Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Bund und Länder gehen aufeinander zu
Wichtige Einigungen bei den Finanzen – Kommunen warnen vor Zentralismus
BERLIN - Grundsatzeinigung im Streit über die Bund-Länder-Finanzen: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder haben entscheidende Hindernisse für die Reform aus dem Weg geräumt. „Im Grundsatz ist das heute ein Riesenschritt“, erklärte Merkel in der Nacht zu gestern. Es sei fair, ehrlich und hart verhandelt worden. Historischer Durchbruch oder Kompromiss mit Hintertürchen? Hintergründe zum Ausgang der Bund-Länder-Verhandlungen.
Streitpunkte: Gestritten wurde über eine Reihe von Grundgesetzänderungen, die das Verhältnis und die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu regeln sollen. In der neunstündigen Marathonsitzung im Kanzleramt einigten sich Merkel und die Ministerpräsidenten auf Änderungen an insgesamt 13 Stellen des Grundgesetzes. Das Bundeskabinett soll die Vorlagen dazu in der kommenden Woche auf den Weg bringen. Danach müssen Bundestag und Bundesrat noch mit Zwei-DrittelMehrheit zustimmen. Die Länder hatten zuvor vor zu weitgehenden Eingriffsmöglichkeiten des Bundes in ihre Kompetenzen gewarnt. Die Kommunen kritisierten gestern die Beschlüsse und warnten vor einer fortschreitenden Zentralisierung des politischen Systems.
Autobahngesellschaft: Hier gab es eine Einigung. Die Privatisierung von Autobahnen und Bundesstraßen wird ausgeschlossen. „Für uns Länder war entscheidend, dass sowohl die Autobahnen als auch die neue Infrastrukturgesellschaft im unveräußerlichen Eigentum des Bundes verbleiben. Das wird im Grundgesetz festgeschrieben“, erklärte Erwin Sellering (SPD), Regierungschef von Mecklenburg-Vorpommern und Chef der Ministerpräsidentenkonferenz. Die neue Gesellschaft soll zu Jahresbeginn 2021 die Verwaltung für Planung und Erhalt aller Bundesautobahnen übernehmen. Eine Übertragung der Bundesstraßen an die Gesellschaft ist nicht vorgesehen – es sei denn, ein Land wünscht, die Verantwortung für die Bundesstraßen abzugeben.
Flüchtlingspolitik: Zwar gab es dazu keinen offiziellen Beschluss, doch sind sich Bund und Länder einig, rasch eine koordinierende Behörde für die Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern einzurichten. Über die genaue Mitarbeiterzahl wird noch gestritten. Die zunächst vorgesehene Personalausstattung ist aus Sicht der Länder zu gering.
Schulsanierungsprogramm: Der Bund wird in den nächsten Jahren rund 3,5 Milliarden Euro für die Sanierung von Schulen in besonders finanzschwachen Kommunen zur Verfügung stellen. Dazu wird Artikel 104c des Grundgesetzes neu gefasst. Nach Informationen unserer Berliner Redaktion soll mit 1,12 Milliarden Euro rund ein Drittel der Mittel nach Nordrhein-Westfalen fließen. Für Bayern sind 293 Millionen Euro vorgesehen, für Baden-Württemberg etwa 251 Millionen, für Niedersachsen 288 Millionen, für Brandenburg 102 Millionen sowie für MecklenburgVorpommern 75 Millionen Euro. Gegen die geplanten Grundgesetzänderungen und die Verteilung der Mittel gebe es allerdings noch Bedenken unter anderem aus Bayern, Hessen und Baden-Württemberg. Reform des Unterhaltsvorschusses für Alleinerziehende: Alleinerziehende erhalten den staatlichen Vorschuss, wenn der unterhaltspflichtige Partner nicht oder zu wenig zahlt. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) will die Altersgrenze für den Unterhaltsvorschuss von derzeit zwölf auf 18 Jahre anheben. Außerdem soll die bestehende Begrenzung der Bezugsdauer auf sechs Jahre aufgehoben werden. Die jährlichen Mehrausgaben durch die Reform werden auf 790 Millionen Euro geschätzt. 260 Millionen Euro davon entfallen laut Vorlage auf den Bund, 530 Millionen Euro auf die Länder. Es gebe hier noch viele offene Fragen, unter anderem bei der Finanzierung, hieß es gestern in Länderkreisen. Eine hochrangige Arbeitsgruppe unter anderem mit Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) soll nun rasch eine Lösung finden.
Länderfinanzausgleich: Der Länderfinanzausgleich, gegen den drei Bundesländer geklagt hatten, wird auf eine neue Grundlage gestellt. Das bisherige System mit zwei Stufen der Umverteilung und einem Gesamtvolumen von 17,5 Milliarden Euro soll vereinfacht werden. Der Bund entlastet die Länder unter dem Strich um 9,5 Milliarden Euro – um 116 Euro je Einwohner. Bayern kann mit 1,35 Milliarden Euro rechnen und Baden-Württemberg mit 961 Millionen Euro.