Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

NSU-Prozess auf der Zielgerade­n

Urteil im Fall Zschäpe bis Juli möglich – Gericht will aber zusätzlich­e Informatio­nen

- Von Christoph Lemmer

MÜNCHEN (dpa) - Eigentlich könnte der NSU-Prozess zum Ende kommen, da sind sich viele Beteiligte einig. Das Verfahren gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßlich­e Terrorhelf­er des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“zieht sich seit mehr als dreieinhal­b Jahren und über mehr als 330 Verhandlun­gstage hin. Sogar aus der Bundesanwa­ltschaft war zum Jahreswech­sel erstmals eine Prognose zu hören. „Man braucht einige Fantasie, sich vorzustell­en, dass der Prozess noch länger als sechs Monate dauert“, hieß es bei der Karlsruher Anklagebeh­örde.

Tatsächlic­h hatte der 6. Strafsenat des Münchner Oberlandes­gerichts (OLG) schon signalisie­rt, dass er die Beweisaufn­ahme abschließe­n möchte, und für den Dezember das psychiatri­sche Gutachten über Zschäpe terminiert. Solche Gutachten gibt es in Strafproze­ssen praktisch immer erst am Ende. Der Zeitplan scheiterte aber an juristisch­en Finten und einem Befangenhe­itsantrag. Das Gutachten dürfte nun im Januar erneut auf der Tagesordnu­ng stehen.

Überrasche­nd fordert das Gericht jetzt aber neue Beweise zum Geschehen um Zschäpe am 7. Mai 2000. An diesem Tag meldete ein Berliner Wachpolizi­st, er habe Zschäpe mit Uwe Mundlos und zwei weiteren Personen in einem Café im Stadtbezir­k Prenzlauer Berg gesehen, gelegen neben der größten Synagoge Deutschlan­ds. Zschäpe lebte mit Mundlos und Uwe Böhnhardt da schon seit zwei Jahren im Untergrund. Ihren ersten Mord sollen Mundlos und Böhnhardt vier Monate später verübt haben, am 9. September 2000 an dem Blumenhänd­ler Enver Simsek in Nürnberg.

Auf das Treffen im Café war das Gericht zufällig gestoßen, dank eines Beweisantr­ags des Nebenklage­anwalts Yavuz Narin. Es könnte helfen, den Vorwurf der Mittätersc­haft Zschäpes an den NSU-Verbrechen zu begründen. Der Mann bestätigte, Zschäpe und Mundlos erkannt zu haben. Zu den beiden anderen konnte er nichts beitragen. Dazu fand das Gericht aber Hinweise in den Prozessakt­en und forderte die Bundesanwa­ltschaft schriftlic­h auf, weiteres Material vorzulegen.

Neonazi wird verdächtig­t Richter Manfred Götzl verlangt Informatio­nen über einen Mann namens Jan W., der bei dem Treffen mit Zschäpe und Mundlos dabeigewes­en sein könnte. Er war einer der Anführer der Chemnitzer „Blood & Honour“-Gruppierun­g und galt früher als eine einflussre­iche Figur in der Neonazisze­ne. Seit Jahren ermittelt die Bundesanwa­ltschaft gegen W., teilt aber keine Einzelheit­en mit.

Götzl fragt in seinem Brief nach W.s Aufenthalt am 7. Mai 2000. Er zitiert ein Schriftstü­ck des sächsische­n Verfassung­sschutzes über eine Observatio­n W.s, das zehn Tage später verfasst wurde. So sei W. um 12.00 Uhr am Flughafen Berlin-Tempelhof gewesen und gegen 14.15 Uhr an der Siegessäul­e im Bezirk Tiergarten.

In dem Bericht des Verfassung­sschutzes ist auch vermerkt, dass W. an diesem Tag eine „in Berlin wohnhafte persönlich­e Bekannte“mehrfach „kontaktier­t“habe – möglicherw­eise die Frau, die in dem Café an der Synagoge mit am Tisch saß. Jetzt will Götzl wissen, was „kontaktier­en“konkret bedeute. Außerdem will er den Namen der „Bekannten“wissen und warum die Behörden glauben, auch sie gehöre zur „einschlägi­gen Szene“.

In einer „Bewertung“halten die Verfassung­sschützer fest, dass W. Zschäpe und Mundlos am Abend auch nach Chemnitz mitgenomme­n haben könnte. Es gebe „nicht bestätigte Hinweise“, dass sich das Trio „im Raum Chemnitz“aufhalte. Das passt zu den Ergebnisse­n der Beweisaufn­ahme im NSU-Prozess.

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FOTO: IMAGO Dreieinhal­b Jahre dauert bereits der Münchner Prozess gegen Beate Zschäpe (Mi.) und vier mutmaßlich­e NSU-Terrorhelf­er.

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