Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Amri repräsentiert nicht das tunesische Volk“
Ministerpräsident Chahed wehrt sich gegen Vorwürfe, sein Land sei verantwortlich für Verbreitung von Terrorismus
TUNIS (dpa) - Tunesiens Ministerpräsident Youssef Chahed will hart gegen Terroristen und IS-Rückkehrer vorgehen. Im Fall des mutmaßlichen tunesischen Attentäters von Berlin, Anis Amri, habe sich das Land jedoch nichts vorzuwerfen, sagte Chahed im Interview der Deutschen PresseAgentur. Deutschland ist einer der wichtigsten Geber von Entwicklungshilfe. Haben Sie nicht Angst, dass die Hilfe künftig reduziert werden könnte, nach dem Attentat des Tunesiers Amri in Berlin? Nein, wir haben Vertrauen in unsere deutschen Freunde. Das sind populistische Meinungen, die jetzt fordern, dass die Entwicklungshilfe heruntergefahren werden soll. Terrorismus ist ein weltweites Problem. Die Leute müssen verstehen, dass Anis Amri diesen barbarischen Akt nicht im Namen des tunesischen Staates ausgeführt hat. Er war ein Terrorist und repräsentiert nicht das tunesische Volk. Terrorismus hat keine Nationalität.
Äußerungen Ihres Staatspräsidenten hatten zuletzt für Ärger in der Bevölkerung gesorgt, als er sagte, dass die IS-Rückkehrer nicht an der Rückkehr gehindert werden könnten – man aber auch nicht alle ins Gefängnis werfen könne! Es gibt keine geheimen Absprachen. Wenn ein Terrorist zurückkommt, wird er verhaftet und unter den geltenden Anti-Terror-Gesetzen verfolgt.
Wieso tut sich Tunesien dennoch so schwer damit, seine Staatsangehörigen zurückzunehmen? Man muss unterscheiden zwischen Terroristen und denjenigen, die ohne Papiere Tunesien verlassen haben und abgeschoben werden sollen. In solchen Fällen – und so ein Fall lag auch bei dem Berliner Attentäter Anis Amri vor – haben wir ja Abkommen und Prozeduren mit vielen Ländern wie Deutschland, Frankreich und Italien. Wir prüfen jeden Einzelfall und haben da aus meiner Sicht derzeit keine Probleme. Auch was den Fall Amri betrifft haben wir uns in Tunesien die ganze Zeit über an die Regeln gehalten. Wir haben in diesem Fall wie üblich kooperiert, das lief ideal.
Viele Menschen in Europa sehen das aber anders. Anis Amri war für uns ein Kleinkrimineller. Als er Tunesien verlassen hat, hatte er noch keine Berührungen mit dem Extremismus. Er hat sich in Europa radikalisiert. Das muss man verstehen. Wir hatten keinerlei Erkenntnisse über eine Radikalisierung von Amri.