Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
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Der Deutsche Mahmou Othman hilft beim Aufbau eines Instituts für Traumabehandlung im Irak
Hilfsaktion Deutscher Jeside will im Irak eine Traumatherapie vor Ort ermöglichen.
DOHUK - Eigentlich ist Mahmou Othman Anglist und führt irakische Studenten in die Schönheit der Literatur ein. 30 Jahre lang hat er in Berlin gelebt. Und ist irgendwann wieder zurückgekommen in den Norden des Irak. Zu seinen Leuten, den Jesiden, auf die der Rest der irakischen Gesellschaft herabschaut, so wie man in Deutschland vielleicht auf die Zigeuner herabgeblickt hat. „Ich kam, um den Menschen hier zu zeigen, dass es sich zu bleiben lohnt“, sagt der Professor in der Lobby des Jiyan-Hotels in Dohuk. Das ist ein großer Kasten aus Beton, den einst Saddam Hussein erbauen ließ, und von dem aus man einen wunderbaren Blick auf die Stadt im Nordirak hat.
Am 1. Januar beginnt für Mahmou Othman und die Universität Dohuk etwas, was es bisher im Irak noch nicht gegeben hat: Mit Unterstützung des Landes Baden-Württemberg wird ein Institut für Traumatherapie und Psychotraumatologie gegründet. 30 Master-Studenten der Psychologie sollen dann in Vorlesungen meist deutscher Dozenten über den richtigen Umgang mit den Schrecken der Gegenwart und den Dämonen der Vergangenheit lernen. „Früher schämte man sich, wenn man zu einem Psychologen ging, das ändert sich aber“, weiß Professor Othman. Das hat auch mit jenen Gräueltaten zu tun, die die Terrororganisation Islamischer Staat über das Land gebracht hat. Besonders die Jesiden hatten und haben unter Gewalt und Verfolgung zu leiden: Menschen verloren Haus und Hof, Frauen wurden misshandelt, Männer getötet. Die Jesiden zählen mehr als 70 Genozide in ihrer langen Geschichte. Auch wenn kritische Iraker sagen, sie gefielen sich zu sehr in der Opferrolle, ist der Bedarf an Therapie und Hilfe doch ganz offensichtlich. Die Universitätsverwaltung stellte ein altes Gebäude zu Verfügung, das Land Baden-Württemberg gab eine Million Euro, Wissenschaftsministerin Teresa Bauer wird bald erwartet und dann soll es losgehen.
Othman sagt, gerade die Jesiden bräuchten die Nähe zu ihren heiligen Orten im Nordirak. Jetzt will man, nachdem mehr als tausend jesidische Frauen nach Baden-Württemberg geholt wurden, versuchen, Therapie vor Ort anzubieten, für die Jesiden und für syrische Flüchtlinge.
„Muslime und Christen können überall beten, Jesiden brauchen ihre Rituale, die Verbindung zu ihrem Boden, ihrer Erde hier im Nordirak, sie brauchen ihren heiligen Ort Lalish“, sagt Othman. Es habe doch keinen Sinn, wenn immer mehr Jesiden das Land verließen, das Land ihrer Vorfahren und Götter. Traumatherapie in Dohuk ist ein Versuch, zur Fluchtursachenbekämpfung beizutragen. Wenn die Menschen mit ihren Seelenqualen im Irak therapiert werden können, gibt es weniger Verlockung sich auf den langen Weg nach Europa oder Amerika zu machen.
Othman kritisiert die Gleichgültigkeit vieler Iraker gegenüber den Minderheiten im Land. Seine muslimischen Kollegen kämen zwar gerne zu ihm zu Besuch, um mit ihm Alkohol zu trinken, aber kaum jemand protestiere gegen die Verfolgung der Jesiden, es sei vielen von ihnen offenbar egal. Wie aber kann eine solche Gesellschaft, die gleichgültig mit Minderheiten umgeht, versöhnt werden? Nach all den Grausamkeiten unter Saddam Hussein und jetzt durch die Terroristen des IS wirkt diese Aufgabe riesengroß. Der Jeside Othman sagt, ihn beeindrucke, was in Ruanda nach dem Genozid von 1994 gemacht worden sei: die Menschen wurden gezwungen sich zu versöhnen und wieder miteinander zu leben. In dem ostafrikanischen Land hat ein weitsichtiger Diktator diesen Zwang zur Versöhnung durchgesetzt.
Ob das im Irak gelingen kann? Othman weiß es nicht, er sagt nur, Jesiden hätten keine Probleme mit Muslimen, die aber umgekehrt mit den Jesiden. Jetzt geht es darum, Geld für die Stipendien der Studenten zusammenzubekommen. Für die Gründung des Instituts, die Löhne und Reisekosten der Dozenten gibt es Geld von der Landesregierung in Stuttgart. Ende Dezember beginnt in Dohuk die Auswahl der Studienteilnehmer, die meisten von ihnen werden Ärzte sein, die erkennen, dass der Irak mit seinen Traumata klarkommen muss. Im Grunde brauche das ganze Land eine Therapie, sagt Othman.