Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Aus einem Kritikerleben
Gerhard Stadelmaiers erster Roman „Umbruch“
E s klingt wie ein Märchen aus uralten Zeiten: Der Kritiker war groß und mächtig, auf sein Urteil hörten die Menschen. Gehasst von jenen, deren Kunst er abkanzelte, hofiert von jenen, die hofften, einer solchen Vernichtung zu entgehen, bewegte sich der Großkritiker (ja, es waren meistens Männer!) durch die Theaterfoyers der Republik. Gerhard Stadelmaier war einer von ihnen. Bis vor einem Jahr bahnte sich der große, gut aussehende Herr stets hoch erhobenen Hauptes den Weg zu seinem Platz im Parkett Reihe 6 Mitte. Nun ist er, der einmal geschrieben hat, leichter werde man Papst als Theaterkritiker der angesehenen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, im Ruhestand. Bücher hat er schon einige geschrieben, aber jetzt stößt er erstmals ins fiktionale Fach vor.
„Umbruch“heißt sein Romanerstling. Das ist doppeldeutig, meint sowohl das Umbrechen der Zeitungsseiten wie den grundlegenden Wandel, den die Branche erfahren hat. Die Karrieren „des jungen Mannes“und seines Schöpfers ähneln sich: Vom heimatlichen Provinzblatt in Schwäbisch Gmünd, über die „Landeszeitung“bis zum Kritiker bei der „Staatszeitung“.
Das ist für Insider ein Heidenspaß. Denn ebenso genussvoll wie er einst die Inszenierungen auf der Bühne seziert hat, legt er nun die Redaktionen von Stuttgart bis Frankfurt auf den Seziertisch. Das Personal ist leicht zu identifizieren – das große Vorbild Georg Hensel („Saint George“) und der verehrte AltHerausgeber Joachim C. Fest kommen gut weg. Doch diesen „Königen“folgen Leute nach, für die Stadelmaier nichts als Hohn und Spott übrig hat. Fests Nachfolger als Feuilletonchef bekommt den Spitznamen „Dr. h.c. Baby-Nero“. Die neue Generation habe das Blatt „finanziell, personell und intellektuell an alle Zeitgeistwände“gefahren. „In jenen Tagen brachen Dämme“, heißt es da. Aus dem Feuilleton sei ein „Stammtisch“geworden. Jeder müsse nun zu allem seinen Senf geben. „Galt vor Jahren noch der moderne sozialdemokratische Kampfruf: ,Kultur ist für alle da!’, so gellte jetzt plötzlich der postmoderne Ungeniertheitsruf durch den Flur:,Alles ist Kultur!’“
„Umbruch“ist Stadelmaiers Nachruf aufs alte Feuilleton – pointiert, geschliffen, bissig. Und trotzig stellt er fest: „Es waren herrliche, arrogante Zeiten!“(bami)
Gerhard Stadelmaier: Umbruch, Roman, Zsolnay Verlag, 22 Euro.