Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
AfD schlägt Staatsrichterin vor
Warum Fraktionen Kandidaten ihrer Wahl zum Staatsgerichtshof entsenden dürfen
STUTTGART (tja) - Zum ersten Mal wird heute voraussichtlich eine AfDKandidatin als Richterin an den Staatsgerichtshof entsandt. Die Betriebswirtin Rosa-Marie Reiter (47) soll eine der drei Laienrichterinnen werden, der Landtag soll sie heute auf Vorschlag der AfD wählen. Dem Vernehmen nach wollen die übrigen Parteien dies nicht verhindern. Der Posten steht der AfD aufgrund der Mehrheitsverhältnisse zu.
STUTTGART - Der Landtag wählt heute voraussichtlich Rosa-Maria Reiter (47) als Laienrichterin am Staatsgerichtshof Baden-Württemberg. Sie wurde von der AfD für das Ehrenamt vorgeschlagen und arbeitet derzeit für die AfD-Abgeordnete Carola Wolle. Welche solcher Posten dürfen die im Landesparlament vertretenen Fraktionen besetzen und warum? Was geschieht, wenn ein vorgeschlagener Kandidat keine Mehrheit bekommt? Fragen und Antworten im Überblick.
Welche Aufgaben hat der Staatsgerichtshof ? Die neun Richter legen die Verfassung des Landes aus. Sie entscheiden zum Beispiel über Verfassungsbeschwerden. Diese können etwa Gemeinden einlegen, wenn sie fürchten, das Land greife in ihre Rechte ein. Auch wenn Abgeordnete oder die Regierung Pflichten verletzen, kann der Gerichtshof in Stuttgart angerufen werden. Aktuell muss der Gerichtshof über eine Verfassungsbeschwerde der AfD entscheiden. Diese klagt dagegen, dass der Landtag keinen Untersuchungsausschuss zum Linksextremismus einsetzen will – diesen hatte die AfD beantragt, als sie noch in zwei Lager gespalten war. Darin sehen die übrigen Parteien einen Verstoß gegen geltende Bestimmungen. Ein Untersuchungsausschuss muss auf Antrag zweier Fraktionen eingesetzt werden. Aus Sicht aller Parteien, außer der AfD, trifft das auf die eine Zeit lang von der AfD abgespaltene ABW nicht zu. An dem Verfahren vor dem Staatsgerichtshof ist die neue AfD-Richterin voraussichtlich schon beteiligt.
Wie wird der Verfassungsgerichtshof besetzt? Die neun Richter teilen sich in drei Gruppen: drei Berufsrichter, drei Volljuristen, die beide Staatsexamen abgelegt haben, sowie drei Laienrichter, die keine juristische Ausbildung haben. Alle drei Jahre wird jeweils eines der Gruppenmitglieder neu gewählt. Die Amtszeit dauert neun Jahre. Gewählt werden die Richter vom Landtag. Sie dürfen aber keine Abgeordneten oder Regierungsmitglieder sein. Wer einen Kandidaten vorschlagen darf, ist genau geregelt – wie auch bei anderen ähnlichen Gremien, in denen Parlamentarier sitzen. Jede Fraktion hat das Recht auf solche Posten, gemessen an ihrer Größe im Landtag. Nach dem Schepers-Sainte-Laguë-Verfahren zur Berechnung von Sitzverteilungen wird bestimmt, welche Fraktion wie viele Kandidaten entsenden darf. Am Beispiel des Staatsgerichtshofs geht das so: Bei neun Posten erhalten die Grünen und die CDU als größte Fraktionen je drei Sitze, AfD, SPD, FDP je einen. Wenn ein Richter ausscheidet – wie jetzt die SPD-Landesvorsitzende Leni Breymaier – wird geschaut, welche Fraktion Anrecht auf den jeweiligen Sitz hat.
Was geschieht, wenn ein Kandidat nicht gewählt wird? Natürlich können die übrigen Fraktionen einen Kandidaten ablehnen. Doch dazu muss es wichtige sachliche Gründe geben, die gegen eine Person sprechen. Das wäre etwa der Fall, wenn sie die im Gesetz festgelegten Anforderungen nicht erfüllt. Nach Angaben der Landtagsverwaltung gab es einen solchen Fall in Thüringen. Dort hatte die AfD einen Kandidaten für das Parlamentarische Kontrollgremium des Landtags vorgeschlagen. Dieses erfährt auch Interna aus Ermittlungen des Verfassungsschutzes – etwa gegen Linksoder Rechtsextremisten. Der AfDMann soll aber Kontakte zur rechtsextremen Szene gehabt haben. Daraufhin lehnte ihn die Mehrheit des Landtages ab. Der Staatsgerichtshof von Thüringen hielt das für zulässig. Dennoch behalte die jeweilige Fraktion das Vorschlagsrecht für ein Amt, muss in einem solchen Fall aber einen anderen Kandidaten benennen. Die AfD-Politikerin, die heute in den Stuttgarter Staatsgerichtshof gewählt wird, wollen die übrigen Parteien dem Vernehmen nach aber nicht ablehnen.
Was verdienen die Richter? Es handelt sich um ein Ehrenamt, die Richter haben noch andere Berufe. Sie bekommen pro Sitzung und Beratung ein Fünfzehntel des Monatsgehaltes eines Beamten der Besoldungsgruppe B9 – knapp 720 Euro. Wie oft die Richter sich treffen, hängt von der Zahl der Verfahren ab, genaue Daten konnte der Staatsgerichtshof am Dienstag nicht nennen.
In welchen anderen Institutionen und Gremien sitzen Mitglieder der Fraktionen? Es gibt zahlreiche solcher Posten. Dazu zählen so unterschiedliche Gremien wie der Verwaltungsrat des SWR, die Verwaltungsräte der Staatstheater oder der Aufsichtsrat der Baden-Württemberg Stiftung. Insgesamt sind es nach Angaben des Landtags über 20 Institutionen, in denen Politiker vertreten sind.
Warum haben Fraktionen das Recht auf solche Posten? Grundsätzlich gilt: Die Mehrheitsverhältnisse eines Parlaments müssen sich in dessen Gremien spiegeln. So sieht es die Verfassung vor. Nur so ist sichergestellt, dass auch in den Gremien das Votum der Wähler abgebildet wird. Der Landtag von Baden-Württemberg hat in seiner Geschäftsordnung festgelegt, dass dies auch für Gremien gilt, die nicht direkt zum Parlament gehören – wie etwa der Staatsgerichtshof. Hier sollen die Abgeordneten im Interesse der Wähler die Arbeit der jeweiligen Institution kontrollieren. Dieses Recht wird gemäß der gewählten Mehrheiten an die Fraktionen verteilt.