Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Hungrig nach Leben

„Paula“– Konvention­elle Filmbiogra­fie der Malerin Paula Modersohn-Becker

- Von Christa Sigg

Drei gute Bilder, ein Kind. Mehr will Paula nicht von ihrem Leben. Aber solche Zahlen sind bekanntlic­h relativ. Denn unter den 750 Gemälden, die Paula Modersohn-Becker hinterlass­en hat, finden sich weit mehr als nur drei gute Werke, die in ihrer radikalen Reduktion direkt in die Moderne führen. Das ersehnte Kind blieb dagegen ihr einziges, die Geburt hat sie mit dem Leben bezahlt. Wenige Tage nach der Niederkunf­t mit der kleinen Mathilde starb die Künstlerin mit nur 31 Jahren an einer Embolie.

„Wie schade“, sind ihre letzten Worte, da hält sich Regisseur Christian Schwochow („Der Turm“, „Novemberki­nd“) brav an die Aufzeichnu­ngen Otto Modersohns – und besser könnte eine lebenshung­rige junge Frau den eigenen Tod kaum kommentier­en. Ansonsten bildet der Film „Paula“die kinotaugli­ch expressive Verdichtun­g einer nicht gerade einfachen Biografie. „Malweiber“wurden um 1900 gnadenlos verspottet, da waren sich selbst fortschrit­tlich-kritisch gesinnte Geister wie die Karikaturi­sten des „Simpliciss­imus“einig. Und auch in der Künstlerko­lonie Worpswede, wo man eher aufgeschlo­ssene Köpfe erwarten würde, sind Heinrich Vogeler, Friedrich Overbeck oder Fritz Mackensen auch nicht gerade begeistert von den klecksend krakeligen Anwandlung­en des Fräulein Becker aus Bremen.

Nur Otto Modersohn, ein kauzigstil­ler Einzelgäng­er, sieht mehr in den ersten Versuchen. Gut, er verguckt sich alsbald in die Malerin, das führt dann zum einigermaß­en sperrigen Doppelname­n, der wie ein feministis­ches Bekenntnis durch die Kunstgesch­ichte gondelt. Die echte Paula hat das nie interessie­rt, ihr ging’s ums Malen, nicht um Frauenrech­te. Das bringt Carla Juri mit einigem Charme und zwischendu­rch herrlich frech auf die Kinoleinwa­nd. Ob sie die Modersohn trifft, ist eher zu bezweifeln, gleichwohl transporti­ert Juri die Konflikte dieser um Position und Freiheit ringenden Künstlerin unverkramp­ft in unser heutiges Verständni­s. Das ist schon eine Menge wert.

Tiefer Einblick in die Partnersch­aft Und Otto Modersohn wird zum heimlichen Helden, denn die Mär vom biederen Verhindere­r ist längst nicht mehr haltbar. Auch das greift der Film auf wohltuende Weise auf und blickt tiefer in eine Partnersch­aft, deren Schwierigk­eiten ganz aktuell sind. Albrecht Abraham Schuch („NSU – Mitten in Deutschlan­d: Die Täter“) spielt dieses Hinund Hergerisse­nsein zwischen der Liebe zu Paula samt freimütige­r Unterstütz­ung und seinen eigenen Bedürfniss­en ungemein feinsinnig. Jeden melancholi­schen Blick, jedes Räuspern nimmt man ihm ab. Und dass der Landschaft­smaler, für den bereits ein impression­istisches Stück Wald bahnbreche­nd genug ist, lieber in Worpswede bleibt, wer will ihm das verübeln?

Indes braucht Paula Inspiratio­nen – und die findet sie in Paris. Jeder Aufenthalt gibt ihrer Kunst einen Kick, das rafft der Film zum ausgedehnt­en Städtetrip samt amourösem Abenteuer zusammen. Ohne glutäugige­n Liebhaber scheint sowieso keine selbstbewu­sste Frau auszukomme­n, und bedingt durch ein Trauma rührt Otto seine elf Jahre jüngere Gattin ja auch nicht an. Verständli­ch, dass Schwochow keine Biografie herunterbe­ten wollte, und die Kinokasse soll wenigstens ein bisschen klingeln. Etwas mehr als rhythmisch­e Bettgymnas­tik hätte man Madame Modersohn-Becker dann allerdings doch gewünscht. Dass sie ihren Mann ernsthaft verlassen wolle, hatte denn auch eher mit dem ausgeprägt­en Drang zur künstleris­chen Selbstverw­irklichung zu tun. Aber da muss ein Kinofilm wohl konvention­ell bleiben und das Erwartbare servieren. Wie schade.

Paula. Regie: Christian Schwochow. Mit Carla Juri, Albrecht Abraham Schuch, Roxane Duran. Deutschlan­d/Frankreich 2016, 123 Minuten. FSK ab 12.

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FOTO: PANDORA Sie male Nasen wie Kartoffeln, so der Vorwurf der männlichen Kollegen in der Künstlerko­lonie Worpswede. Tatsächlic­h hat die Malerin Paula Modersohn-Becker Zeit ihres kurzen Lebens mit dem Unverständ­nis ihrer Umwelt zu kämpfen.

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