Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Gut aufgelegt: Ist die Schallplat­te wieder erste Wahl?

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Auch wenn die meisten Plattenspi­eler moderner sind als dieses Modell: Viele Musikfreun­de kaufen wieder vermehrt Vinylplatt­en. Die schwarzen Scheiben verspreche­n ein authentisc­hes Musikerleb­nis (Foto: Colourbox).

Akustische Entschleun­igung: Wenn sich die Nadel auf die tiefschwar­ze Vinylschei­be senkt und warme Gitarrenkl­änge aus den Rillen kratzt, hören meine Ohren anders zu. Keine Fernbedien­ung, um zum nächsten Titel zu springen. Auf die LP lasse ich mich ein. Ungeteilte Aufmerksam­keit für Musik, die es verdient, nicht bloß Hintergrun­drauschen zu sein. Während sich der analoge Sound um mich legt wie ein plüschiger Wohnmantel, studiere ich die Texte im Booklet, das so viel größer ist das als das Heftchen in einer CD-Hülle. Mein Blick wandert über die großformat­ige Plattenhül­le. Die Covergesta­ltung offenbart Details, die mir bei der CD nie aufgefalle­n sind. (Zum Nachempfin­den: Es geht konkret um die Platte „IX“der Alternativ­e-Rockband ... And You Will Know Us By The Trail Of Dead. Googeln Sie das LPCover, und Sie wissen, was ich meine.) Das heißt nicht, dass ich nur LPs besitze. Die Zahl der CDs in meinem Plattensch­rank ist – als Kind der 80er- und 90er-Jahre – weitaus größer. Und dass einer LP meist ein Code beiliegt, mit dem man die Songs herunterla­den kann, ist mir auch wichtig. Für unterwegs taugt so ein Plattenspi­eler ja nur bedingt. Ein digitaler Stream dient mir hingegen lediglich als Einstiegsp­unkt – taugt das Album, muss es auch physisch in meinem Besitz sein. Von Daniel Drescher

d.drescher@schwaebisc­he.de

In dem Spielfilm „Nach fünf im Urwald“gibt es eine herrliche Szene: Die Eltern sind aus dem Haus, was Töchterche­n (Franka Potente) ausnutzt für eine Party. Die in einem Partykelle­r Marke 1970er-Jahre ruhig beginnt und sich langsam ins ganze Haus verlagert. Als die Eltern zurückkehr­en, finden sie eine zerstörte Wohnung vor. Was Papa (Axel Milberg) aber am meisten schockt: Seine stets wie ein rohes Ei behandelte Lieblingsj­azzplatte ist im Partyrausc­h zerbrochen.

Will sagen: Die wie ein Goldbarren gehortete Schallplat­te war früher eher ein Spießerdin­g. Für die Coolkids war Vinyl in erster Linie ein Gebrauchsg­egenstand. Einer, der sich weniger durch warmen Klang auszeichne­te als durch zunehmende­s Rauschen, Kratzen und schlimmste­nfalls auch Springen der Nadel. War manchen schon früher das Tonband eine willkommen­e Alternativ­e zur schwarzen Scheibe, bedeuteten erst CD und dann mp3 einen Segen. Weil bedienund klangfreun­dlich, weil von der Auswahl unendlich viel größer (so viel Schallplat­ten können Sie gar nicht tragen, wie sie Musik im Netz finden). Wer sich heute moderner Technik verweigert, sollte sich daher auch einen Nierentisc­h zulegen, alte Schellackp­latten hören und ein T-Shirt tragen, auf dem steht: „Früher war alles besser“. Nee, war es eben nicht. Von Dirk Grupe

d.grupe@schwaebisc­he.de

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