Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
De Maizière kritisiert griechische Behörden
Tatverdächtiger im Freiburger Mordfall war international nicht zur Fahndung ausgeschrieben
BERLIN (dpa) - Innenminister Thomas de Maizière (CDU) macht griechischen Behörden im Freiburger Mordfall um den tatverdächtigen Flüchtling schwere Vorwürfe. Zentral geht es um die Frage, warum den deutschen Behörden bei der Einreise des mutmaßlichen Afghanen im November 2015 eine griechische Vorstrafe wegen versuchten Mordes nicht aufgefallen ist. De Maizière warf Griechenland am Donnerstag vor, den Mann nach Verstößen gegen Bewährungsauflagen nicht international zur Fahndung ausgeschrieben zu haben. „Ansonsten wäre der Tatverdächtige bei einer ordnungsgemäßen Kontrolle durch die deutschen Sicherheitsbehörden in verschiedenen Stufen aufgefallen.“
Der nach eigenen Angaben aus Afghanistan stammende Flüchtling war 2014 wegen Raub und versuchten Mordes in Griechenland zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Er soll auf der Insel Korfu eine Studentin eine Klippe hinabgeworfen und schwer verletzt haben. Laut de Maizière wurde der Tatverdächtige von Freiburg in Griechenland unter Auflagen vorzeitig freigelassen. Er sollte sich für die Dauer von fünf Jahren einmal monatlich bei der Polizei an seinem Wohnsitz melden. Als er der Auflage nicht nachgekommen sei, hätten ihn die griechischen Behörden nicht international zur Fahndung ausgeschrieben.
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter sprach von einem „eklatanten Versagen“der Behörden. Auch der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka kritisierte in der „Rheinischen Post“das Verhalten der griechischen Stellen. Der Fall dürfte auch heute beim Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras in Berlin zur Sprache kommen. De Maizière sieht sich zudem durch den Fall in seiner Forderung nach einer besseren Verknüpfung europäischer Datenbanken bestätigt. Er nannte vier Datentöpfe: die Flüchtlingsdatenbank Eurodac, das Schengener Grenz-Informationssystem, das Visa-Informationssystem und Sicherheitsdatenbanken wie Inpol. „Diese Daten sind bisher nicht miteinander verknüpft, sodass auch eine Nachfrage bei Europol nicht ergibt, ob es sich um einen Straftäter handelt“, sagte der Innenminister.
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BERLIN - „Richtig und notwendig“seien Abschiebungen, verteidigt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (Foto: dpa) das Vorgehen am Donnerstag. Die Rückführung von 34abgelehnten afghanischen Asylbewerbern, die am Mittwochabend mit einer Chartermaschine von Frankfurt nach Kabul geflogen worden waren, sei „rechtmäßig, verantwortlich und behutsam“gewesen. Schließlich gehe es darum, „unser Asylsystem funktionsfähig zu halten“, sagte der CDU-Politiker. Daher werde man „nach und nach solche Rückführungen fortsetzen“. CSU-Chef Horst Seehofer erklärte, er hoffe, „dass es keine einmalige Aktion ist“.
Heftige Kritik hagelt es dagegen von der Opposition und Flüchtlingsorganisationen. Grünen-Co-Fraktionschef Anton Hofreiter fordert ein Machtwort der Kanzlerin: „Frau Merkel muss ihren Innenminister davon abhalten, weitere Geflüchtete nach Afghanistan abzuschieben.“Der Grüne kritisierte auch SPD-Chef Sigmar Gabriel: „Auch er sollte seine Landesinnenminister daran erinnern, dass humanitäre Flüchtlingspolitik anders aussieht.“Abschiebungen in ein Krisengebiet wie Afghanistan seien „eine humanitäre Bankrotterklärung“, sagte er und warf der Bundesregierung „blanken Zynismus“vor. Die Sammelabschiebung vom Mittwoch soll der Auftakt zu einer Serie von weiteren Rückführungen von rund 12 000 ausreisepflichtigen afghanischen Flüchtlingen aus Deutschland sein.
Ein Drittel der Männer, die am Donnerstag in Kabul ankamen, seien Straftäter, berichtete Innenmister de Maizière gestern in Berlin. Einige hatten in Haft gesessen. Die Delikte der Afghanen, die aus Bayern, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland kamen, reichten von Diebstahl, Raub und Drogenhandel bis zu Vergewaltigung und Totschlag.
Afghanistan „hinreichend sicher“Ursprünglich sollten 50 Männer abgeschoben werden. 15 seien allerdings „abgetaucht“. In einem Fall hatte das Bundesverfassungsgericht die Abschiebung zunächst ausgesetzt. Innenminister de Maizière räumte zwar ein, dass die Sicherheitslage in Afghanistan weiterhin „insgesamt nicht einfach“und „kompliziert“sei. Allerdings sei es „hinreichend sicher“.
Unterdessen ist eine Debatte über den in Haft sitzenden afghanischen Flüchtling Hussein K. entbrannt, der unter dem dringenden Verdacht steht, in Freiburg eine Studentin vergewaltigt und getötet zu haben. De Maizière bestätigte Berichte, nach denen er vor drei Jahren bereits wegen eines Gewaltverbrechens an einer Frau in Griechenland zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war. Er war unter Auflagen wieder freigelassen worden und als Asylbewerber nach Deutschland gekommen. De Maizière sprach von „einem sehr ärgerlichen Vorgang“und kritisierte die griechischen Sicherheitsbehörden, die es unterlassen hätten, den Flüchtigen zur internationalen Fahndung auszuschreiben.
„Dieser Fall ist nicht nur ärgerlich, er ist wirklich skandalös“, erklärte CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach. Hätten ihn die griechischen Behörden zur internationalen Fahndung ausgeschrieben, wäre er nach der Einreise in Deutschland gefasst worden, so Bosbach. „Bei Kenntnis der Lage hätte er in Deutschland kein Aufenthaltsrecht bekommen können.“