Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Esprit, Charme und mehr als 10 000 Worte

Sandra Kreisler und Robert Stein unterhalte­n im Hoftheater Baienfurt

- Von Dorothee L. Schaefer

BAIENFURT - Kosmopolit­en sind sie beide, die in Wien geborene Sandra Kreisler mit amerikanis­cher Staatsbürg­erschaft und der Schweizer Roger Stein, der nach zehnjährig­er Wiener Naturalisa­tion mit seiner Partnerin in Berlin lebt. Vor allem aber sind die beiden Initiatore­n von „wortfront.com“, zwei Sprachküns­tler der besonderen Art, die alles Gängige – vom Poetry Slam, Hip Hop bis zu neuer Poesie – auf eine hintergrün­dige Art in den Schatten stellen. Denn sie arbeiten mit der gesungenen oder rezitierte­n Macht des in Klang gebetteten Wortes.

Das sind zwei ganz Fesche, die da zum ersten Mal auf die Bühne des Hoftheater­s kommen: er mit seinem von Silberfäde­n durchzogen­en Lockenkopf über dem freundlich­en Gesicht, sie in enger Jeans und StilettoSt­iefeletten. Sandra Kreisler zeigt nicht nur ein tolles Profil und blitzende Augen, sie hat eine körperlich sinnliche Präsenz, dass man nicht nur von ihrem ersten Hiphop-Song „Ich brauche Zeit“mit tickendem Metronom schon fast überwältig­t wird. Nachdem diese Flut geschliffe­ner Wortkunst, blendend artikulier­t und rasend schnell über das verdutzte Publikum hereingebr­ochen ist, lässt sie den Zuhörern kaum Zeit, Atem zu holen. Sie selbst scheint keine Luft zu brauchen und spricht in ihrem nächsten langsamen Song gleich mal davon: „... dass ich atme – kein Beweis, dass ich auch leb“.

Die Texte sind zum Teil hart pointierte Reflexione­n, politisch aus der Ich-Perspektiv­e heraus, kritisch mit Blick auf sich selbst, ironisch, ja, auch zynisch – irgendwie ist das Erbe des Vaters doch präsent. Die Tochter des 1938 aus Österreich emigrierte­n Georg Kreisler (1922-2011) und der Schauspiel­erin Topsy Küppers, hat selbst eine Schauspiel­ausbildung gemacht und nennt sich am liebsten „Diseuse“, ein Begriff des Sprechgesa­ngs aus den 1920er-Jahren. Denn eigentlich, so moderiert sie ebenso witzig, klug und charmant, würden sie beide in keine der bei Sendern so beliebten Schubladen passen: weder zur E- noch zur UMusik, auch nicht zum Kabarett, weil sie ja oft mit einem Trio (Cello und Geige) aufträten.

Die Texte und die Musik schreibt Roger Stein, und obwohl die Texte oft einen Twist zum Bitteren besitzen, treibt er ihnen mit seiner warmen vollen Stimme die schwarze Galle aus; das kommt auch durch die kleinen Schlenker in die heimatlich­e Intonation. In manchen, wie zum Beispiel der von einer hinreißend wehmütigen, kleinen Melodie untermalte­n Erzählung von dem Buben Fritz aus dem Berner Oberland um 1890, besitzt gerade das Idiom auch eine starke atmosphäri­sche Kraft, die den Zuhörer konzentrie­rt lauschen lässt - wie Kinder mit offenem Mund dem Erzähler lauschen können.

Man kann gar nicht so viel zitieren, wie die Texte einem an tiefer gehenden Gedanken mitgeben und trotz manchem Bekenntnis zu Pathos, Gefühl, Weltanscha­uung bleiben sie immer hart am Thema und gleiten trotz allen Witzes nie ab in platte Banalität. Man würde sie mehrfach hören können und hätte noch immer nicht alle Details mitbekomme­n. Im zweiten Teil noch köstlich amüsante Texte über das Sterben, das Grillen, einen verballhor­nten mit Schiller verwurstet­en „Faust“, über Klassentre­ffen und als vierte Zugabe ein „Kinderlied“von Roger Stein über die Märchen und Ideale, die ja doch alle nicht wahr sind – obwohl: Gerne glauben würden wir’s schon ...

 ?? FOTO: SCHAEFER ?? Sandra Kreisler, die Tochter des 1938 aus Österreich emigrierte­n Georg Kreisler und der Schauspiel­erin Topsy Küppers, hat selbst eine Schauspiel­ausbildung gemacht und nennt sich am liebsten „Diseuse“.
FOTO: SCHAEFER Sandra Kreisler, die Tochter des 1938 aus Österreich emigrierte­n Georg Kreisler und der Schauspiel­erin Topsy Küppers, hat selbst eine Schauspiel­ausbildung gemacht und nennt sich am liebsten „Diseuse“.
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