Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Putin setzt auf ein „Hikiwake“mit Japan
Russland und Japan haben 71 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer noch keinen Friedensvertrag geschlossen. Ein Anachronismus sei das, sagte Russlands Präsident Wladimir Putin am Vorabend seiner Japan-Visite.
Wie immer geht es in den bilateralen Beziehungen zunächst um vier Inseln der vor Japan gelegenen Kurilen-Kette. Japan fordert die von der Sowjetunion 1945 besetzten Inseln Etorofu, Kunashiri, Shikotan und die Habomai-Gruppe zurück. Die Geschichte ist jedoch vertrackt. In einer gemeinsamen Erklärung von 1956 hatten sich beide Seiten bei Abschluss eines späteren Friedensvertrags darauf verständigt, zwei der Inseln bei Japan zu belassen. Tokio beanspruchte kurz darauf jedoch wieder alle „nördlichen Territorien“wie die Inseln in Japan auch genannt werden.
Japans Ministerpräsident Shinzo Abe will noch zu Lebzeiten die leidige Frage klären. Mit Wladimir Putin verbindet ihn seit Längerem ein gutes Verhältnis. Vor zwei Jahren sagte der Kremlchef den Japan-Besuch nach Verhängung westlicher Sanktionen zwar ab. Dennoch trafen sich beide am Donnerstag zum 16. Mal.
Beidseitige Interessen Beide Seiten machen sich „ernste, wenn auch unterschiedliche Hoffnungen“, schrieb die russische Zeitung „Vedomosti“. Moskau erhofft sich vor allem Investitionen im Fernen Osten, Technologietransfers und Energieprojekte; darunter die Möglichkeit, Japan mit Gas zu versorgen. Das Interesse ist beidseitig, sodass Putins Pressesprecher Dmitri Peskow im Vorfeld der Visite schon von „zentripetalen Kräften“zwischen beiden Ländern sprach.
Gleichwohl hinderte das Moskau nicht, zeitgleich militärische Stärke zu zeigen. Auf zwei Inseln stationierte der Kreml im November Raketensysteme vom Typ Bastion und Bal mit einer Reichweite von 300 Kilometern. Die Raketen sollen vor allem den Abwehrkampf gegen Kriegsschiffe garantieren. Moskaus Außenministerium teilte mit, dies diene der Sicherheit und unterstreiche die Zugehörigkeit der Inseln zu Russland. Premier Abe fand das zwar „bedauerlich“, ging aber schnell zur Tagesordnung über.
Moskau will darüber hinaus testen, inwieweit Washington das Têteà-Tête des G-7-Mitglieds und westlichen Verbündeten mit Russland duldet. Die USA verfolgten die Entwicklung mit gespitzten Ohren, kommentierte Vedomosti. Immerhin ist es Putins erster Staatsbesuch bei einem G-7-Mitglied nach Ausschluss Moskaus aus dem Club.
Russische Beobachter vermuten, im Land der aufgehenden Sonne mache sich Angst vor einem isolierten Russland breit, das sich endgültig China zuwenden könnte. Die Folgen wären verheerend. Japan würde an den Rand gedrängt. Vor diesem Hintergrund sei es für beide Seiten zurzeit vorteilhaft, aufeinander zuzugehen.
Der begeisterte Judoka Wladimir Putin betonte in der Vergangenheit mehrfach, ihm sei daran gelegen, den Inselstreit mit einem „Hikiwake“– einem Unentschieden – zu Ende zu bringen. Noch investiere Japan in das Verhältnis jedoch viel mehr als Russland, meint der Moskauer Politologe von der Carnegie Stiftung für internationalen Frieden, Dmitri Trenin.