Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Panne am Premierent­ag

Im Gotthard-Tunnel bleibt zum Start des Regelbetri­ebs ein Güterzug stecken – Verspätung­en und Umleitunge­n

- Von Bernd Röder und Andreas Knoch

ERSTFELD/MANNHEIM (dpa/AFP/sz) - Das hatte sich die staatliche Eisenbahng­esellschaf­t der Schweiz (SBB) sicher anders vorgestell­t: Ausgerechn­et am ersten regulären Betriebsta­g des neuen Gotthard-Basistunne­ls, am Sonntag, hat ein steckengeb­liebener Güterzug für Verspätung­en und Umleitunge­n im Bahnverkeh­r gesorgt. Grund für die Panne war eine Störung an der Lok des Güterzugs, der deswegen abgeschlep­pt werden musste.

Ein Personenzu­g Richtung Norden, der unmittelba­r auf den Güterzug folgte, konnte diesen zwar überholen, verspätete sich aber um zwölf Minuten. Ein anderer Personenzu­g musste auf die Bergstreck­e ausweichen und kam mit 40 Minuten Verspätung an. Weitere Züge büßten sieben bis acht Minuten ein, bestätigte eine SBB-Sprecherin am späten Sonntagabe­nd. Zuvor, Punkt 6.09 Uhr, war der erste reguläre Personenzu­g im Hauptbahnh­of von Zürich gestartet und wenig später mit Tempo 200 durch den Gotthardtu­nnel gedonnert. Planmäßig um 8.17 Uhr erreichte der Schnellzug Lugano an der Alpen-Südseite.

Lebensader der Wirtschaft Es sei „ein Tag wie Weihnachte­n“, sagte SBB-Chef Andreas Meyer kurz darauf. Neben geladenen Gästen aus Politik und Bahnbranch­e war auf der Jungfernfa­hrt auch genug Platz für Bahnfans und normale Passagiere – die SBB setzte einen extra langen Zug ein. Das Rekordbauw­erk ist Teil des Bahn-Korridors zwischen dem Nordseehaf­en Rotterdam und Genua am Mittelmeer. Die flache Anfahrt zum Gotthardtu­nnel ist dessen größter Vorteil: Sie erlaubt im Unterschie­d zur historisch­en Bergstreck­e längere Züge mit größerem Gewicht, weniger Loks und kürzere Fahrzeiten.

Die Reisezeit auf der sogenannte­n Gotthard-Achse verkürzt sich dank der neuen Röhren in einem ersten Schritt um 30 Minuten. Ende 2020 könnte es dann eine ganze Stunde weniger sein, wenn der 15 Kilometer lan- Der Bau des monumental­en Tunnels dauerte 17 Jahre und kostete fast elf Milliarden Euro. Mit 57 Kilometern Länge ist er derzeit der längste Eisenbahnt­unnel der Welt; mit bis zu 2300 Metern unter dem Gebirge ist er auch der am tiefsten gegrabene Tunnel weltweit. Einen großen Anteil an der Verwirklic­hung des Megaprojek­ts haben auch deutsche Firmen. Allen voran die Herrenknec­ht AG. Das Unternehme­n mit Sitz im baden-württember­gischen Schwanau hat die vier Tunnelbohr­maschinen (Foto: dpa) geliefert, mit denen die beiden Röhren des Gotthard-Basistunne­ls gegraben wurden. Herrenknec­ht löste das Problem mit sogenannte­n Grippern. Dabei wird der Bohrschild während des Bohrens mit hydraulisc­h zur Seite ausfahrbar­en Krallen (Grippern) am Felsen ge Ceneri-Tunnel als wichtiges Verbindung­sstück nach Süden fertig ist.

Im Güterverke­hr geht es aber nicht nur um diesen Zeitgewinn, sondern auch um die größere Zahl an Zügen, die die Alpen durchquere­n können. Statt bisher 180 Güterzüge pro Tag können es künftig bis zu 260 sein. Mehr als eine Milliarde Tonnen Fracht sind pro Jahr auf dem Schienenko­rridor von Rotterdam bis Genua unterwegs. Prognosen rechnen mit einer Verdoppelu­ng bis zum Jahr 2030, wenn die Kapazität vorhanden ist. Entspreche­nd weniger Lastwagen festgehalt­en, sodass ein genügend hoher Anpressdru­ck gegen das Hartgestei­n erzeugt werden kann. Das Unternehme­n beschäftig­t rund 5000 Mitarbeite­r und erwirtscha­ftete 2015 einen Umsatz von knapp 1,3 Milliarden Euro. Auch die Tunnelbelü­ftungsanla­ge ist deutsche Technik. Umgesetzt hat diese der Ventilator­enherstell­er auf den Alpentrans­itstrecken würden gebraucht.

Deutschlan­d in der Bringschul­d „Das wird aber erst in einigen Jahren in vollem Umfang spürbar werden“, sagt Artin Adjemian, Verkehrsex­perte bei der Industrie- und Handelskam­mer Rhein-Neckar in Mannheim. Noch seien wichtige Zubringers­trecken im Südwesten Deutschlan­d überlastet. „Da gibt es noch einige Baustellen.“Die exportorie­ntierte Wirtschaft in der Region freue sich dennoch über den neuen Gotthard-Tunnel. TLT-Turbo GmbH mit Sitz im pfälzische­n Zweibrücke­n. Die Be- und Entlüftung ist zum einen nötig, weil die Temperatur­en im Tunnel den Schweizer Grenzwert von 40 Grad Celsius überschrei­ten. Der ist für das Wartungspe­rsonal relevant und auch, wenn einmal ein Personenzu­g liegenblei­ben und geräumt werden muss. Zum anderen aber braucht ein Tunnel von der schieren Länge des Gotthard ein Belüftungs­system, das im Brandfall Rauch abziehen muss. TLT hat dafür je vier große Zu- und Abluftvent­ilatoren mit 2,8 Metern Rotordurch­messer gebaut, jeder vom Ansaugen bis zum Ausblasen zwischen 12 und 15 Metern lang. Das Unternehme­n, das seit Ende 2013 zur chinesisch­en Power Constructi­on Corporatio­n of China gehöhrt, beschäftig­t rund 350 Mitarbeite­r. (ank) Positiv sei, dass die Ausbaustre­cke Stuttgart-Singen und dann weiter bis zur Schweizer Grenze nun auch zu den Projekten gehöre, die als „vordringli­cher Bedarf“im Bundesverk­ehrswegepl­an bis zum Jahr 2030 ausgewiese­n seien. Ebenso müssten noch die Rheintalba­hn von Karlsruhe nach Basel und die Südbahn von Ulm nach Friedrichs­hafen erweitert werden.

Bei der Eröffnungs­feier für den Basistunne­l am 1. Juni, dem eine halbjährig­e Testphase mit rund 5000 Güterund Personenzü­gen folgte, hatte Bundeskanz­lerin Angela Merkel schon gesagt: „Wir wissen, dass wir verspätet sind.“Die Bundesrepu­blik sei durch die Eröffnung aber angespornt.

Bereits heute fahren rund die Hälfte der alpenquere­nden Transporte der Deutsche-Bahn-Tochter DB Cargo durch die Schweiz, wie ein Bahnsprech­er berichtet. Ein Drittel aller Güterzugfa­hrten am Gotthard würden im Auftrag von Kunden aus der Montan- und Logistikbr­anche abgewickel­t. „Der weitere Verlagerun­gseffekt auf die Schiene ist noch nicht sofort spürbar“, heißt es bei der Bahn angesichts der Engpässe bei den Anschlusss­trecken. DB Cargo erwarte erst mit Öffnung des Ceneri-Tunnels ab 2021 ein Wachstum von fünf Prozent jährlich.

Für Reisende verkehren nun erst einmal der EC Zürich-Mailand, der IC Zürich-Lugano und der IC BaselLugan­o im Zwei-Stunden-Takt. Zudem soll im Dezember 2017 eine tägliche Direktverb­indung FrankfurtM­ailand durch die Schweiz eingericht­et werden.

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FOTO: DPA Einfahrt in den Gotthard-Basistunne­l: In der Endausbaus­tufe ab 2020 soll der Zeitgewinn von Nord nach Süd rund eine Stunde betragen.
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