Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Debatte um Abschiebungen nach Afghanistan
Proteste am Frankfurter Flughafen – CDU-Politiker Bareiß verteidigt die Aktion
BERLIN/RAVENSBURG - Die erste Sammelabschiebung von abgelehnten Asylbewerbern nach Afghanistan hat erneut eine Debatte und teilweise heftige Proteste ausgelöst. 34 abgelehnte afghanische Asylbewerber wurden am Mittwoch aus Deutschland Richtung Kabul geflogen. „Darunter befanden sich auch acht Afghanen aus Bayern“, erklärte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in einer Mitteilung. Er kündigte weitere Abschiebungen auch nach Afghanistan an und widersprach Kritik daran. Die Flüchtlinge wurden vom Frankfurter Flughafen ausgeflogen. In Kabul sollten die Menschen zunächst von lokalen Behörden aufgenommen werden, berichtete der „Spiegel“. Sie sollten in ihre Heimatregionen zurückkehren, soweit diese als sicher gelten.
Das Bundesverfassungsgericht verhinderte am Abend die Abschiebung eines 29-jährigen Afghanen. Am Flughafen protestierten Hunderte Menschen gegen die Maßnahme. Einige Demonstranten trugen Schilder mit der Aufschrift: „Stopp! Keine Abschiebung nach Afghanistan“. In Sprechchören forderten sie: „Abschiebung ist Folter, Abschiebung ist Mord, Bleiberecht für alle, jetzt sofort.“In den vergangenen Wochen hatten Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei Afghanistan als zu gefährlich für Rückführungen bezeichnet, weil es in weiten Teilen des Landes Kämpfe zwischen Regierungstruppen und radikalislamischen Talibanrebellen gibt. Vor allem bei den Grünen im Südwesten tobt eine Debatte darüber. Der Parlamentsgeschäftsführer der Grünen im Landtag, Uli Sckerl, sprach am Mittwoch in Stuttgart von „kritischen Stimmen“. Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand hatte am Vortag gefordert, dass sich BadenWürttemberg nicht an der Aktion beteiligen solle. Die Bundesregierung erachtet hingegen einige Gebiete als sicher und möchte deutlich mehr abgelehnte afghanische Asylbewerber – laut Innenministerium gab es zum Stichtag 30. September 12 539 ausreisepflichtige Afghanen – abschieben. Dies hält auch die Internationale Organisation für Migration (IOM) für vertretbar. Deren Direktor William Lacy Swing sagte der „Welt“: „Die IOM führt alle paar Tage freiwillige Ausreisen aus Deutschland nach Afghanistan durch, weil es in einigen Regionen ausreichend sicher ist.“
Thomas Bareiß (CDU), Bundestagsabgeordneter für den Zollernalbkreis, sieht dies ähnlich. „Ich verstehe die Diskussion nicht. Wer abgelehnt ist und kein Bleiberecht hat, muss auch wieder zurückgehen“, sagte der 41-Jährige der „Schwäbischen Zeitung“.
FRANKFURT/BERLIN - Die Sammelabschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern aus Afghanistan haben am Mittwoch begonnen. Am Abend sei die erste Chartermaschine mit 34 Betroffenen von Frankfurt aus nach Kabul gestartet, hieß es am Abend aus dem bayrischen Innenministerium. Anfang Januar soll erneut eine Maschine in Richtung Hindukusch starten.
Das Bundesverfassungsgericht hatte unmittelbar vor dem Abflug die geplante Abschiebung eines der betroffenen Afghanen ausgesetzt. Die Karlsruher Richter hatten dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eines 29-Jährigen stattgegeben, die Abschiebung zu untersagen und dies mit „besonderen Umständen des Einzelfalls“begründet. Die Frage, ob angesichts der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan Abschiebungen derzeit überhaupt verfassungsrechtlich vertretbar seien, habe das Gericht ausdrücklich offengelassen, hieß es.
Rückführungsabkommen läuft Berlin hatte mit der afghanischen Regierung über ein Rückführungsabkommen verhandelt. Schließlich hatte sich die Führung in Kabul bereit erklärt, abgelehnte Asylbewerber wieder in ihrer Heimat in sicheren Provinzen aufzunehmen. Flüchtlinge, die freiwillig zurückkehren, erhalten eine finanzielle Prämie. Deutschland beteiligt sich zudem an den im Oktober auf der internationalen Geberkonferenz vereinbarten Hilfen für Afghanistan in Höhe von 13,6 Milliarden Euro mit 1,7 Milliarden Euro für die nächsten vier Jahre. Einen Zusammenhang zwischen den Finanzleitungen und den Rückführungsabkommen wies die EU zurück.
In der Vergangenheit waren Flüchtlinge vom Hindukusch nach Ablehnung ihres Asylgesuches in der Regel geduldet worden, weil die Sicherheitslage instabil war und es in vielen Regionen bis heute ist. Flüchtlingsorganisationen und die Opposition im Bundestag üben daher auch Kritik und protestieren gegen die Abschiebungspläne, verweisen auf die Gefahren etwa durch Anschläge. Die Bundesregierung dagegen stuft Teile des Landes, vor allem die Großstädte, als sicher ein und hält Abschiebungen daher für vertretbar, unterstützt zudem Wiedereingliederung und Ausbildungsprojekte.
Laut Innenministerium sind 12 000 der rund 48 000 afghanischen Flüchtlinge in Deutschland zur Ausreise aufgefordert worden. Im ersten Halbjahr wurden 18 abgelehnte Asylbewerber aus Afghanistan wieder in ihre Heimat abgeschoben. Das Signal aus Berlin ist klar: Der Druck auf abgelehnte Asylbewerber soll erhöht werden.
Die Bundesländer organisieren die Rückführung, erklärt CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach. Auch der Entzug der Aufenthaltserlaubnis sei Kompetenz der Länder und kommunalen Ausländerbehörden. Bosbach fordert Konsequenzen für die Bundesländer, die bei Abschiebungen nicht mitziehen. „Wenn es in einigen Ländern an dem politischen Willen fehlt, die Ausreisepflicht durchzusetzen, kann der Bund keine Ersatzvornahme starten. Er sollte allerdings konsequent durchsetzen, dass in diesen Fällen alle Kosten fortan von den Ländern zu tragen sind“, erklärte Bosbach.