Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ausweglose Situation

- Von Susanne● Güsten

Falls der türkische Präsident Erdogan geglaubt haben sollte, die Lage in seinem Land mithilfe des Ausnahmezu­standes unter Kontrolle bringen zu können, dann hat er sich offensicht­lich getäuscht. Obwohl die Sicherheit­sbehörden freie Hand bei der Verfolgung von Verdächtig­en haben, können Gewalttäte­r unbemerkt mit einer 300-KiloAutobo­mbe mitten ins Stadtzentr­um von Istanbul fahren und ein Blutbad anrichten.

Spätestens der schrecklic­he Doppel-Anschlag am Samstagabe­nd in der Metropole Istanbul macht deutlich, dass der immer weiter vorangetri­ebene Ausbau polizeilic­her Vollmachte­n und der gleichzeit­ige Abbau rechtsstaa­tlicher Absicherun­gen den Terror nicht aufhalten können. Manche Kritiker werfen Erdogan vor, mit den Säuberungs­wellen seit dem Putschvers­uch vom Juli viele Antiterror-Experten von ihren Posten entfernt zu haben.

Mehr denn je hätte die Türkei jetzt eine gesamtgese­llschaftli­che Diskussion über Freiheitsr­echte, Minderheit­en und die Instrument­e des Rechtsstaa­tes nötig. Doch daran ist nicht zu denken. Die Chefs der legalen Kurdenpart­ei HDP sitzen hinter Gittern, fast 200 Journalist­en ebenfalls. Wer nicht für mich ist, ist ein Landesverr­äter – mit dieser Formel will Erdogan die Errichtung einer Präsidialr­epublik durchsetze­n. Dieses neue System werde dem Land Ruhe und Stabilität bescheren, verspricht er. Doch zumindest vorerst eskaliert die Gewalt in der Türkei weiter.

Die kommenden Monate verspreche­n keinerlei Verbesseru­ng der Lage. Im Januar beginnt im Parlament in Ankara die Debatte über die Umstellung auf das Präsidials­ystem, im Frühjahr oder Sommer soll dann eine Volksabsti­mmung darüber stattfinde­n. Schon unter normalen Umständen würde ein solch umstritten­es Vorhaben ein Land politisch erschütter­n. In der Türkei mit ihren zahlreiche­n ungelösten Konflikten und der seit diesem Sommer stark zunehmende­n Repression könnte das Blutbad von Besiktas womöglich der Auftakt einer neuen Welle von Gewalttate­n gewesen sein.

politik@schwaebisc­he.de

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