Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Das IOC bewegt sich Putin weiß von nichts
Disziplinarverfahren und Nachkontrollen
LAUSANNE (dpa) - Nach den Erkenntnissen über mutmaßliches Staatsdoping in Russland hat das Internationale Olympische Komitee Maßnahmen ergriffen. Demnach wird ein Disziplinarverfahren gegen 28 russische Teilnehmer der Winterspiele 2014 in Sotschi wegen Dopingverdachts eingeleitet. Die Liste könnte angesichts der angekündigten Nachanalysen aller russischer Starter bei den Sommerspielen 2012 sowie den Winterspielen 2010 und 2014 noch deutlich länger werden.
Die getroffenen Maßnahmen des IOC sind die Konsequenz des zweiten McLaren-Reports Anfang des Monats. Der Chefermittler der WeltAnti-Doping-Agentur hatte 95 Proben russischer Athleten von Sotschi untersucht. Bei 28 Sportlern hätten sich demnach Beweise für eine Manipulation der Proben ergeben. Namen wurden nicht genannt. McLaren hatte bereits bei der Vorstellung seiner Untersuchung am 9. Dezember in London davon gesprochen, dass Dopingproben von zwölf Medaillengewinnern der Sotschi-Spiele 2014 manipuliert wurden. Vier Olympiasieger seien dabei gewesen.
Bach kündigt Nachkontrollen an „Das ist die unmittelbare Folge des McLaren-Reports. Das IOC wird über die Untersuchungsergebnisse hinaus die Proben aller russischer Teilnehmer an den olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 und auch den Olympischen Spielen in London 2012 neu analysieren“, kündigte IOC-Präsident Thomas Bach an. Bei den bisherigen Nachkontrollen der Sommerspiele 2008 und 2012 sind bereits 27 russische Athleten ertappt worden. Auch von den Winterspielen 2010 in Vancouver sollen alle Proben der russischen Teilnehmer noch einmal kontrolliert werden. Das IOC betonte zugleich, dass die 28 Sotschi-Fälle nicht vergleichbar mit einer positiven Dopingkontrolle seien. Trotzdem könne eine Manipulation der Probe zu einem Verstoß führen. In Sotschi sollen positiven Proben mithilfe des Inlandsgeheimdienstes FSB ausgetauscht worden sein. Dies hatte der in die USA ausgewanderte Gregori Rodschenkow, der ehemaliger Leiter des Moskauer Anti-Doping-Labors, behauptet.
Kreml-Chef Putin wies am Freitag bei seiner Jahrespressekonferenz in Moskau die Anschuldigungen zurück. „In Russland hat es nie ein staatliches Dopingsystem oder Dopingunterstützung gegeben, das ist einfach unmöglich.“Es werde alles dafür getan, dass das auch so bleibe. Putin räumte lediglich ein, dass Russland wie jedes Land ein Problem mit gedopten Sportlern habe und forderte die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) auf, „transparent, offen und nachprüfbar“zu arbeiten. Russland werde ständig von allen Seiten zu mehr Transparenz aufgefordert. Die WADA sei selbst „ein Bereich, in dem Transparenz wirklich nötig ist“.
Die Disziplinarverfahren des IOC gegen die russischen Sportler führen nicht automatisch zu einer sofortigen Suspendierung. Dies ist Sache der jeweiligen Weltverbände in den betreffenden Sportarten. Der Internationale Ski-Verband sperrte am Freitag sechs Langläufer vorläufig. Am Vortag hatte bereits der Biathlon-Weltverband zwei im McLarenReport genannte russische OlympiaTeilnehmer suspendiert. Gegen 29 weitere Skijäger wurde ein formelles Untersuchungsverfahren eingeleitet. Franz Steinle fordert als Präsident des Deutschen Ski-Verbandes aber „zeitnah weitere Konsequenzen“.
Inzwischen wurden weitere große Sportereignisse in Russland gestrichen. So werden die Weltcupfinals der Eisschnellläufer in Tscheljabinsk und der Langläufer in Tjumen im März in ein anderes Land verlegt. Travis Tygart, Chef der US-AntiDoping-Agentur (USADA), hat harte Konsequenzen gegen russische Sportler gefordert. Tygart warf dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) in einem Interview mit dem „Spiegel“Inkonsequenz und Befangenheit vor. „Es ist an der Zeit, Russen in allen Sportarten von internationalen Wettbewerben auszuschließen, und zwar so lange, bis sich das Land wieder an die Regeln des AntiDoping-Codes hält“, sagte Tygart. Russland zeige „nicht den Hauch von Reue, stattdessen behindern die Athleten und Politiker die Ermittlungen. Russland lacht über uns – das ist pervers“, meinte Tygarts. Seiner Ansicht nach kommt das IOC seiner Aufgabe und Verantwortung, den Sport zu schützen, nicht nach. „Aus null Toleranz wurde Toleranz für Staatsdoping, aus der Drohung harter Konsequenzen sind gar keine Konsequenzen geworden.“(SID)