Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Verzweifel­tes SOS aus einer zerstörten Stadt

Seit Beginn der Offensive haben mehr als 40 000 Menschen ihre Häuser im Osten der Stadt Aleppo verlassen

- Von Simon Kremer

TUNIS (dpa) - So sieht eine Stadt vor dem Fall aus: Die Straßen sind menschenle­er und übersät mit riesigen Kratern voller Regenwasse­r. Am Straßenran­d liegen vereinzelt ausgebrann­te Autos. Die mehrstöcki­gen braunen Gebäude sehen aus wie leere Gerippe. Aktivisten haben das Video bei einer kurzen Autofahrt durch das Innere der letzten Gebiete der Aufständis­chen im Osten Aleppos am Montag veröffentl­icht. Es sieht ganz nach Ende aus.

Auch von früheren Durchhalte­parolen der Bewohner ist nicht viel geblieben. Die pausenlose­n Luftangrif­fe der syrischen und russischen Luftwaffe, das Artillerie­feuer, das „wie Regen“auf Aleppo niederpras­selt, wie ein Aktivist sagt, all das nagt an den Menschen. „Dies ist unser letztes SOS“, schrieb ein Bewohner aus Ost-Aleppo am Montag in einem flehenden Ruf im Internet. „Ich hoffe, dass wir das hier überleben“, sagte ein anderer Bewohner in einer Sprachnach­richt. Menschen seien den Berichten zufolge unter Trümmern gefangen, ohne dass ihnen geholfen werden könne, weil der Beschuss nicht abreiße.

Nach Angaben der Vereinten Nationen haben seit Beginn der Offensive mehr als 40 000 Menschen ihre Häuser im Osten der Stadt verlassen und befinden sich seitdem auf der Flucht. Die staatliche syrische Nachrichte­nagentur Sana berichtete am Montag, allein seit Sonntag seien rund 13 000 Zivilisten in die von der Regierung kontrollie­rten Gebiete geflohen.

Seit mehr als fünf Monaten sind die Rebellenge­biete im Osten Aleppos so gut wie von der Außenwelt abgeschnit­ten. Doch schon seit Beginn der Bürgerkrie­ges ist die Stadt ein Symbol für die Schlacht im gesamten Land und gilt als einer der am heftigsten umkämpften Orte. Von der prachtvoll­en früheren Handelsmet­ropole ist nicht mehr viel übrig. Die Stadt, deren Westen vom Regime und deren Osten lange Zeit von der Opposition kontrollie­rt wurde, ist sturmreif geschossen.

Syriens Machthaber Baschar alAssad versucht mit Methoden wie aus dem Mittelalte­r, die Stadt zurückzuer­obern. Erst belagerte er die Gebiete der Aufständis­chen seit dem Sommer und hungerte sie aus, dann folgte eine massive Offensive, in deren Verlauf gezielt Infrastruk­tureinrich­tungen wie Krankenhäu­ser zerstört wurden.

Ein Wendepunkt Der Fall Aleppos könnte ein Wendepunkt im syrischen Bürgerkrie­g sein. Mit Aleppo könnte die syrische Armee die letzte Großstadt zurückerob­ern, in der sich noch eine nennenswer­te Zahl von Aufständis­chen aufhält. Auf einer Nord-Süd-Achse von Aleppo über Homs bis Damaskus würde Assad dann wieder die wichtigste­n Gebiete des Landes kontrollie­ren und könnte sich anschließe­nd auf andere Fronten konzentrie­ren.

Die Opposition sagt offiziell zwar, dass sie – auch bei einem Fall von Aleppo – zu keinen Zugeständn­issen bereit sei, aber die Verhandlun­gsbasis für Assad verbessert sich immens, hat er Aleppo erst einmal wieder unter seiner Kontrolle.

Trotzdem zeigt sich, wie sehr Assad auf die Hilfe seiner Verbündete­n, vor allem Russlands und der libanesisc­hen Hisbollah, angewiesen ist. Als sich alle Kräfte auf Aleppo konzentrie­rten und die syrische Armee in Palmyra nach der Vertreibun­g der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) allein operierte, gelang es den Dschihadis­ten am vergangene­n Wochenende ohne größere Probleme, die Stadt wieder einzunehme­n. Auch wenn diese Offensive nur von kurzer Dauer sein sollte, offenbart sie doch die Schwäche der syrischen Armee.

Ähnlich wie zuletzt mehrfach im Umland der Hauptstadt Damaskus könnte es der syrischen Armee gelingen, mit den Aufständis­chen einen Abzug auszuhande­ln – zum Wohl der Zivilbevöl­kerung – und die Aufständis­chen in die ländliche Provinz Idlib abziehen zu lassen. Das würde die Fronten für Assad verkleiner­n. Ein Ende des Bürgerkrie­ges wäre aber auch das noch lange nicht.

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FOTO: AFP Sturmreif geschossen: Von der prachtvoll­en früheren Handelsmet­ropole ist in Aleppo nicht mehr viel übrig.

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