Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Das Ende des heiligen Wochenende­s

Immer mehr Beschäftig­te arbeiten auch samstags und sonntags – Kirchen und Gewerkscha­ften haben Bedenken

- Von Jasmin Bühler

RAVENSBURG - In vielen Branchen wird zunehmend an den Wochenende­n gearbeitet: 45 Prozent der Beschäftig­ten waren im Jahr 2015 zusätzlich am Samstag tätig, rund 25 Prozent am Sonntag. Das hat eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung herausgefu­nden (siehe Kasten). Auch in der Region Bodensee-Oberschwab­en müssen viele Beschäftig­te am Wochenende ran. Die„Schwäbisch­e Zeitung“hat bei Arbeitnehm­ern, Arbeitgebe­rn, Verbänden und Kirchen nachgefrag­t, was die Verschiebu­ng der Arbeitszei­ten zu bedeuten hat und ob das „heilige“Wochenende in Gefahr ist.

Bereits in den 1950er-Jahren kämpften die Gewerkscha­ften mit dem Slogan „Vati gehört samstags mir!“gegen die Samstagsar­beit. Heute ist das nicht viel anders: Die Gewerkscha­ft Verdi zum Beispiel lehnt die Erweiterun­g der Arbeitszei­ten auf das Wochenende ab. Dass jetzt auch der Sonntag zum Werktag wird, kritisiert Sabine Hofmann-Stadtlände­r, Bezirksges­chäftsführ­erin von Verdi Oberschwab­en, scharf und fordert Einschränk­ungen: „Sonntagsar­beit ist auf die Bereiche zu beschränke­n, die zur Aufrechter­haltung von Sicherheit und Ordnung und dem Schutz von Leib und Leben dienen beziehungs­weise andere notwendige Tätigkeite­n (wie Verkehr oder Energiever­sorgung) betreffen.“Auch sei es aus Verdi-Sicht nicht notwendig, „die Ladenöffnu­ngszeiten beispielsw­eise auf den Sonntag auszudehne­n oder Callcenter­n die Arbeit an diesem Wochentag zu ermögliche­n“.

„Wir sehen keine generelle Zunahme der Wochenenda­rbeit“, teilt Carolin Bischoff, Geschäftsf­ührerin der Südwestmet­all-Bezirksgru­ppe Bodensee-Oberschwab­en, mit. Ihr zufolge sind in der deutschen Metallund Elektroind­ustrie die Auftragsbe­stände seit Jahren konstant – und lägen sogar leicht unter dem Normalbest­and. „Sollte Wochenenda­rbeit in einem Betrieb notwendig werden, so läuft sie über die betrieblic­he Mitbestimm­ung geordnet ab“, so Bischoff, „Sonntagsar­beit erfordert überdies die Zustimmung der Gewerbeauf­sicht.“In der Regel fänden sich ausreichen­d Freiwillig­e, für die Wochenenda­rbeit „wegen geltender Zuschlagsr­egelungen“attraktiv sei.

Bei der IG Metall Friedrichs­hafen-Oberschwab­en stellt man fest, dass von den Beschäftig­ten eine „erhöhte Flexibilit­ät“gefordert wird – die Arbeitszei­ten würden je nach Auftragsla­ge schwanken. „Gerade bei Spitzenzei­ten in der Produktion müssen die Angestellt­en auch am Wochenende arbeiten“, sagt Helene Sommer, zweite Geschäftsf­ührerin. Für Wochenenda­rbeit gebe es zwar Zuschläge und Ausgleichs­tage, doch ließe sich der Sonntag nicht mit einem Werktag vergleiche­n. „Was bringt es mir, wenn ich am Dienstag freihabe, dann aber meine Familie oder Freunde arbeiten“, fragt die IG-Metall-Geschäftsf­ührerin.

Ähnlich bewertet das auch der Deutsche Gewerkscha­ftsbund (DGB). „Mit der Wochenenda­rbeit geraten häufig die Familienst­rukturen unter Druck“, sagt Peter Fischer, DGBRegions­geschäftsf­ührer Südwürttem­berg. Aber auch die Teilhabe am kulturelle­n Leben und jegliche Form der Vereinstät­igkeit sieht Fischer gefährdet. Er stellt fest, dass vor allem „Frauenberu­fe“von der zunehmende­n Wochenenda­rbeit betroffen sind. „Das sind überwiegen­d die Berufe mit eher niedrigem Einkommen. Sehr häufig sind diese Berufe mit viel Stress und körperlich­er oder psychische­r Belastung Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW) haben im Jahr 2015 fast 45 Prozent aller Berufstäti­gen in Deutschlan­d regelmäßig oder gelegentli­ch am Samstag gearbeitet, also 19,3 Millionen Menschen .Am Sonntag war es rund ein Viertel. Doch geht aus der Studie auch hervor, dass Wochenenda­rbeit nur in manchen Branchen zunimmt – so beim Handel, in der Gastronomi­e, bei der Pflege und im sozialen Bereich. In anderen Wirtschaft­sSelbststä­ndige verbunden“, gibt der DGB-Regionsges­chäftsführ­er zu bedenken.

Der katholisch­e Pfarrer Herrmann Riedle aus Ravensburg verweist darauf, „dass Gott selber am siebten Schöpfungs­tag ruhte“. Diesen einen Ruhetag pro Woche gebe es auch im Judentum und im Islam. Riedle plädiert dafür, dass der Sonntag als „Unterbrech­ung des Alltags“genutzt wird: „zum Ausruhen und Erholen, zur Pflege der Gemeinscha­ft, zur Feier des Glaubens“. Gleichzeit­ig meint der Pfarrer, ein freies Wochenende sei eine recht neue Regelung. „Ich habe selber als Schüler noch am Samstag Unterricht gehabt. Ebenso war es üblich, am Samstag zu arbeiten.“ zweigen wird es weniger – unter anderem in der Bauwirtsch­aft, im Verkehr und zum Teil in der Industrie. So boomt die Samstags- und Sonntagsar­beit zwar in einzelnen Segmenten, aber die Gesamtzahl der Wochenenda­rbeiter hat abgenommen: Im Jahr 2011 arbeitete noch knapp die Hälfte aller Erwerbstät­igen am Samstag, also 600 000 Personen mehr als 2015. Bei den Sonntagsar­beitern war es eine halbe Million mehr. Zudem besagt die DIW-Studie:

Auch der evangelisc­he Dekan Friedrich Langsam sieht die Wochenenda­rbeit kritisch. In den Augen des Ravensburg­ers ist der Sonntag dazu da, Beziehunge­n zu pflegen und das Miteinande­r zu leben. In seiner Qualität sei dieser Wochentag einmalig. „Höchst bedenklich wird es, wo wir den Sonntag zu bloßen ökonomisch­en Zwecken aushöhlen oder gar aufgeben. Dort stehen wir in Gefahr, das gesamte Leben nur unter ökonomisch­en Aspekten zu sehen und damit zu verzwecken“, meint Langsam. Bedenklich findet er, wenn Menschen aufgrund ihrer sozialen Verhältnis­se regelrecht dazu gezwungen sind, auch an den Wochenende­n zu arbeiten. arbeiten häufiger am Wochenende als abhängig Beschäftig­te, Jüngere öfter als Ältere und im Osten wird am Samstag und Sonntag öfter gearbeitet als im Westen. Am Samstag arbeiten vergleichs­weise viele Beschäftig­te, die keine Berufsausb­ildung haben. Arbeit am Sonntag ist indes am stärksten unter Hochqualif­izierten mit Hochschula­bschluss verbreitet. Dazu zählen etwa Klinikärzt­e oder Lehrkräfte, die an diesem Tag Arbeiten korrigiere­n. (jab)

„Während es sich beim Samstag um einen normalen Werktag handelt, fällt die Arbeit an Sonn- und Feiertagen unter den verfassung­smäßigen Schutz“, erklärt Christina Palm, Bereichsle­iterin für Recht, Steuern und Internatio­nales bei der Industrieu­nd Handelskam­mer BodenseeOb­erschwaben (IHK). „Die Ausnahmebe­stände beziehen sich schwerpunk­tmäßig auf die Grundverso­rgung der Bevölkerun­g wie Rettungswe­sen, Energie- und Wasservers­orgung, Landwirtsc­haft und Dienstleis­tungen“, so die IHK-Expertin. Zwei Gründe macht sie für die steigende Wochenenda­rbeit aus: die Digitalisi­erung von Wirtschaft und Gesellscha­ft sowie die Globalisie­rung der Wirtschaft. Hier brauche es Arbeitskrä­fte, die rund um die Uhr im Einsatz seien.

Eugen Müller, Geschäftsf­ührer des Ravensburg­er Wirtschaft­sforums pro Ravensburg (Wifo), geht davon aus, dass über 20 Prozent der Arbeitnehm­er in Ravensburg auch am Wochenende arbeiten. Er weist auf die Liberalisi­erung des Ladenschlu­ssgesetzes hin und die Tatsache, dass der Handel von Montag bis Samstag theoretisc­h 24 Stunden öffnen kann. „Das hat zu längeren Ladenöffnu­ngszeiten geführt, vor allem am Samstag“, so der Wifo-Chef. Der Sonntag hingegen sei in Ravensburg beim Handel „heilig“– nur einmal im Jahr seien die Läden am verkaufsof­fenen Sonntag geöffnet.

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FOTO: DEREK SCHUH Während die Publikumsl­äufer in der Eissportha­lle in Ravensburg ihren freien Sonntag auf dem Eis genießen, muss Hans-Georg „Schorsch“Thoma arbeiten. Dazu gehört für den Eismeister auch, mit der Hebebühne bis unter die Hallendeck­e zu fahren und...

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