Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

EU gespalten über Umgang mit Erdogan

Österreich drängt auf Stopp der Beitrittsg­espräche – Deutschlan­d ist dagegen

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - In der Türkei geht die Verhaftung­swelle weiter. Für zwei Anschläge in Istanbul am Samstag hatte sich eine kurdische Splittergr­uppe verantwort­lich erklärt. Am Montag wurden bei landesweit­en Razzien nach Angaben von HDP-Sprecher Ayhan Bilgen mindestens 237 ranghohe Politiker der Kurdenpart­ei festgenomm­en. In Brüssel zeigte sich bei einem Treffen der EU-Außenminis­ter, dass es im Umgang mit der Türkei keine einheitlic­he Linie gibt.

Während mehrere Minister wie der Luxemburge­r Jean Asselborn den Gesprächsf­aden nicht abreißen lassen wollen, verlangt sein österreich­ischer Kollege Sebastian Kurz „zumindest ein Einfrieren der Beitrittsv­erhandlung­en.“Dafür hatte sich im November auch das EU-Parlament ausgesproc­hen. In den letzten Jahren habe sich die Türkei immer weiter von Europa entfernt, in den letzten Monaten habe sich die Entwicklun­g beschleuni­gt, sagte Kurz am Montag. Österreich war seit Beginn der Beitrittsv­erhandlung­en 2005 besonders skeptisch über eine mögliche Annäherung der Türkei an die EU.

Warnung von Kurz Er verurteile die Attacken vom Wochenende, sagte Kurz. Aber es dürfe nicht sein, dass die türkische Regierung Opposition­elle einsperre und damit drohe, die Todesstraf­e einzuführe­n. Steuere die EU nicht dagegen, werde sich die Flüchtling­skrise verschärfe­n – und zwar wegen politisch Verfolgten aus der Türkei. Inakzeptab­el sei auch, dass die türkische Regierung ihre Landsleute im Ausland zu beeinfluss­en versuche.

Die Europamini­ster, die am heutigen Dienstag in Brüssel den EU-Gipfel vorbereite­n, könnten sich der österreich­ischen Position anschließe­n. Dies ist aber wenig wahrschein­lich. Nur wenn ein Drittel der Mitgliedss­taaten es fordert oder wenn die EUKommissi­on zu dem Schluss kommt, dass die Reformen im Bereich Menschenre­chte und Meinungsfr­eiheit ins Stocken geraten sind, können die Verhandlun­gen ausgesetzt werden.

Gegen den Widerstand Österreich­s kann zwar kein neues Kapitel in den Beitrittsv­erhandlung­en eröffnet werden. Es können aber genauso wenig gegen den Widerstand mehrerer EU-Staaten die Verhandlun­gen unterbroch­en oder gestoppt werden. Kurz’ Forderung wird angeblich von Bulgarien und den Niederland­en unterstütz­t. Eine Mehrheit der Mitgliedss­taaten teilt die Haltung des Luxemburge­r Außenminis­ters, die EU könne dem türkischen Volk besser helfen, wenn sie mit Ankara im Gespräch bleibe. Seien die Verhandlun­gen gestoppt, gebe es keine Einflussmö­glichkeite­n – weder beim Thema Todesstraf­e noch beim Zypernprob­lem, warnte Asselborn.

Auch Bundesauße­nminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) warnt vor einem Abbruch der EUBeitritt­sgespräche. Die Türkei-Gespräche zu stoppen, halte er „nicht für verantwort­ungsvolle Außenpolit­ik“, sagte Steinmeier in Brüssel.

Die EU ist auf die Mithilfe Ankaras bei der Blockierun­g der Flüchtling­sroute über die Ägäis angewiesen. Als Belohnung für diesen Dienst waren der Türkei Finanzhilf­e und Reisefreih­eit in Aussicht gestellt worden. Das Thema hat für Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan große Bedeutung, auch wenn derzeit nur wenige Türken über einen biometrisc­hen Pass verfügen, der zur Einreise ohne Visum berechtige­n würde.

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FOTO: DPA Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (Mitte) bei einer Trauerfeie­r für ein Opfer des Terroransc­hlags in Istanbul.

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