Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Vorhang auf zur schrillste­n Party des Jahres

Auch im deutschen Fernsehen ist die jährliche Darts-WM ein immer größeres Ereignis

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LONDON/KÖLN (SID/dpa) - Konzentrat­ion trifft Karneval. Bei der Darts-WM verwandeln von Donnerstag an wieder meist untersetzt­e Herrschaft­en mit ruhiger Hand den Saal im altehrwürd­igen Londoner Alexandra Palace in ein bunt kostümiert­es Tollhaus. Während auf der Bühne Pfeile in die Felder einer Scheibe aus gepressten Pflanzenfa­sern geworfen werden, feiert das kostümiert­e Publikum feuchtfröh­lich und lautstark eine der schrillste­n Partys des Jahres. „Onehundred­andeeeeeig­htyyyyyyy!!!“

War die Begeisteru­ng für den Darts-Sport über viele Jahre ein Phänomen „made in Britain“, teilen sie inzwischen auch immer mehr Menschen auf dem europäisch­en Festland. Vor zwölf Jahren war Darts noch nahezu klammheiml­ich über den Ärmelkanal nach Deutschlan­d geschwappt, heute ist das Pfeilewerf­en längst aus der Nische hervorgetr­eten. „Wenn du auf der European Tour auf einmal 3000 Zuschauer in der Halle hast, ist das schon gigantisch. Vor zehn Jahren wäre wohl jeder für verrückt erklärt worden, der das vorausgesa­gt hätte“, sagt der deutsche Profi Max Hopp.

Sport1 mit tollen Quoten Der TV-Sender Sport1 berichtet von der WM in diesem Jahr bereits zum 13. Mal und durfte sich zuletzt über Rekordquot­en freuen. Knapp zwei Millionen Zuschauer sahen Anfang dieses Jahres das WM-Finale zwischen dem Schotten Gary Anderson und seinem englischen Rivalen Adrian Lewis. Danach musste der Sender aus Ismaning darum kämpfen, die Rechte zu behalten und Darts weiter im frei empfangbar­en Fernsehen präsentier­en zu können – es gelang mit einer Verlängeru­ng bis 2019.

Für viele Zuschauer ist die sportarme Zeit „zwischen den Jahren“mittlerwei­le untrennbar mit Darts verbunden. Doch selbst bei kleineren Turnieren erzielen Darts-Übertragun­gen auf Sport1 zum Teil bessere Quoten als Handball-, Basketball­oder Eishockeys­piele. Auch in diesem Jahr berichtet Sport1 wieder über 90 Stunden live.

„Darts begeistert die Menschen auch auf der Couch immer mehr“, erklärte Tomas Seyler aus Bremerhave­n, einer der besten deutschen Profis. Das liegt auch daran, dass die Zuschauer sich mit dem Sport identifizi­eren können. „Darts wird von Athleten betrieben, die oft keine durchtrain­ierten Körper haben, die ihren Sport auch noch mit 50, 60 betreiben können“, sagte Seyler.

„Darts in Deutschlan­d ist wirklich gut. Man sieht es immer mehr im Fernsehen, und die Spieler werden immer besser“, sagt Darts-Legende Phil Taylor, der zum 28. Mal an einer WM teilnimmt und seinen 17. Titel anstrebt. „Ihr braucht jetzt Spieler wie Max Hopp, die Darts weiter nach vorne bringen. Wenn er das WM-Finale erreichen würde, würde das dem Sport großen Auftrieb geben.“

Der erst 20-jährige Idsteiner, der sich auf Platz 38 der Weltrangli­ste verbessert hat, ist auch in diesem Jahr neben WM-Debütant Dragutin Horvat (Kassel) der deutsche Hoffnungst­räger. „Ich habe natürlich den großen Traum, irgendwann Weltmeiste­r zu werden“, sagt Hopp. „Aber ich weiß natürlich auch, dass man nicht von einem Tag auf den anderen ganz oben steht, sondern dass viele kleine Schritte dazu nötig sind.“In seinem Erstrunden­match gegen den Niederländ­er Vincent van der Voort am 22. Dezember ist er leichter Außenseite­r.

Favoriten auf den WM-Titel sind andere: Michael van Gerwen, der mit 25 Turniersie­gen in diesem Jahr nach Belieben dominierte, oder Titelverte­idiger Gary Anderson aus Schottland, der zuletzt zweimal triumphier­te. „Wenn es normal läuft, dann ist van Gerwen nicht zu schlagen“, meint Hopp.

Tausende Deutsche sind dabei Auch wenn ein deutscher WM-Titelkandi­dat nicht in Sicht ist, wollen sich viele deutsche Fans die Party nicht entgehen lassen. Im Ally Pally, wie der Alexandra Palace liebevoll genannt wird, wird längst deutsch gesprochen: Tausende Fans pilgern Jahr für Jahr mit schwarz-rot-goldenen Fahnen nach London und beschallen den 3000 Zuschauer fassenden Austragung­sort mit deutschen Fangesänge­n. Aber auch in Deutschlan­d sind Veranstalt­ungen inzwischen Monate im Voraus ausverkauf­t. „Manchmal bin ich selbst überrascht davon, wie weit Darts es in Deutschlan­d schon gebracht hat“, sagt Hopp.

Atmosphäri­sch kommt an die WM, die bis 2. Januar dauert, jedoch kein anderes Turnier heran. „Man merkt, dass alles etwas größer und wilder ist als sonst. Das gilt auch für das Publikum“, sagt Hopp, der auf der Bühne im Gegensatz zu den vielen Schlümpfen, Pinguinen und wandelnden Bierkrügen im Publikum bei Wasser bleiben muss.

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FOTO: DPA Willkommen im Tollhaus: Kostümiert­e Zuschauer im Alexandra Palace in London.

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