Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Angeklagte
Für Christine Lagarde beginnen am heutigen Montag sieben Tage Urlaub. Doch statt sich von ihrem Job zu erholen, sitzt die IWF-Chefin in Paris auf der Anklagebank. Der Gerichtshof der Republik untersucht den Vorwurf der Fahrlässigkeit gegen die 60-Jährige in ihrer Zeit als Finanzministerin. Im Dauerstreit zwischen der Ex-Staatsbank Crédit Lyonnais und Bernard Tapie um den Verkauf des Sportartikelherstellers Adidas hatte Lagarde 2008 ein privates Schiedsgericht eingeschaltet.
Das sprach dem Geschäftsmann Tapie rund 400 Millionen Euro Schadensersatz aus öffentlichen Geldern zu – eine Entscheidung, gegen die die Ministerin keine Berufung einlegte. Nun muss die frühere Anwältin sich vor dem Gerichtshof verantworten, der sich mit Verstößen von Regierungsmitgliedern während ihrer Amtszeit befasst. Das Gremium tagte seit 1993 erst viermal.
Der Fall Christine Lagarde ist heikel, denn die elegante Finanzmanagerin wurde erst im Frühjahr für eine zweite Amtszeit als Chefin des Internationalen Währungsfonds bestätigt. „Ich habe ein reines Gewissen, denn ich habe mich immer im Interesse des Staates engagiert“, sagte sie bereits 2011, als die Ermittlungen nach ihrer Nominierung an die IWFSpitze begannen. Zwei Jahre später durchsuchte die Polizei die Pariser Wohnung der ChefÖkonomin. Ihren Versuch, den Prozess zu stoppen, wies das Kassationsgericht im Juli zurück.
Dem Prozessbeginn sieht die geschiedene Mutter zweier erwachsener Söhne gelassen entgegen: “Meine Anwälte werden die juristischen Mittel finden, um dieser seltsamen Situation zu begegnen“, sagte die Angeklagte, der ein Jahr Haft und 15 000 Euro Geldstrafe drohen, dem Magazin „L’Obs“. 53 Prozent ihrer Landsleute haben laut einer Umfrage von 2015 eine gute Meinung von ihr.
Christine Longin