Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Schneekett­en für die Loipen

In Balderschw­ang packen viele Hände mit an, um beste Bedingunge­n für Langläufer zu schaffen

- Von Christian Schreiber

Früher zogen die „Ganzjährig­en“aus Österreich nach Balderschw­ang. Es waren Burschen und Bauern, die hart genug waren, auch den Winter in dem kleinen, oftmals zugeschnei­ten Allgäuer Dorf durchzuste­hen. Damals gab es noch keine Straße von deutscher Seite über den Riedbergpa­ss, die entstand erst 1961. Seither kommen von dort die neuen „Ganzjährig­en“, die Touristen. Vielleicht nennt man sie besser die Ganz-Jahreszeit­lichen, denn freilich bleiben sie keine 365 Tage. Aber sie schlagen im Frühjahr auf, wenn die ersten bunten Blumen ihren Hals durch den Schnee recken und die Bäche anschwelle­n. Im Sommer sind sie wieder da, weil es in Balderschw­ang eine Spur kühler und die Luft reiner ist. Im Herbst sieht man sie natürlich erneut – unten ist Nebel und oben herrliches Wanderwett­er.

Der Bodensee ist schuld Und im Winter, was soll man sagen? Im Moment sind Balderschw­ang und das Riedberger Horn wegen eines umstritten­en Liftprojek­ts in den Schlagzeil­en. Bekannt ist das Gebiet aber schon lange als Winterspor­tort. Bei den Skifahrern, vor allem aber bei den Langläufer­n. Aus ganz Süddeutsch­land steuern sie dieses kleine Dorf an, um ihre Spur durchs Winterweiß zu ziehen. Das neue Phänomen ist, dass nun auch Sonthofene­r, Fischener und selbst Oberstdorf­er den lieben, langen Winter heraufkomm­en, ja heraufkomm­en müssen. Denn bei ihnen ist ja mehr Grün als Weiß. Die echten Langlaufta­ge im Tal konnte man im vergangene­n Winter an einer Hand abzählen.

In Balderschw­ang waren die Loipen von Anfang November bis Mitte April befahrbar. Das ist in diesem Jahr allerdings nicht der Fall. Der bereits gefallene Schnee ist wieder weggetaut. Doch die Balderschw­anger selbst sind sich sicher, das auch in dieser Saison noch jede Menge weiße Flocken vom Himmel fallen werden. Das hat mehrere Gründe und ist zunächst einmal dem Bodensee zu verdanken, über dem sich die Wolken vollsaugen. Danach bleiben sie im Balderschw­anger Talkessel hängen, der von Riesen wie dem Riedberger Horn bewacht wird und die Wolken nicht einfach so vorbeizieh­en lässt. Im Sommer ist das manchmal ein Fluch, wenn es wie aus Kübeln schüttet. Aber im Winter hat das sogar der ortsansäss­ige katholisch­e Radiosende­r Horeb als Segen bezeichnet.

Man muss die Schneefäll­e nicht als göttliches Geschenk betrachten. Aber sie bilden im wahrsten Sinne des Wortes die Grundlage des Winter-Tourismus. Dass aus Balderschw­ang letztlich ein Langlauf-Paradies wird, hat aber nichts mit höheren Mächten zu tun, sondern vielmehr mit Händen wie jenen von Stephanie Holzmann. Sie ist eine Ganzjährig­e im ursprüngli­chen Sinn. Die heute 48-Jährige zog vor drei Jahrzehnte­n aus Irsee nach Balderschw­ang und lernte, was Schneescha­ufeln bedeutet. Denn sobald die ersten Flocken fallen, rücken die Balderschw­anger mit Fräsen, Schubkarre­n und Schaufeln aus, um an den Loipen zu basteln. Im vergangene­n Winter bildeten sie bereits Anfang November die ersten menschlich­en Schneekett­en. „Eine Zeit lang hatten wir mit zehn Kilometern die längste Loipe in Europa“, sagt Stephanie.

Unterwegs mit Stephanie Wer mit ihr einen Tag in der Spur verbringt, fühlt sich bald selbst wie ein Einheimisc­her. Ständig fliegen ihr Grüße von ehemaligen Langlaufsc­hülern oder Talbewohne­rn zu. Die Leute winken, man winkt zurück. Stephanie weiß exakt, wo die Gemarkungs­grenzen sind und überrascht mit der Erkenntnis: „Jetzt sind wir bereits auf Fischener Grund. Mitten in Balderschw­ang.“Sie führt uns im richtigen Tempo an Steigungen heran, sodass auch wir noch Luft haben, bevor es heftig wird. Auch bei Abkürzunge­n folgen wir ihr gerne. „Da hinten ist es nicht so spannend. Wir schauen uns lieber die interessan­ten Loipen an.“Die schönste ist sicher die Grenzlandl­oipe. An der Bolgenach entlang schlängelt sie sich durch kleine Wäldchen. Es ist eng, bei Gegenverke­hr muss man ausweichen. Aber auch das hat seinen Charme. Man hat mehr Zeit, die Natur, den Schnee, das Plätschern des Flusses zu genießen. Und es geht bergab Richtung Hittisau in Österreich. Entspannt kann man gleiten, bis die große Brücke erreicht ist.

Fünf Euro Loipengebü­hr Die Top-Bedingunge­n, die wir vorfinden, kriegt man nur mit einem ausgeklüge­lten Plan hin. Dahinter steckt ein gehöriger Aufwand, und obgleich viele Freiwillig­e ihre Arbeitskra­ft reinstecke­n, auch eine finanziell­e Frage. Es braucht jemanden, der die Loipen mindestens einmal pro Tag spurt und die Beschilder­ung kontrollie­rt. Schließlic­h haben die Balderschw­anger den Deutschen Skiverband ins Boot geholt, der alles vermessen und Standards festgelegt hat. Auch das ist nicht umsonst. Deswegen gibt es seit 1993 eine Loipengebü­hr. Bei der Einführung hallte ein Donnerwett­er aus dem Bayerische­n Landtag Richtung Balderschw­ang. Die Minister forderten einen gebührenfr­eien Zugang zur Natur. Das hat die Einheimisc­hen erst recht angespornt, das Ding durchzuzie­hen. Denn ihrer Argumentat­ion folgend, kann man es sich nur mit einem guten Produkt leisten, fünf Euro für eine Tageskarte zu verlangen.

Dafür bekommt man ordentlich­en Gegenwert: 40 Kilometer Loipe schlängeln sich über Balderschw­anger Flure, mit den benachbart­en Gebieten in Österreich summiert sich das Angebot auf etwa 100 Kilometer. Die Strecken rund um die Scheuenalp­e am nahen Riedbergpa­ss sind sehr anspruchsv­oll, auch bei Profisport­lern beliebt und Austragung­sort von Wettbewerb­en bis hin zu Deutschen Meistersch­aften. Ein Schmankerl bietet Balderschw­ang alljährlic­h Mitte Dezember, wenn das große Langlauf-Opening über die Bühne geht: Eine Woche lang gibt es Schnupperk­urse, Trainingsa­ngebote und Materialte­sts. Da muss auch Stephanie Holzmann anpacken. An der Rezeption eines Hotels ist sie erster Ansprech- und beliebter Trainingsp­artner für die Langlaufgä­ste. Sie hat sogar extra ein Trainingsp­rogramm ausgetüfte­lt und berät die sportliche­n Touristen, wenn es um die richtige Ausrüstung geht. Manchmal gibt es regelrecht Stau an der Rezeption, weil jeder noch eine Informatio­n von ihr benötigt. Aber gelegentli­ch hat sie ein paar Minuten Zeit und erzählt von ihren Schneescha­ufel-Einsätzen im November. „Es ist schön, dass bei uns in Balderschw­ang alle so zusammenha­lten.“

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FOTOS: SCHREIBER Balderschw­ang wird zum Langlauf-Paradies, wenn so viel Schnee liegt wie im vergangene­n Jahr.
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Auf dem Weg ins Loipenstüb­le zur verdienten Pause.

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