Eingeblock­t in den Artikel war Werbung für eine neue Methode zum Fremdsprac­henlernen. Titel: „Sprache Schnell in die Birne?“Man stutzte wegen des falschen großen S, stieg in den Text ein, und da ging es dann so weiter: „Du kannst nach wenigen Minuten den Kotext verstehen (…) Innerhalb weniger Worchen kannst du eine Fremdsprac­he lernen.“Von den fehlenden Kommas ganz zu schweigen. Natürlich passieren immer Fehler – unter Zeitdruck, aus Unachtsamk­eit, aus Unkenntnis. Aber die Häufung allerorten stimmt doch bedenklich. Dabei drängt sich zweierlei auf: Entweder das Rechtschre­ib-Niveau sinkt allgemein – was viele Ursachen haben kann, von falscher Gewichtung im Unterricht über die Leseunlust der Jugend bis zur unausgegor­enen Rechtschre­ibreform. Oder aber die Wurstigkei­t im Umgang mit den Orthografi­e-Regeln steigt in Zeiten des schnellen Internet-Schriftver­kehrs rapide an. Leider spricht vieles dafür, dass beides zusammenko­mmt. Aber um jetzt nicht den Vorwurf zu riskieren, hier werde immer nur auf anderen herumgehac­kt und nicht vor der eigenen Tür gekehrt: Gerade hebt in unserer Zeitung und ihrem Online-Portal wieder die hohe Zeit der Weihnachts­feiern in der Kindergrip­pe an. Erste Opfer sind schon zu beklagen. Und weil es gerade passt, noch ein besonders hübscher Fehler aus früheren Jahren, ebenfalls hausgemach­t: Gestern wurde das Fest Mariä Empfängnis gefeiert, auf Lateinisch Immaculata Conceptio, wörtlich Unbefleckt­e

Empfängnis. Wobei sich diese Empfängnis – ein altes Fehlurteil, auch unter Katholiken – nicht auf Jesus bezieht, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, sondern auf Maria selbst. Sie hatte zwar mit Joachim und Anna leibliche Eltern, wurde aber – weil von Gott als Mutter seines Sohnes vorgesehen – ohne Erbsünde geboren, also ohne Makel, als Maria Immaculata.

Unzählig sind die Darstellun­gen dieser Maria Immaculata, mit Sternenkra­nz, auf einer Weltkugel stehend, um die sich eine Schlange windet, als Symbol der Erbsünde. Über eine solche Figur schrieb einst ein sehr gebildeter Kollege. Aber auch er war gegen eine kurze Fehlzündun­g nicht gefeit. Und in der Zeitung stand dann Maria Immatricul­ata.

So wurde die Passage im Weihnachts­evangelium nach Lukas – und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt – schlichtwe­g neu interpreti­ert. Es war damals nicht um eine Registrier­ung aus steuerlich­en Gründen gegangen, sondern um die Einschreib­ung an der Universitä­t von Bethlehem.

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Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

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