Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schneeketten für die Loipen
In Balderschwang packen viele Hände mit an, um beste Bedingungen für Langläufer zu schaffen
Früher zogen die „Ganzjährigen“aus Österreich nach Balderschwang. Es waren Burschen und Bauern, die hart genug waren, auch den Winter in dem kleinen, oftmals zugeschneiten Allgäuer Dorf durchzustehen. Damals gab es noch keine Straße von deutscher Seite über den Riedbergpass, die entstand erst 1961. Seither kommen von dort die neuen „Ganzjährigen“, die Touristen. Vielleicht nennt man sie besser die Ganz-Jahreszeitlichen, denn freilich bleiben sie keine 365 Tage. Aber sie schlagen im Frühjahr auf, wenn die ersten bunten Blumen ihren Hals durch den Schnee recken und die Bäche anschwellen. Im Sommer sind sie wieder da, weil es in Balderschwang eine Spur kühler und die Luft reiner ist. Im Herbst sieht man sie natürlich erneut – unten ist Nebel und oben herrliches Wanderwetter.
Der Bodensee ist schuld Und im Winter, was soll man sagen? Im Moment sind Balderschwang und das Riedberger Horn wegen eines umstrittenen Liftprojekts in den Schlagzeilen. Bekannt ist das Gebiet aber schon lange als Wintersportort. Bei den Skifahrern, vor allem aber bei den Langläufern. Aus ganz Süddeutschland steuern sie dieses kleine Dorf an, um ihre Spur durchs Winterweiß zu ziehen. Das neue Phänomen ist, dass nun auch Sonthofener, Fischener und selbst Oberstdorfer den lieben, langen Winter heraufkommen, ja heraufkommen müssen. Denn bei ihnen ist ja mehr Grün als Weiß. Die echten Langlauftage im Tal konnte man im vergangenen Winter an einer Hand abzählen.
In Balderschwang waren die Loipen von Anfang November bis Mitte April befahrbar. Das ist in diesem Jahr allerdings nicht der Fall. Der bereits gefallene Schnee ist wieder weggetaut. Doch die Balderschwanger selbst sind sich sicher, das auch in dieser Saison noch jede Menge weiße Flocken vom Himmel fallen werden. Das hat mehrere Gründe und ist zunächst einmal dem Bodensee zu verdanken, über dem sich die Wolken vollsaugen. Danach bleiben sie im Balderschwanger Talkessel hängen, der von Riesen wie dem Riedberger Horn bewacht wird und die Wolken nicht einfach so vorbeiziehen lässt. Im Sommer ist das manchmal ein Fluch, wenn es wie aus Kübeln schüttet. Aber im Winter hat das sogar der ortsansässige katholische Radiosender Horeb als Segen bezeichnet.
Man muss die Schneefälle nicht als göttliches Geschenk betrachten. Aber sie bilden im wahrsten Sinne des Wortes die Grundlage des Winter-Tourismus. Dass aus Balderschwang letztlich ein Langlauf-Paradies wird, hat aber nichts mit höheren Mächten zu tun, sondern vielmehr mit Händen wie jenen von Stephanie Holzmann. Sie ist eine Ganzjährige im ursprünglichen Sinn. Die heute 48-Jährige zog vor drei Jahrzehnten aus Irsee nach Balderschwang und lernte, was Schneeschaufeln bedeutet. Denn sobald die ersten Flocken fallen, rücken die Balderschwanger mit Fräsen, Schubkarren und Schaufeln aus, um an den Loipen zu basteln. Im vergangenen Winter bildeten sie bereits Anfang November die ersten menschlichen Schneeketten. „Eine Zeit lang hatten wir mit zehn Kilometern die längste Loipe in Europa“, sagt Stephanie.
Unterwegs mit Stephanie Wer mit ihr einen Tag in der Spur verbringt, fühlt sich bald selbst wie ein Einheimischer. Ständig fliegen ihr Grüße von ehemaligen Langlaufschülern oder Talbewohnern zu. Die Leute winken, man winkt zurück. Stephanie weiß exakt, wo die Gemarkungsgrenzen sind und überrascht mit der Erkenntnis: „Jetzt sind wir bereits auf Fischener Grund. Mitten in Balderschwang.“Sie führt uns im richtigen Tempo an Steigungen heran, sodass auch wir noch Luft haben, bevor es heftig wird. Auch bei Abkürzungen folgen wir ihr gerne. „Da hinten ist es nicht so spannend. Wir schauen uns lieber die interessanten Loipen an.“Die schönste ist sicher die Grenzlandloipe. An der Bolgenach entlang schlängelt sie sich durch kleine Wäldchen. Es ist eng, bei Gegenverkehr muss man ausweichen. Aber auch das hat seinen Charme. Man hat mehr Zeit, die Natur, den Schnee, das Plätschern des Flusses zu genießen. Und es geht bergab Richtung Hittisau in Österreich. Entspannt kann man gleiten, bis die große Brücke erreicht ist.
Fünf Euro Loipengebühr Die Top-Bedingungen, die wir vorfinden, kriegt man nur mit einem ausgeklügelten Plan hin. Dahinter steckt ein gehöriger Aufwand, und obgleich viele Freiwillige ihre Arbeitskraft reinstecken, auch eine finanzielle Frage. Es braucht jemanden, der die Loipen mindestens einmal pro Tag spurt und die Beschilderung kontrolliert. Schließlich haben die Balderschwanger den Deutschen Skiverband ins Boot geholt, der alles vermessen und Standards festgelegt hat. Auch das ist nicht umsonst. Deswegen gibt es seit 1993 eine Loipengebühr. Bei der Einführung hallte ein Donnerwetter aus dem Bayerischen Landtag Richtung Balderschwang. Die Minister forderten einen gebührenfreien Zugang zur Natur. Das hat die Einheimischen erst recht angespornt, das Ding durchzuziehen. Denn ihrer Argumentation folgend, kann man es sich nur mit einem guten Produkt leisten, fünf Euro für eine Tageskarte zu verlangen.
Dafür bekommt man ordentlichen Gegenwert: 40 Kilometer Loipe schlängeln sich über Balderschwanger Flure, mit den benachbarten Gebieten in Österreich summiert sich das Angebot auf etwa 100 Kilometer. Die Strecken rund um die Scheuenalpe am nahen Riedbergpass sind sehr anspruchsvoll, auch bei Profisportlern beliebt und Austragungsort von Wettbewerben bis hin zu Deutschen Meisterschaften. Ein Schmankerl bietet Balderschwang alljährlich Mitte Dezember, wenn das große Langlauf-Opening über die Bühne geht: Eine Woche lang gibt es Schnupperkurse, Trainingsangebote und Materialtests. Da muss auch Stephanie Holzmann anpacken. An der Rezeption eines Hotels ist sie erster Ansprech- und beliebter Trainingspartner für die Langlaufgäste. Sie hat sogar extra ein Trainingsprogramm ausgetüftelt und berät die sportlichen Touristen, wenn es um die richtige Ausrüstung geht. Manchmal gibt es regelrecht Stau an der Rezeption, weil jeder noch eine Information von ihr benötigt. Aber gelegentlich hat sie ein paar Minuten Zeit und erzählt von ihren Schneeschaufel-Einsätzen im November. „Es ist schön, dass bei uns in Balderschwang alle so zusammenhalten.“