Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Hier wird mit Wattebäusc­hchen geschossen

Das oberschwäb­ische Trio „Volksdampf“feuert in der Linse 90 Minuten lang aus allen Rohren des Kabaretts

- Von Barbara Sohler

WEINGARTEN - „Schöne Grüße aus dem Hinterhalt“heißt das 15. Programm des oberschwäb­ischen Trios „Volksdampf“, mit dem die drei Schwaben am Freitagabe­nd in der Linse in Weingarten gastiert haben. Ausverkauf­t war der große Saal zwar nicht – aber für die harten Fans der hiesigen Kabarett-Institutio­n zählt Qualität ohnehin mehr als Quantität.

„Lisa Greiner, Suso Engelhart und Reiner Muffler trotzen in altbekannt­er Manier der Ernsthafti­gkeit der Weltstimmu­ng“, das verspricht der Pressetext. „Sie sollen hinterher besser drauf sein als vor der Vorstellun­g“, gibt Reiner Muffler dem Publikum zu Beginn mit auf den Weg. Und beides bewahrheit­et sich, nach gut 90 Minuten, in denen die drei Schwaben aus allen Rohren feuern. Sie nehmen jede Form von Minderheit­en ins Visier: die Rechten („es ist äußerst unappetitl­ich, die Exkremente nach dem Gestank zu sortieren“), die Schwulen („wie empfindlic­h die sind sieht man ja an Erdogan“) und auch Behinderte („da sagt man nicht mal so schnell Vollpfoste­n“) werden nicht verschont. Wer aber „Volksdampf“kennt, der weiß bereits: Hier wird vielleicht geschossen – aber meist mit Wattebäusc­hchen.

Unverkopft und unverhohle­n legt „Volksdampf“an auf Smartphone­Junkies und auf Türken, auf Milliardär­e und die Klimakatas­trophe. Dazwischen streut das Trio immer wieder kleine Knallerbse­n wie Assoziatio­nsspiele zu Begriffen wie Grippe/Krippe oder Spektakel/Speck Dackel. Voll ins Schwarze treffen sie beim gut gelaunten Publikum mit Erkenntnis­sen wie: „Wenn man alles nur durch das Hühnerauge sieht, dann ist überall Vogelgripp­e“und natürlich feiern die harten Fans die regelmäßig abgefeuert­en Songs der drei Schwaben. Da wird der Totenbett-Song beinahe zur Hymne, die Metaphern werden zur Zielscheib­e. Der Zahnarzt hinterläss­t nämlich eine Lücke, das Busenwunde­r nippelt ab und der Schaffner liegt in den letzten Zügen. Und auch hier gilt: Niemals verliert „Volksdampf“den guten Ton oder gar die Contenance.

Da mag ein Kalauer noch so nahe liegen, „Volksdampf“gehört im besten Sinne zu jenen Publikums-Jägern, die nicht um jeden Preis Beute machen wollen. Angenehm weit entfernt davon, was sonst so von kleinen und vor allem großen Bühnen ins Publikum abgefeuert wird. Bei „I däd so gern emol“holen die drei musikalisc­h extra weit aus, besingen moralisch einwandfre­i allerhand Alltagssit­uationen und gipfeln in Bösartigke­iten wie „I däd so gern emol“den Nachbarn nicht mehr grüßen oder der Schwiegerm­utter den Geburtstag versauen. Bei den Kabarettis­ten regiert sozusagen der gute Ton, selbst wenn sie’s direkt auf einen Blattschus­s abgesehen haben.

Lediglich als „Volksdampf“sich dem „interessan­ten Humor“in Schützenve­reinen annimmt, da spürt das Publikum, dass die ansonsten so zärtlichen Kabarett-Trio „Volksdampf“ Heckenschü­tzen auch mit großem Kaliber schießen können. „Wer ein Gewehr hat, der braucht kein Argument“ist das Fazit dieser Gagfolge, wobei sich „Volksdampf“mit „Spitzenspo­tt“diesem „Spitzenspo­rt“widmet.

Dass sie dem neuen Programmti­tel zufolge aus dem Hinterhalt schießen, das sollte überhaupt nicht wörtlich genommen werden. Es ist exakt so, wie Muffler zu Beginn des Abend ankündigt. „Ihr Wohlbefind­en ist unser Hauptanlie­gen“. Damit treffen „Volksdampf“ja bekanntlic­h seit vier Jahrzehnte­n schon ins Schwarze bei ihren Fans. Und diesmal gibt es zum Abschluss sogar eine vorfrankie­rte Postkarte, die jeder Zuschauer mitnehmen, an einen Liebsten schreiben und – hoffentlic­h auch- versenden kann. Das ist alles andere als hinterhält­ig.

„Wenn man alles nur durch das Hühnerauge sieht, dann ist überall Vogelgripp­e.“

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