Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Keine Angst vor niemandem
Die Ulmer Basketballer bleiben trotz des Kantersiegs über den Meister demütig
ULM - Als Per Günther Sonntag gegen 20.30 Uhr zum Fan-Talk schritt, tat er das keineswegs euphorisiert. Dabei hatte der Kapitän mit seinen Ulmer Basketballern gerade erstmals seit drei Jahren wieder den Dauermeister Bamberg geschlagen und wurde für seine Vertragsverlängerung bis 2019 von den Fans gefeiert, als sei er Justin Bieber aus Beverly Hills. Per Günther aus Hagen wirkte eher zufrieden-erschöpft-tiefenentspannt, als er sich im Jogginganzug auf die Couch lümmelte. Der 28Jährige hatte gesehen, dass es gut war, das Spiel der Ulmer nämlich, so vielversprechend wie nie. Dass sie die seit 26 Ligaspielen ungeschlagenen Bamberger einmal mit einem so deutlichen 78:63 nach Hause nach Franken schicken würden, galt bis zum Sonntag als undenkbar.
Aber Euphorie? Die war zumindest aus Sicht der Mannschaft fehl am Platz, sie wusste, dass so ein Sieg in den Playoffs sehr viel zu bedeuten hätte, an einem zwölften Spieltag aber noch nicht ganz so viel, trotz 24:0 Punkten in der Tabelle. Auch Günther, der Spielmacher, relativierte das Ergebnis. Die Bamberger seien müde gewesen von all den Euroleague-Abenteuern wie ihrem jüngsten Coup bei Maccabi Tel Aviv. „Die spielen ja jede Woche gegen Moskau oder Real Madrid“. Für alle in Ulm und um Ulm und um Ulm herum sei dieser Ligagipfel dagegen ein seltenes Highlight gewesen: „Die Gier der Fans nach dem Spiel war unfassbar. Ich hab noch nie so viel Kartenwünsche erhalten“, berichtete Günther.
Einfach besser geworden Wer genau zuhörte und die Spieldaten analysierte, der kann allerdings durchaus Hoffnung schöpfen, dass es am Saisonende 2017 spannender zugehen wird als 2016, als die Ulmer im Playoff-Finale mit ihrer Siebener-Besetzung 0:3 verloren. Der Glaube, sagte Günther, sei auch damals dagewesen, inzwischen habe man einfach mehr Können. „Wir sind ruhiger und gelassener geworden, aber wir haben vor allem viel Qualität hinzugewonnen. Tim Ohlbrecht kam von der Bank, Carsten Tadda, Augustine Rubit, Braydon Hobbes. Da ist kein Bruch mehr im Spiel.“
Tatsächlich kann sich Ulms Trainer Thorsten Leibenath selbst gegen Bamberg inzwischen erlauben, seinen Kapitän, der diesmal mit sechs Punkten für seine Verhältnisse fast blass blieb, auch mal 18 Minuten auf der Bank zu lassen. Dann springen eben andere in die Bresche. Taylor Braun oder Ohlbrecht etwa, die es im Verbund mit Raymar Morgan mit glänzender Defensivarbeit schafften, die Bamberger bei 63 Punkten zu halten – und deren Anführer Nicolò Melli bei sage und zähle null. Während Brauns Einsatzzeit war Ulm 26 Zähler besser als Bamberg, während Ohlbrechts 22 – ein Zeichen für deren Wichtigkeit.
Ist Ulm in dieser Form(ation) womöglich titelfähig, zumindest im Pokal, dem auf dem Papier einfachsten Wettbewerb, in dem drei Siege für den Coup reichen? Günther, für Witz, Spontaneität und Ehrlichkeit bekannt, lächelte, als er die Antwort gab: „Ich bin darauf getrimmt, bei uns die politisch korrekten Antworten zu geben“, sagte er, „also sage ich: Unser großes Ziel ist der Playoff-Einzug und dann schau’ mer mal – das ist die offizielle Version.“Die inoffizielle, die von Per Günther, lautet: „Die, die lange dabei sind, Thorsten oder ich, fallen uns bei Bronzemedaillen nicht mehr um den Hals, das ist klar.“
Es soll mehr werden in diesem Jahr, gerne auch Gold, und eines haben die Ulmer jetzt gelernt: Sie können Bamberg schlagen. „Für den Kopf war das wichtig. Wir müssen jeden Gegner respektieren, aber wir müssen vor niemandem Angst haben. Wir haben gesehen: Wir können jeden schlagen“, sagte Coach Leibenath nach einer Nacht, die als lauteste in die Annalen der Stadt Ulm eingehen dürfte. „Zwischenzeitlich“, postete ein Fan aus dem Norden Deutschlands, „war ich mir nicht sicher, ob der Lärm aus dem TV kam oder direkt aus der 650 Kilometer entfernten Halle.“
Tatsächlich sollten sich die Ulmer fünf Jahre nach dem Einzug in die Ratiopharm-Arena zwei Fragen stellen: Wann beginnt eigentlich der Ausbau? Und was ist erst los, wenn da mal ein Pokal hereinschneit? Noch ist es nicht so weit, die Miene des Bamberger Trainers Andrea Trinchieri („Ulm war großartig, uns hat die Energie gefehlt“) verhieß nichts Gutes. Auf die Frage der „Schwäbischen Zeitung“, ob er stets an sein Team geglaubt habe wie kürzlich in Gießen, als Bamberg einen 21-Punkte-Rückstand drehte, sagte Andrea Trinchieri nur: „Ulm ist nicht Gießen. Ich habe die Frage nicht verstanden.“