Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Dortmunds unberechenbare Frechdachse
Der BVB hat in dieser Saison zwei Gesichter – beim 2:2 in Madrid offenbarten sie ihr schönes
ohl dem, der so viel Talent um sich geschart hat. Der diese ganzen Jung-Siegfriede namens Julian Weigl, Christian Pulisic, Ousmane Dembélé und Co. anleiten darf, noch dazu auf diesen ultraschnellen und megatreffsicheren Stürmer Pierre-Emerick Aubameyang, auf so einen blitzgescheiten Rückkehrer wie Marco Reus und auf einen zweiten Torhüter Roman Weidenfeller zurückgreifen kann, der mit 36 Jahren mal wieder die Krake in sich entdeckt hat. Wohl also Thomas Tuchel, der insgesamt über eine Mannschaft verfügt, die mal eben bei Titelverteidiger Real Madrid ein 0:2 dreht, dank des 2:2 die keinesfalls leichte Gruppe in der Champions League gewinnt und nebenbei mit 21 Treffern noch einen Allzeitrekord für die Gruppenphase aufstellt.
Reihenweise offene Münder In Europa hat der BVB dank seiner spektakulären Darbietungen – 6:0 und 8:4 über Legia Warschau, nun das 2:2 in Madrid – in den letzten Wochen reihenweise offene Münder hinterlassen. „Weigl, Pulisic, Dembélé ... was für Frechdachse. Ein wunderschönes Spektakel für die Zuschauer“, schrieb die spanische Sportzeitung „Marca“über das atemberaubende 2:2. Die Konkurrenz von „As“meinte: „Borussia ist ein Geschenk für die Augen. Aubameyang ist schneller als der Schall.“
Aubameyang, der das zwischenzeitliche 1:2 erzielte und Marco Reus’ Treffer in der Schlussphase vorlegte, gehört mit dem Ball am Fuß zumindest zu den schnellsten Spielern der Welt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Trainer Tuchel da ein Ensemble von ziemlich unberechenbaren Frechdachsen um sich geschart hat. In Europa nimmt kaum jemand wahr, dass die Mannschaft in der Bundesliga regelmäßig zeigt, wie unfertig und unstet sie noch ist und wie ihr Trainer es manchmal übertreibt mit seiner Experimentiertlust. Neun Punkte beträgt der Rückstand auf Tabellenführer Leipzig bereits. Selbst an diesem epischen Madrider Galaabend offenbart der BVB haarsträubende taktische Unzulänglichkeiten. „Es stimmt, dass mit dieser Mannschaft immer was los ist“, sagte Tuchel. „Das ist toll, aber auch nervenaufreibend. Aber es ist ja Unterhaltung, und die wird auf jeden Fall bei uns geboten.“
Er hat es nicht anders gewollt. Als den Borussen im Sommer mal wieder die halbe Mannschaft weggekauft wurde von noch finanzkräftigeren, aber nicht unbedingt aufregenderen Eliteclubs, als mit Ilkay Gündogan, Mats Hummels und Henrikh Mkhitaryan die drei Senatoren der Mannschaft Dortmund verließen, entwickelten Tuchel, Sportchef Michael Zorc und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke einen verwegenen Plan. Wenn schon Umbruch, dann richtig! Wenn sie es nicht verhindern können, dass die richtig reichen Clubs den BVB als Luxus-Ausbildungsstätte verstehen, dann holen sie sich eben die noch jüngeren und noch aufregenderen Offensivtalente nach Dortmund. In Tuchels Experimentierlabor sollten sie wachsen, ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre und dem Trainer nebenbei dabei helfen, weiter an seiner Revolution des Fußballs zu basteln. Und wenn eben irgendwann vielleicht wieder noch größere Clubs auf der Matte stehen würden, um die die dann nicht mehr ganz so unanständig jungen Himmelsstürmer mit horrenden Summen zu locken, sollten sie dem BVB vorher bitte schön noch ein paar schöne Titel beschert haben.
Es war und ist noch immer ein verwegener, aber auch guter Plan. Man konnte ja nicht unbedingt damit rechnen, dass der FC Bayern München schon in dieser Saison einige Probleme offenbart und die Dortmunder Frechdachse sich auf der europäischen Bühne jetzt schon so wohl fühlen, dass ihnen auch der ganz große Coup zugetraut wird. Doch dafür sollten sie vielleicht doch auch mal ein bisschen das Verteidigen für sich entdecken. Für den kommen nach dem Gruppensieg von Borussia Dortmund nur sechs Vereine als Gegner im Achtelfinale der Champions League infrage. Die Münchner sind in ihrer Gruppe Zweiter geworden und müssen gegen einen Gruppensieger ran. Bi der Auslosung am Montag gilt der FC Barcelona als stärkster möglicher Gegner. Dazu kommen Juventus und der SSC Neapel, der AS Monaco sowie die englischen Clubs FC Arsenal und Leicester City. Ein deutsches Duell ist im Achtelfinale nicht möglich, ebenso ein Aufeinandertreffen mit Bayerns Gruppengegner Atlético Madrid. Fest steht, dass die Münchner das Hinspiel am 14./15. oder 21./22. Februar im eigenen Stadion bestreiten werden. Champions League (6. Spieltag):