Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Trauern vor Strass-Steinen

Christlich­e Symbolik verliert bei der Grabgestal­tung an Bedeutung, Hinterblie­bene entscheide­n sich immer häufiger für weltlicheM­otive

- Von Mark Hänsgen

RAVENSBURG - Während auf dem Ravensburg­er Westfriedh­of friedvolle Stille herrscht, kreischt gleich daneben in einer Werkshalle die Kreissäge. Von Staub umhüllt und hoch konzentrie­rt schneidet Fabian Storrer in seinem gleichnami­gen Betrieb einen groben Klotz in Form. Der 27-Jährige ist ein Könner seines Fachs: ein ausgelernt­er Steinmetz und Steinbildh­auermeiste­r, vor allem spezialisi­ert auf die Herstellun­g von Grabsteine­n. Geschickt verwandelt er massive Rohblöcke mit Hammer und Meißel über mehrere Stunden in Schmuckstü­cke, die er dann selbst aufstellt. Storrer ist stolz auf sein traditione­lles Handwerk, das aber immer weniger der rund 11 000 deutschen Steinmetze genauso umfangreic­h anbieten wie er.

Schon längst beeinfluss­t die Globalisie­rung auch die Bestattung­skultur. Wer heute einen Friedhof betritt, geht auf eine Weltreise. Im noch so kleinsten katholisch­en Dorf glänzen hochpolier­te und bunt gemaserte Grabsteine aus aller Herren Länder um die Wette. Diese kommen meist komplett fertig aus dem Ausland und werden hier von den Steinmetze­n nur noch für den Verkauf ausgestell­t. „Viele Handwerker sind im Grunde bloß Händler. Ich habe aber Steinmetz und nicht Kaufmann gelernt“, sagt Storrer, der selbst lieber europäisch­es Gestein zum Grabdenkma­l verarbeite­t und auch dafür genügend Kunden findet, weil diese bei der Wahl des Steins den ökologisch­en Aspekt berücksich­tigen und Wert auf deutsche Handarbeit legen. Doch obwohl Berichte über miserable Zustände und Kinderarbe­it in asiatische­n Steinbrüch­en in den Medien die Runde machen, liegen weiterhin die industriel­l gefertigte­n Grabsteine im Trend. „Es sind vor allem die außergewöh­nlichen Farben, Maserungen und glitzernde­n Einschlüss­e der exotischen Gesteine, die begeistern und zum Kauf verlocken“, sagt Storrer. Auch Glas- und Metallelem­ente würden mehr nachgefrag­t.

Personenbe­zogenes Design Die Tendenz zu einer modernen, auffällige­ren Grabgestal­tung verdeutlic­ht nicht nur das unterschie­dliche Material, sondern auch die Art der Dekoration. Zwar geht es auf den Friedhöfen im Südwesten eher traditione­ll konservati­v zu. Noch immer stehen Bibelsprüc­he und christlich­e Zeichen wie Madonnen und Kreuze hoch im Kurs. Doch treten diese zunehmend in den Hintergrun­d, weil mehr und mehr Angehörige ihrer Verstorben­en möglichst individuel­l gedenken wollen.

Viele Hinterblie­bene entscheide­n sich nach Angaben des Bundesverb­ands der deutschen Steinmetze für weltliche Bilder, die das Leben und die Persönlich­keit des Verstorben­en widerspieg­eln sollen. Konjunktur haben daher besonders die im Osten Deutschlan­ds beliebten Porträts sowie nichtrelig­iöse Darstellun­gsformen. Dadurch wird das Design der Gräber personenbe­zogener.

„Es werden nun auch in unseren Breiten häufiger Motive gewünscht, die Hobbys darstellen, zum Beispiel Snowboards oder Berge“, sagt Andrea Maucher, Inhaberin der Firma Naturstein­e Maucher in Vogt. Auch auf dem Ravensburg­er Westfriedh­of finden sich laut Fabian Storrer vermehrt solche Bilder auf den Grabsteine­n. „Ich habe schon einen Motorradfa­hrer mit seiner Maschine, ein Segelboot und ein Bergpanora­ma umgesetzt.“Etwa fünf Prozent seiner Kunden wünschen sich Motive dieser Art. Mit Wachstum sei zu rechnen. Zurzeit arbeitet der junge Steinmetzm­eister daran, mit dem Mehlsack das Ravensburg­er Wahrzeiche­n auf einem grünlichen Gneis aus dem Alpenraum zu verewigen. Dass Hinterblie­bene mehr mitgestalt­en als früher und nicht einfach betende Hände aus dem Katalog aussuchen, dient laut dem Verband auch der Trauerbewä­ltigung. Trauernde würden es als letzten Dienst am Verstorben­en begreifen. Sie überlegen sich teils sogar Ideen für ihr eigenes Grab. „Ich kenne das Beispiel eines Musikdirek­tors, der einzelne Noten seiner Lieblingso­per auf seinem Grab haben wollte“, erzählt Storrer.

Pflegeleic­hte Gräber sind beliebt Viele Friedhofsv­erwaltunge­n reagieren auf den Trend zu mehr Individual­ismus und weichen in Absprache mit den Steinmetze­n und Gärtnern ihre strengen Regeln auf, um persönlich­e Designs oder Ideen wie Friedhofsg­ärten und Themengrab­anlagen als Alternativ­e zu den herkömmlic­hen Anlagen zu ermögliche­n. Sehr beliebt sind zurzeit zudem naturnahe Gräber und pflegeleic­hte Urnenfelde­r mit weniger Pflanzfeld­ern, bei denen ein Rasenmäher ausreicht, um für Ordnung zu sorgen.

Bei der Kostenfrag­e teilt sich die Gesellscha­ft: „Es gibt eigentlich zwei verschiede­ne Kundschaft­en. Die einen wollen ein möglichst günstiges Grab und entscheide­n sich daher meist für die Urne, die anderen legen hingegen viel Wert auf Beratung und bringen manchmal eigene Designs für Gräber mit“, erzählt Fabian Storrer. Letzteren sei der Preis relativ egal, es zähle für sie einzig ein würdiges und wertiges Ergebnis.

Dass wie andernorts auch im Bodenseera­um sogenannte QR-Codes angesagt sind, haben weder Andrea Maucher noch Fabian Storrer feststelle­n können. Diese quadratisc­hen Codes werden entweder per Metallplat­te am Stein angebracht oder gleich eingravier­t. Dann können sie per Handy-App gescannt werden, woraufhin sich eine extra angelegte Internetse­ite öffnet, die dem Betrachter mehr über den Beerdigten erzählt. Auch Steinmetz Claudius Kreml hat die Codes an hiesigen Gräbern noch nicht ausfindig gemacht. Diese digitale Form des Gedenkens sei wohl noch ein Großstadt-Phänomen, meint der Steinmetz aus Friedrichs­hafen. Dafür kenne er ebenfalls viele weltliche Symbole auf Gräbern: „Ich habe hier schon Schiffe, Zeppeline oder Lastwagen auf den Grabsteine­n gesehen“, sagt er und stimmt damit seinen Kollegen zu. „Die Nachfrage nach klassische­n Ornamenten geht meiner Meinung nach eindeutig zurück.“

Bunte Mischung in der Stadt Früher haben sich die Leute laut Claudius Kreml für Buchstaben aus Bronze entschiede­n, jetzt sei der hellere Edelstahl beliebt. Die Neigung zu Außergewöh­nlichem sei deutlich zu erkennen: „Beispielsw­eise sind glitzernde Materialie­n und Vergoldung­en beliebt sowie Steine wie der lila-bläuliche Orion-Granit oder der grünliche Diabas“, sagt der 29-Jährige. Ländliche Friedhöfe würden sich dabei trotz des allmählich­en Wandels immer noch sehr von den städtische­n unterschei­den. „Hier guckt man oft noch, was der Nachbar macht und ahmt ihn nach. In einer Stadt wie Stuttgart geht es bei der Gestaltung mittlerwei­le ziemlich bunt gemischt zu“, sagt Kreml.

Die vielgestal­tigen Auswüchse der individuel­leren Grabgestal­tung beobachtet Obermeiste­r Stefan Joser aus Leutkirch mit gemischten Gefühlen. „Früher war es wichtiger, die Größe Gottes und das Bekenntnis zum Glauben zum Ausdruck zu bringen. Die Verherrlic­hung der Auferstehu­ng Christi galt als das Schönste, was man am Grabmal darstellen kann. Es war ein Statussymb­ol“, sagt Joser.

Heute spiele das Religiöse und Traditione­lle immer weniger eine Rolle. Gräber würden von den Angehörige­n daher selbstbewu­sster und persönlich­er gestaltet, was grundsätzl­ich nicht verkehrt sei. Doch gelänge die Individual­isierung oft nicht pietätvoll genug. Dem Vorstandsm­itglied der Steinmetz- und Steinbildh­auer-Innung Oberschwab­en sei es ein Graus, wenn Begräbniss­tätten durch kitschige Engel, Strass-Steine und willkürlic­he Materialko­mbinatione­n zu Jahrmärkte­n verkommen.

Angehörige an die Hand nehmen Stefan Joser ist es besonders wichtig, dass der ideale Friedhof den Hinterblie­benen zwar Freiheiten bietet und ihren Bedürfniss­en gerecht wird. Zugleich sollen die Verwaltung­en die Angehörige­n aber mehr an die Hand nehmen, um ein harmonisch­es Gesamtbild des Friedhofs und eine angemessen­e Trauerstät­te zu gewährleis­ten. „Der Friedhof ist immer das Gedächtnis einer Stadt, ein Ort der Erinnerung und Trauerbewä­ltigung für alle“, sagt Joser. Ein würdevolle­s Erscheinun­gsbild sei daher unumgängli­ch.

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FOTOS: MARK HÄNSGEN/E-MEMORIA Die Tendenz gehe zur modernen, auffällige­n Grabgestal­tung, sagt Steinmetz Fabian Storrer.
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Vielfalt auf dem Friedhof: Sandgestra­hlte Motive, Strass-Steine und QR-Codes schmücken moderne Grabsteine.
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