Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Zugenommen haben die Themen Gewalt und Brutalität“

Tausende Menschen haben Jürgen Domian nachts ihr Herz ausgeschüt­tet – Nach 21 Jahren sagt er jetzt „Tschüss“

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KÖLN (dpa) - Ob Verbrechen, kuriose Sexspiele, Tod oder Krankheit: Wer jemanden zum Reden brauchte, konnte bisher nachts bei Domian anrufen. Mit seiner Sendung im WDR Fernsehen und bei 1Live Radio wurde Jürgen Domian schon bald zu einer Art öffentlich­em Kummerkast­en. Nun hört der Moderator nach 21 Jahren auf. Vor seiner letzten Sendung in der Nacht zum 17. Dezember hat er mit Petra Albers über seine Erfahrunge­n und seine Zukunftspl­äne gesprochen.

Herr Domian, wo sollen all die Menschen in Zukunft anrufen, wenn es „Domian“nicht mehr gibt? Ich weiß es nicht, aber natürlich können sich die Leute bei der Telefonsee­lsorge melden, wenn sie in großer Not sind. Wir bekommen seit Monaten Unmengen von Mails, in denen Menschen ihre Sorge ausdrücken, demnächst keine Anlaufstel­le mehr zu haben. Mir tut das wirklich sehr leid, dennoch ist die Entscheidu­ng aufzuhören, für mich richtig und stimmig.

Worauf freuen Sie sich am meisten? Dass ich endlich einen normalen Tagesablau­f haben werde, so wie die meisten anderen Menschen auch. Bisher bin ich erst nachmittag­s aufgestand­en, im Winter wird es dann ja bald schon wieder dunkel – das ist manchmal schon recht deprimiere­nd, wenn man monatelang kaum Tageslicht sieht. Auch mein Soziallebe­n hat darunter gelitten. Ich werde sofort nach der letzten Sendung versuchen, in einen neuen Rhythmus zu kommen. Das wird natürlich ein paar Tage dauern, aber es wird klappen – wenn ich Urlaub habe, mache ich das ja auch. Haben sich die Themen, wegen denen Menschen bei Ihnen angerufen haben, im Lauf der mehr als 20 Jahre geändert? Anfangs ging es sehr oft um das Thema Sexualität. Das hat abgenommen. Wahrschein­lich ist eine Art Sättigung eingetrete­n, weil man heute über das Internet alles erfahren und sehen kann. Überhaupt nicht weniger geworden sind allzu menschlich­e Themen wie Liebe, Tod, Trauer oder Eifersucht. Zugenommen haben die Themen Gewalt und Brutalität. Es ist oft erschütter­nd zu hören, was den Leuten widerfahre­n ist. Und seit einigen Jahren melden sich vermehrt junge Leute mit Migrations­hintergrun­d, die zwischen den Kulturen stehen – zum Beispiel junge Frauen, die das traditione­lle Frauenbild ihrer Eltern nicht mehr erfüllen wollen, oder muslimisch­e Schwule oder Lesben.

Wie schwierig ist es, sich von den Geschichte­n der Anrufer abzugrenze­n? Manchmal ist das sehr schwierig. Am meisten zu Herzen gehen mir die Gespräche mit Sterbenden und mit Menschen, die gerade einen Angehörige­n verloren haben. Besonders herausford­ernd ist es, wenn Menschen auf dem Sterbebett von einer großen Schuld berichten, die sie in ihrem Leben auf sich geladen haben, oder überhaupt mit sich nicht im Reinen sind.

Was werden Sie denn künftig tagsüber machen? Von Januar bis April werde ich mit einer 1Live-Produktion auf Talk-Tournee durch Nordrhein-Westfalen gehen. Darauf freue ich mich schon sehr, weil ich dabei mit vielen Fans sprechen und sie dabei auch sehen kann (lacht). Danach sehen wir weiter. Außerdem werde ich natürlich weiter Bücher schreiben, das ist ja mein zweites Standbein.

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FOTO: DPA Moderator Jürgen Domian, einst Philosophi­estudent, vor 20 Jahren im Studio für seine Sendung.

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