Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Stationen des Tatverdächtigen im Freiburger Mordfall
Die Hinweise verdichten sich, dass Hussein K. schon in Griechenland eine junge Frau angegriffen hat
FREIBURG - Auf der griechischichen Insel Korfu wird im Mai 2013 eine 20jährige Studentin von einem Angreifer gepackt und eine etwa zehn Meter hohe Klippe hinuntergestoßen. Sie überlebt, wird aber schwer verletzt. Der Angreifer wird gefasst, ein afghanischer Flüchtling, der angibt, zum Zeitpunkt der Tat 16 Jahre alt gewesen zu sein. Ein griechisches Jugendgericht verurteilt ihn am 12. Februar 2014 wegen Diebstahls und versuchten Totschlags zu zehn Jahren Gefängnis, so bestätigt es ein Sprecher der Ionischen Polizei auf Anfrage.
Handelt es sich bei dem jungen Mann, der damals die Studentin auf Korfu angriff, um Hussein K., der unter dringendem Tatverdacht steht, in Freiburg im Oktober 2016 die 19-jährige Studentin Maria L. vergewaltigt zu haben? Und wenn ja – wie konnte ein in Griechenland verurteilter Gewalttäter lange vor dem regulären Ablauf seiner Haftstrafe nach Deutschland gelangen, wo er als minderjähriger Flüchtling registriert wurde?
Ob es sich überhaupt um ein und denselben Täter handelt, lässt sich derzeit nicht mit Gewissheit beantworten. Die Freiburger Polizeisprecherin Laura Riske spricht am Mittwoch jedoch von einer „Indizienverdichtung“. Der erste Hinweis kam offenbar von zwei Flüchtlingen aus dem Nahen Osten, die Hussein K. wiedererkannt haben wollten. Dann hat eine griechische Anwältin, die den Angreifer aus dem Mai 2013 im späteren Prozess verteidigt hatte, von der „Bild“-Zeitung ein Foto von Hussein K. vorgelegt bekommen – und war sich sicher, dass es sich um ihren damaligen Mandanten handelte. Der damals Verurteilte habe „denselben Namen wie der Festgenommene im Freiburger Fall“, heißt es auf der griechischen Internetseite des Nachrichtenportals Protagon. Übereinstimmung gibt es zudem bei Tattoos an Oberkörper und Arm. Das reiche aber nicht aus, sagt der Sprecher der Freiburger Staatsanwaltschaft Ralf Langenbach: „Erst wenn man einen Fingerabdruck oder DNA hat, ist man auf der sicheren Seite.“
Schon am 31. Oktober 2015 sei der Angreifer von Korfu wieder aus der Haft entlassen worden, bestätigt ein Sprecher der Ionischen Polizei in Griechenland. Er profitierte dabei offenbar von einem damals in Griechenland umstrittenen Gesetz vom April 2015. Demnach wurden – um das griechische „Gefängniswesen zu entlasten“– zahlreiche Straftäter aus den hoffnungslos überbelegten Haftanstalten entlassen. Die Amnestie galt für Strafen bis einschließlich zehn Jahren. Da der Täter von Korfu als Jugendlicher eingestuft worden war, war er zu eben dieser Strafe verurteilt worden.
Die Auflage bei der Freilassung sei gewesen, sich einmal im Monat bei der Polizeistelle vorzustellen, so der griechische Polizeisprecher. Laut dem Nachrichtenportal Protagon habe er sich im November noch an seine Auflagen gehalten. Im Dezember sei er nicht mehr aufgetaucht, woraufhin das Justizministerium in Athen die Freilassung aufhob.
Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Tatverdächtige im Fall Maria L. bereits in Freiburg. Nach Angaben der Pressesprecherin der Stadt Freiburg ist Hussein K. am 12. November 2015 vom städtischen Jugendamt vorläufig in Obhut genommen worden. Anfang Dezember wurde er im Rahmen einer Umverteilungsregelung an den Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald weitergeleitet. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums in Berlin bestätigt: Hussein K. sei über Österreich nach Deutschland eingereist und habe am 12. November 2015 einen Asylantrag gestellt. Personaldokumente habe er nicht gehabt. Es seien Fingerabdrücke genommen und verschiedene Datenbanken befragt worden, wobei es keinen Treffer gegeben habe. Weder bei Interpol noch im SchengenInfosystem (SIS) sei er zu diesem Zeitpunkt zur Fahndung ausgeschrieben gewesen – er war ja auch offiziell aus der Haft entlassen worden, erst später im Dezember wurde die Freilassung in Griechenland aufgehoben.
Sollte Hussein K. tatsächlich über Griechenland und die Balkanroute nach Deutschland gekommen sein, dann hätten seine Fingerabdrücke mit Informationen von Rechts wegen allerdings in der europäischen Asylbewerberdatenbank Eurodac gespeichert sein müssen – nach Angaben des Ionischen Polizeisprechers auf Korfu waren die Fingerabdrücke des Angeklagten genommen worden. Die in Deutschland für seinen Antrag zuständige Behörde hätte dann zumindest erfahren können, wann und wo er in die EU einreiste und wie alt er zu diesem Zeitpunkt nach eigenen Angaben war. Eurodac aber sammelt nach Angaben des Bundesinnenministeriums nur Fingerabdrücke – keine Angaben zu Strafverfahren oder Verurteilungen.
Wurde in Griechenland bei der Registrierung geschlampt? Offenbar ergab aber auch Eurodac keinen Treffer. Eine mögliche Erklärung: Seit Jahren werden die griechischen Behörden dafür kritisiert, dass sie bei den Einreiseprozeduren schlampen und dass in vielen Aufnahmezentren keine Registrierung nach dem neuesten Stand der Technik möglich ist, weil Geräte fehlen.
Warum aber ist es bisher nicht möglich gewesen, mit Sicherheit festzustellen, ob es sich bei dem Täter auf Korfu und dem Tatverdächtigen im Fall Maria L. um ein und dieselbe Person handelt? Die Staatsanwaltschaft Freiburg hat die Justiz in Griechenland noch nicht offiziell um Hilfe gebeten. „Wir sind noch in der Prüfung“, sagt Sprecher Ralf Langenbach. Wie schnell es dann gehe, hänge von der angefragten Behörde ab: Ein Rechtshilfeersuchen sei schriftlich und per Post zu stellen, in der Regel auch in der Landessprache.
Derweil wurde Hussein K. in ein Gefängniskrankenhaus verlegt, wie die Deutsche Presse-Agentur am Mittwoch erfuhr. Der Gefangene werde wegen möglicher Suizidgefahr rund um die Uhr bewacht.