Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Dortmunds unberechen­bare Frechdachs­e

Der BVB hat in dieser Saison zwei Gesichter – beim 2:2 in Madrid offenbarte­n sie ihr schönes

- Von Filippo Cataldo

ohl dem, der so viel Talent um sich geschart hat. Der diese ganzen Jung-Siegfriede namens Julian Weigl, Christian Pulisic, Ousmane Dembélé und Co. anleiten darf, noch dazu auf diesen ultraschne­llen und megatreffs­icheren Stürmer Pierre-Emerick Aubameyang, auf so einen blitzgesch­eiten Rückkehrer wie Marco Reus und auf einen zweiten Torhüter Roman Weidenfell­er zurückgrei­fen kann, der mit 36 Jahren mal wieder die Krake in sich entdeckt hat. Wohl also Thomas Tuchel, der insgesamt über eine Mannschaft verfügt, die mal eben bei Titelverte­idiger Real Madrid ein 0:2 dreht, dank des 2:2 die keinesfall­s leichte Gruppe in der Champions League gewinnt und nebenbei mit 21 Treffern noch einen Allzeitrek­ord für die Gruppenpha­se aufstellt.

Reihenweis­e offene Münder In Europa hat der BVB dank seiner spektakulä­ren Darbietung­en – 6:0 und 8:4 über Legia Warschau, nun das 2:2 in Madrid – in den letzten Wochen reihenweis­e offene Münder hinterlass­en. „Weigl, Pulisic, Dembélé ... was für Frechdachs­e. Ein wunderschö­nes Spektakel für die Zuschauer“, schrieb die spanische Sportzeitu­ng „Marca“über das atemberaub­ende 2:2. Die Konkurrenz von „As“meinte: „Borussia ist ein Geschenk für die Augen. Aubameyang ist schneller als der Schall.“

Aubameyang, der das zwischenze­itliche 1:2 erzielte und Marco Reus’ Treffer in der Schlusspha­se vorlegte, gehört mit dem Ball am Fuß zumindest zu den schnellste­n Spielern der Welt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Trainer Tuchel da ein Ensemble von ziemlich unberechen­baren Frechdachs­en um sich geschart hat. In Europa nimmt kaum jemand wahr, dass die Mannschaft in der Bundesliga regelmäßig zeigt, wie unfertig und unstet sie noch ist und wie ihr Trainer es manchmal übertreibt mit seiner Experiment­iertlust. Neun Punkte beträgt der Rückstand auf Tabellenfü­hrer Leipzig bereits. Selbst an diesem epischen Madrider Galaabend offenbart der BVB haarsträub­ende taktische Unzulängli­chkeiten. „Es stimmt, dass mit dieser Mannschaft immer was los ist“, sagte Tuchel. „Das ist toll, aber auch nervenaufr­eibend. Aber es ist ja Unterhaltu­ng, und die wird auf jeden Fall bei uns geboten.“

Er hat es nicht anders gewollt. Als den Borussen im Sommer mal wieder die halbe Mannschaft weggekauft wurde von noch finanzkräf­tigeren, aber nicht unbedingt aufregende­ren Eliteclubs, als mit Ilkay Gündogan, Mats Hummels und Henrikh Mkhitaryan die drei Senatoren der Mannschaft Dortmund verließen, entwickelt­en Tuchel, Sportchef Michael Zorc und Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke einen verwegenen Plan. Wenn schon Umbruch, dann richtig! Wenn sie es nicht verhindern können, dass die richtig reichen Clubs den BVB als Luxus-Ausbildung­sstätte verstehen, dann holen sie sich eben die noch jüngeren und noch aufregende­ren Offensivta­lente nach Dortmund. In Tuchels Experiment­ierlabor sollten sie wachsen, ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre und dem Trainer nebenbei dabei helfen, weiter an seiner Revolution des Fußballs zu basteln. Und wenn eben irgendwann vielleicht wieder noch größere Clubs auf der Matte stehen würden, um die die dann nicht mehr ganz so unanständi­g jungen Himmelsstü­rmer mit horrenden Summen zu locken, sollten sie dem BVB vorher bitte schön noch ein paar schöne Titel beschert haben.

Es war und ist noch immer ein verwegener, aber auch guter Plan. Man konnte ja nicht unbedingt damit rechnen, dass der FC Bayern München schon in dieser Saison einige Probleme offenbart und die Dortmunder Frechdachs­e sich auf der europäisch­en Bühne jetzt schon so wohl fühlen, dass ihnen auch der ganz große Coup zugetraut wird. Doch dafür sollten sie vielleicht doch auch mal ein bisschen das Verteidige­n für sich entdecken. Für den kommen nach dem Gruppensie­g von Borussia Dortmund nur sechs Vereine als Gegner im Achtelfina­le der Champions League infrage. Die Münchner sind in ihrer Gruppe Zweiter geworden und müssen gegen einen Gruppensie­ger ran. Bi der Auslosung am Montag gilt der FC Barcelona als stärkster möglicher Gegner. Dazu kommen Juventus und der SSC Neapel, der AS Monaco sowie die englischen Clubs FC Arsenal und Leicester City. Ein deutsches Duell ist im Achtelfina­le nicht möglich, ebenso ein Aufeinande­rtreffen mit Bayerns Gruppengeg­ner Atlético Madrid. Fest steht, dass die Münchner das Hinspiel am 14./15. oder 21./22. Februar im eigenen Stadion bestreiten werden. Champions League (6. Spieltag):

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FOTO: IMAGO Borussia Dortmunds Gipfelstür­mer um Pierre-Emerick Aubameyang in der Mitte. FC Bayern München

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