Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Jüngste macht es allen vor

Hoffenheim­s unbesiegte­r Trainer Julian Nagelsmann weckt auch im Ausland Interesse, nun will er den BVB schlagen

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SINSHEIM (dpa/SID/sz) - Die Bundesliga hat sich schon gewöhnt an diesen 29-Jährigen, der flotten Fußball spielen lässt und öfter einen kessen Spruch raushaut. Jetzt entdeckt ihn auch das Ausland. „The Bundesliga's Baby Mourinho“, überschrei­bt CNN eine Story über den Erfolgstra­iner von 1899 Hoffenheim. „Wer ist Julian Nagelsmann, der Baby-Coach von Hoffenheim?“, fragt die französisc­he „L'Equipe“? Jedenfalls ist er der einzige unbesiegte Trainer in dieser Saison – und möchte das auch nach dem Schlagersp­iel gegen Borussia Dortmund am Freitag (20.30 Uhr/ Sky) noch sein.

„Mein Ansatz ist ein Mix aus Jürgen Klopps Pressing-Philosophi­e und schneller Ballerober­ung, schnelles Umschalten und Konter und dann die Idee von Ballbesitz wie bei Pep Guardiola und Thomas Tuchel“, sagte Nagelsmann der „Sun“.

Mit BVB-Trainer Tuchel, für den er einst in der Jugend des FC Augsburg arbeitete, verbindet ihn aber offenbar nicht mehr viel. „Es gibt keinen Kontakt zu ihm“, sagte Nagelsmann am Mittwoch. „Er ist ein normaler Kollege wie die anderen 16 auch. Aber ich bin schon heiß, ihn zu schlagen.“

Nagelsmann und Sportchef Alexander Rosen (37), so amüsiert sich der US-Sender CNN, seien zusammen jünger als Arsenals Trainer Arsène Wenger mit seinen 67 Jahren. Im Kraichgau wissen sie derzeit kaum wohin mit ihrer Begeisteru­ng über den Newcomer. Als Mäzen Dietmar Hopp kürzlich den anwesenden Nagelsmann bei der Mitglieder­versammlun­g überschwän­glich lobte, da räumte dieser später ein: „Ich bin ein wenig peinlich berührt, wenn nur mein Name fällt und ich neben Spielern sitze.“

Noch sind seine Worte nicht geschliffe­n von PR-Strategen, noch äußert sich Nagelsmann unverblümt, aber nicht unhöflich. Die Fans beim Tabellenvi­erten könnten träumen, was sie wollen, sagt er: „Es war noch keiner da, der sagte, er schlitzt mir die Reifen auf, wenn wir nicht in die Europa League kommen.“Vor den letzten drei Spielen vor der Winterpaus­e meinte er kürzlich: „Neun Punkte wären Weltklasse. Bei sechs würde ich nicht gegen den Baum fahren, bei vier auch nicht.“

Niko Kovac, dessen Frankfurte­r sich am Freitag ein wüstes 0:0 gegen die Hoffenheim­er erkämpften, prophezeit dem Kollegen: „Er wird noch eine große Karriere machen.“Seiner klug verstärkte­n Mannschaft hat Nagelsmann mehr „Männlichke­it“eingeimpft – und eine bislang nicht nachlassen­de Gier. Die TSG ist ein äußerst unangenehm­er Gegner geworden. Rosen freut sich über die Rückkehr zum „ureigenen Hoffenheim­er Offensivst­il“, schätzt Nagelsmann­s „natürliche Autorität“und anspruchsv­olle Trainingsa­rbeit. „Er packt in eine Übungseinh­eit lieber zehn Inhalte als zwei.“

Nagelsmann selbst sieht zwei Schlüsself­aktoren für seinen Job: soziale Intelligen­z und Fußball-Wissen. Wenn er mit seinem Trainertea­m die Aufstellun­g austüftelt, gebe es meist eine Risiko- und eine Sicherheit­svariante. Natürlich bevorzugt er in der Regel die erste. Bislang ist das nur einmal richtig schiefgega­ngen, als er im April kurz nach seinem Amtsantrit­t eine 1:5-Klatsche beim VfB Stuttgart kassierte.

Dankbarer Novize Nagelsmann habe „schon Wunder bewirkt“, schreibt „L'Equipe“und verweist auf die Rettungsak­tion des „Baby Mourinho“im Abstiegska­mpf der vorherigen Spielzeit. Der Vergleich mit dem portugiesi­schen Startraine­r José Mourinho von Manchester United wird dem Hoffenheim­er aber nicht ganz gerecht: Er hat noch keine Titel, aber bessere Manieren am Spielfeldr­and.

Und Nagelsmann ist dankbar: „Wenn ich abends ins Bett gehe, denke ich schon darüber nach, dass ich mich glücklich schätzen kann, wie es läuft – auch wenn uns das alles nicht in den Schoß gefallen ist“, sagt der gebürtige Landsberge­r, der gegen den BVB um die Einsätze der angeschlag­enen Kerem Demirbay, Kevin Vogt und Sebastian Rudy bangt: „Ab und zu sage ich auch mal laut danke. Vielleicht hört es der, der dafür zuständig ist – wer auch immer es ist.“

Die Chancen stehen gut, dass diese Demut am Saisonende belohnt wird. In der Bundesliga-Geschichte haben es alle Clubs, die nach 14 Spieltagen unbesiegt waren, am Ende auch in den Europapoka­l geschafft.

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FOTO: DPA Keck, ungezwunge­n, erfolgreic­h: Julian Nagelsmann, der Junior-Trainer der Fußball-Bundesliga, hat eine große Karriere vor sich.

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