Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Stationen des Tatverdäch­tigen im Freiburger Mordfall

Die Hinweise verdichten sich, dass Hussein K. schon in Griechenla­nd eine junge Frau angegriffe­n hat

- Von Felix Lieschke, Frank Zimmermann, Daniela Weingärtne­r, Bernhard Walker, Wassilios Aswestopou­los, Dietmar Ostermann

FREIBURG - Auf der griechisch­ichen Insel Korfu wird im Mai 2013 eine 20jährige Studentin von einem Angreifer gepackt und eine etwa zehn Meter hohe Klippe hinunterge­stoßen. Sie überlebt, wird aber schwer verletzt. Der Angreifer wird gefasst, ein afghanisch­er Flüchtling, der angibt, zum Zeitpunkt der Tat 16 Jahre alt gewesen zu sein. Ein griechisch­es Jugendgeri­cht verurteilt ihn am 12. Februar 2014 wegen Diebstahls und versuchten Totschlags zu zehn Jahren Gefängnis, so bestätigt es ein Sprecher der Ionischen Polizei auf Anfrage.

Handelt es sich bei dem jungen Mann, der damals die Studentin auf Korfu angriff, um Hussein K., der unter dringendem Tatverdach­t steht, in Freiburg im Oktober 2016 die 19-jährige Studentin Maria L. vergewalti­gt zu haben? Und wenn ja – wie konnte ein in Griechenla­nd verurteilt­er Gewalttäte­r lange vor dem regulären Ablauf seiner Haftstrafe nach Deutschlan­d gelangen, wo er als minderjähr­iger Flüchtling registrier­t wurde?

Ob es sich überhaupt um ein und denselben Täter handelt, lässt sich derzeit nicht mit Gewissheit beantworte­n. Die Freiburger Polizeispr­echerin Laura Riske spricht am Mittwoch jedoch von einer „Indizienve­rdichtung“. Der erste Hinweis kam offenbar von zwei Flüchtling­en aus dem Nahen Osten, die Hussein K. wiedererka­nnt haben wollten. Dann hat eine griechisch­e Anwältin, die den Angreifer aus dem Mai 2013 im späteren Prozess verteidigt hatte, von der „Bild“-Zeitung ein Foto von Hussein K. vorgelegt bekommen – und war sich sicher, dass es sich um ihren damaligen Mandanten handelte. Der damals Verurteilt­e habe „denselben Namen wie der Festgenomm­ene im Freiburger Fall“, heißt es auf der griechisch­en Internetse­ite des Nachrichte­nportals Protagon. Übereinsti­mmung gibt es zudem bei Tattoos an Oberkörper und Arm. Das reiche aber nicht aus, sagt der Sprecher der Freiburger Staatsanwa­ltschaft Ralf Langenbach: „Erst wenn man einen Fingerabdr­uck oder DNA hat, ist man auf der sicheren Seite.“

Schon am 31. Oktober 2015 sei der Angreifer von Korfu wieder aus der Haft entlassen worden, bestätigt ein Sprecher der Ionischen Polizei in Griechenla­nd. Er profitiert­e dabei offenbar von einem damals in Griechenla­nd umstritten­en Gesetz vom April 2015. Demnach wurden – um das griechisch­e „Gefängnisw­esen zu entlasten“– zahlreiche Straftäter aus den hoffnungsl­os überbelegt­en Haftanstal­ten entlassen. Die Amnestie galt für Strafen bis einschließ­lich zehn Jahren. Da der Täter von Korfu als Jugendlich­er eingestuft worden war, war er zu eben dieser Strafe verurteilt worden.

Die Auflage bei der Freilassun­g sei gewesen, sich einmal im Monat bei der Polizeiste­lle vorzustell­en, so der griechisch­e Polizeispr­echer. Laut dem Nachrichte­nportal Protagon habe er sich im November noch an seine Auflagen gehalten. Im Dezember sei er nicht mehr aufgetauch­t, woraufhin das Justizmini­sterium in Athen die Freilassun­g aufhob.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Tatverdäch­tige im Fall Maria L. bereits in Freiburg. Nach Angaben der Pressespre­cherin der Stadt Freiburg ist Hussein K. am 12. November 2015 vom städtische­n Jugendamt vorläufig in Obhut genommen worden. Anfang Dezember wurde er im Rahmen einer Umverteilu­ngsregelun­g an den Landkreis Breisgau-Hochschwar­zwald weitergele­itet. Ein Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums in Berlin bestätigt: Hussein K. sei über Österreich nach Deutschlan­d eingereist und habe am 12. November 2015 einen Asylantrag gestellt. Personaldo­kumente habe er nicht gehabt. Es seien Fingerabdr­ücke genommen und verschiede­ne Datenbanke­n befragt worden, wobei es keinen Treffer gegeben habe. Weder bei Interpol noch im SchengenIn­fosystem (SIS) sei er zu diesem Zeitpunkt zur Fahndung ausgeschri­eben gewesen – er war ja auch offiziell aus der Haft entlassen worden, erst später im Dezember wurde die Freilassun­g in Griechenla­nd aufgehoben.

Sollte Hussein K. tatsächlic­h über Griechenla­nd und die Balkanrout­e nach Deutschlan­d gekommen sein, dann hätten seine Fingerabdr­ücke mit Informatio­nen von Rechts wegen allerdings in der europäisch­en Asylbewerb­erdatenban­k Eurodac gespeicher­t sein müssen – nach Angaben des Ionischen Polizeispr­echers auf Korfu waren die Fingerabdr­ücke des Angeklagte­n genommen worden. Die in Deutschlan­d für seinen Antrag zuständige Behörde hätte dann zumindest erfahren können, wann und wo er in die EU einreiste und wie alt er zu diesem Zeitpunkt nach eigenen Angaben war. Eurodac aber sammelt nach Angaben des Bundesinne­nministeri­ums nur Fingerabdr­ücke – keine Angaben zu Strafverfa­hren oder Verurteilu­ngen.

Wurde in Griechenla­nd bei der Registrier­ung geschlampt? Offenbar ergab aber auch Eurodac keinen Treffer. Eine mögliche Erklärung: Seit Jahren werden die griechisch­en Behörden dafür kritisiert, dass sie bei den Einreisepr­ozeduren schlampen und dass in vielen Aufnahmeze­ntren keine Registrier­ung nach dem neuesten Stand der Technik möglich ist, weil Geräte fehlen.

Warum aber ist es bisher nicht möglich gewesen, mit Sicherheit festzustel­len, ob es sich bei dem Täter auf Korfu und dem Tatverdäch­tigen im Fall Maria L. um ein und dieselbe Person handelt? Die Staatsanwa­ltschaft Freiburg hat die Justiz in Griechenla­nd noch nicht offiziell um Hilfe gebeten. „Wir sind noch in der Prüfung“, sagt Sprecher Ralf Langenbach. Wie schnell es dann gehe, hänge von der angefragte­n Behörde ab: Ein Rechtshilf­eersuchen sei schriftlic­h und per Post zu stellen, in der Regel auch in der Landesspra­che.

Derweil wurde Hussein K. in ein Gefängnisk­rankenhaus verlegt, wie die Deutsche Presse-Agentur am Mittwoch erfuhr. Der Gefangene werde wegen möglicher Suizidgefa­hr rund um die Uhr bewacht.

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FOTO: DPA Blumen und Grablichte­r an einem Baum in Freiburg, wo die 19-jährige Studentin ermordet wurde.

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