Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Viel Geschrei im alten Theben
Hans Neuenfels’ enttäuschende Inszenierung der Tragödie „Antigone“in München
MÜNCHEN - Es wird viel geschrien in Hans Neuenfels’ Inszenierung von Sophokles’ „Antigone“im Münchner Residenztheater. Da bleibt wenig Platz für Figurenzeichnung. Dabei fängt es schlüssig an: Vor dem bauschigen weißen Vorhang hauen die Schwestern Ismene (Anna Graenzer) und Antigone (Valery Tscheplanowa) ihre Köpfe auf den Boden. Sie trauern um ihre Brüder Eteokles und Polyneikes, die einander im Zweikampf um Theben töteten. Kreon, Herrscher von Theben und Onkel der Mädchen, hat verboten Polyneikes zu bestatten, weil dieser Theben angegriffen hatte. Jetzt rottet sein Leichnam vor den Toren der Stadt vor sich hin. Antigone will das nicht dulden, sie beerdigt ihn.
Kreons Reich ist ein Museumsdepot (Bühne: Katrin Connan). Dort stehen schwarze Schrankkisten vor einer blau grundierten Wand mit dem Slogan: „Der Krieg ist vorbei. Das Lied der Vögel könnte beginnen“. Rechts blicken zwei Götterstatuen aus geöffneten Kisten ins Publikum. Denen streckt Kreon (Norman Hacker) zur Legitimierung seiner Macht eine Schriftrolle entgegen. Aber um Macht und sympathischen zivilen Ungehorsam, wie Antigones Haltung gewöhnlich interpretiert wird, geht es hier nicht wirklich.
Wenn Valery Tscheplanowa wie ferngesteuert mit von Fußfesseln gehemmten Schritten zum Bühnenrand drängt, als wollte sie sich dort runterstürzen, und dabei monoton ihr Credo vom Recht der Götter ins Publikum plärrt, dann weckt dieser Ausbruch eher Assoziationen an fundamentalistische Schreihälse. Doch das ist nur ein Schlenker in Neuenfels’ Inszenierung, die Einfälle auffährt, ohne eine schlüssige Gedankenlinie zu knüpfen.
Da marschiert eine Leibgarde mit antikisierenden Augenmasken in einer Art Schürzenanzug (Kostüme: Michaela Barth) auf, wie Hausmeister und Henker in Personalunion. Jörg Lichtenstein als Wächter zitiert in Kostüm und Haltung die Weimarer Klassik und ein gespreiztes Theatermimentum und gerät zur Witzfigur. Michele Cuciuffos Teiresias, „der nie ein falsches Wort sprach“, zuckt im Laufställchen herum und gibt mit hohler Stimme das Orakel, bevor er erneut zusammenfällt. Anett Pachulskis Eurydike ist ein glitzernder Roboter.
Hilfloser Herrscher Kreon Norman Hackers Kreon lässt bei aller cholerischen Autokratie immer wieder mit kleinen Zeichen erkennen, dass er seine Schwiegertochter in spe, Antigone, eigentlich gar nicht verurteilen will. Nachdem er ihre Einmauerung befohlen hat, verlässt er schwankend den Raum. Er will nur das Beste für seine Familie. Doch dahinter steckt auch die unselige wilhelminische Haltung: Und was das ist, bestimme ich. Sohn Haimon (Christian Erdt) hat ein braver Untertan zu sein. Erst Teiresias’ Orakel, einer aus Kreons Familie werde sterben, bewirkt einen Sinneswandel. Aber da ist es zu spät.
Neuenfels hat die Tragödie zum Familiendrama heruntergebrochen und seine Frau Elisabeth Trissenaar zur Vermittlerin gemacht. Als Frau aus Theben ersetzt sie den Chor, umsorgt Kreon, versucht ihn zu besänftigen, stachelt Haimon an, kommt immer wieder aus ihrer Ecke hervor, um einzugreifen. Wie ein altes Kindermädchen hat sie einen gewissen Einfluss. Ändern kann sie den Lauf der Dinge nicht, berühren leider auch nicht. Das schafft schließlich Thomas Huber als Bote. Den hat die Katharsis durch Furcht und Mitleid voll in den Klauen: Hysterisch, hyperventilierend, heulend berichtet er dem lädierten Kreon vom Tod Antigones, Haimons und Eurydikes. Und bringt ein Gefühl von Trauer über den sinnlosen Untergang einer Familie ins Spiel.
Weitere Vorstellungen: 14.12., 21.12., 3.1., 11.1., 24.1. Karten: Tel. 089/2185 1940, www.residenztheater.de