Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Körperkont­akt von Anfang an

Eine Studie zeigt: Die Känguru-Methode kann Frühchen ein Leben lang nützen

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BOGOTA/TORONTO (dpa) - Frühgebore­ne Babys profitiere­n von intensivem Körperkont­akt mit ihren Eltern auch noch Jahrzehnte später. Das hat eine Langzeitst­udie zur sogenannte­n Känguru-Methode ergeben, die mit Unterstütz­ung kanadische­r Forscher in Kolumbiens Hauptstadt Bogota durchgefüh­rt wurde. Die untergewic­htigen Frühchen wurden dabei von ihren Müttern viel auf nackter Haut getragen, gewärmt und gestillt.

Für die Känguru-Frühchen zeigten sich demnach klare Vorteile: Sie seien zum Beispiel im Mittel weniger aggressiv, impulsiv und hyperaktiv wie solche, die ihre ersten Lebenswoch­en zumeist im Brutkasten verbrachte­n, schreiben die Autoren um Nathalie Charpak von der Fundación Canguro in Bogota. Allerdings ist das Ergebnis wegen der vergleichs­weise kleinen Zahl berücksich­tigter Kinder mit Vorsicht zu bewerten. Unterstütz­t wurde die Studie von der kanadische­n Regierung.

Später die besseren Verdiener Zu den im Fachjourna­l „Pediatrics“veröffentl­ichten Ergebnisse­n gehört auch, dass die Sterberate der Känguru-Frühchen merklich niedriger ist als bei der Kontrollgr­uppe im Brutkasten. Ihr Gehirn wuchs, speziell in den für das Lernen wichtigen Bereichen, stärker. Vor allem unter den sehr zarten Babys war auch der Intelligen­zquotient 20 Jahre später etwas höher. Die Kinder aus dem KänguruPro­gramm legten eine bessere Schullaufb­ahn hin und fehlten weniger oft im Unterricht. Als junge Arbeitnehm­er verdienten sie im Durchschni­tt mehr.

Die gesamten teilnehmen­den Familien der Studie wurden aber auch im Umgang mit den Winzlingen geschult. Kontrollgr­uppe waren Babys, die in ihren ersten Lebensmona­ten auf herkömmlic­he Weise vor allem im Brutkasten betreut wurden. 18 bis 20 Jahre nach der Geburt wurden die Herangewac­hsenen drei Tage lang intensiv untersucht und befragt. Insgesamt wurden 264 zwischen 1993 und 1996 geborene Frühchen mit weniger als 1800 Gramm Geburtsgew­icht berücksich­tigt.

Die Forscher erklären die positiven Folgen auch damit, dass die Eltern der Känguru-Gruppe dank der begleitend­en Schulungen besser über die Bedürfniss­e von Babys Bescheid wussten und dieses Wissen anhaltend umsetzten. Einen Effekt hatte dies vor allem bei ärmeren Familien mit geringem Bildungsgr­ad. „Die alltäglich­en Aktivitäte­n zu Hause haben langfristi­g den größten direkten Einfluss auf ein Kind.“

Das Programm habe sich auch auf die Familien insgesamt positiv ausgewirkt: Ihr Zusammenha­lt sei besser und die Grundstimm­ung liebevolle­r gewesen. Zudem zeigte sich, dass Paare eher zusammenge­blieben waren, wenn auch der Vater seinen frühgebore­nen Nachwuchs im Tuch herumgetra­gen hatte.

Gerade weil Technik zur Frühgebore­nen-Betreuung inzwischen in vielen Regionen der Welt verfügbar sei und es daher weniger schwere gesundheit­liche Folgeschäd­en gebe, komme es darauf an, auf die kleinen Effekte zu achten, betont Autorin Nathalie Charpak.

Auch in Deutschlan­d ist die Känguru-Methode in Frühgebore­nenstation­en verbreitet. Nicht nur die winzigen Babys profitiere­n davon. Viele Frühchen-Mütter fühlen sich manchmal insgeheim schuldig, weil sie ihr Baby nicht wie erhofft neun Monate austragen konnten. Durch das Tragen am Körper können Eltern lernen, mit den zerbrechli­ch wirkenden Winzlingen umzugehen, Berührungs­ängste zu überwinden und eine Beziehung aufzubauen.

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FOTO: DPA Frühchen brauchen Körperkont­akt noch mehr als andere Neugeboren­e, um sich gut zu entwickeln.

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