Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
NSU-Prozess auf der Zielgeraden
Urteil im Fall Zschäpe bis Juli möglich – Gericht will aber zusätzliche Informationen
MÜNCHEN (dpa) - Eigentlich könnte der NSU-Prozess zum Ende kommen, da sind sich viele Beteiligte einig. Das Verfahren gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Terrorhelfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“zieht sich seit mehr als dreieinhalb Jahren und über mehr als 330 Verhandlungstage hin. Sogar aus der Bundesanwaltschaft war zum Jahreswechsel erstmals eine Prognose zu hören. „Man braucht einige Fantasie, sich vorzustellen, dass der Prozess noch länger als sechs Monate dauert“, hieß es bei der Karlsruher Anklagebehörde.
Tatsächlich hatte der 6. Strafsenat des Münchner Oberlandesgerichts (OLG) schon signalisiert, dass er die Beweisaufnahme abschließen möchte, und für den Dezember das psychiatrische Gutachten über Zschäpe terminiert. Solche Gutachten gibt es in Strafprozessen praktisch immer erst am Ende. Der Zeitplan scheiterte aber an juristischen Finten und einem Befangenheitsantrag. Das Gutachten dürfte nun im Januar erneut auf der Tagesordnung stehen.
Überraschend fordert das Gericht jetzt aber neue Beweise zum Geschehen um Zschäpe am 7. Mai 2000. An diesem Tag meldete ein Berliner Wachpolizist, er habe Zschäpe mit Uwe Mundlos und zwei weiteren Personen in einem Café im Stadtbezirk Prenzlauer Berg gesehen, gelegen neben der größten Synagoge Deutschlands. Zschäpe lebte mit Mundlos und Uwe Böhnhardt da schon seit zwei Jahren im Untergrund. Ihren ersten Mord sollen Mundlos und Böhnhardt vier Monate später verübt haben, am 9. September 2000 an dem Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg.
Auf das Treffen im Café war das Gericht zufällig gestoßen, dank eines Beweisantrags des Nebenklageanwalts Yavuz Narin. Es könnte helfen, den Vorwurf der Mittäterschaft Zschäpes an den NSU-Verbrechen zu begründen. Der Mann bestätigte, Zschäpe und Mundlos erkannt zu haben. Zu den beiden anderen konnte er nichts beitragen. Dazu fand das Gericht aber Hinweise in den Prozessakten und forderte die Bundesanwaltschaft schriftlich auf, weiteres Material vorzulegen.
Neonazi wird verdächtigt Richter Manfred Götzl verlangt Informationen über einen Mann namens Jan W., der bei dem Treffen mit Zschäpe und Mundlos dabeigewesen sein könnte. Er war einer der Anführer der Chemnitzer „Blood & Honour“-Gruppierung und galt früher als eine einflussreiche Figur in der Neonaziszene. Seit Jahren ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen W., teilt aber keine Einzelheiten mit.
Götzl fragt in seinem Brief nach W.s Aufenthalt am 7. Mai 2000. Er zitiert ein Schriftstück des sächsischen Verfassungsschutzes über eine Observation W.s, das zehn Tage später verfasst wurde. So sei W. um 12.00 Uhr am Flughafen Berlin-Tempelhof gewesen und gegen 14.15 Uhr an der Siegessäule im Bezirk Tiergarten.
In dem Bericht des Verfassungsschutzes ist auch vermerkt, dass W. an diesem Tag eine „in Berlin wohnhafte persönliche Bekannte“mehrfach „kontaktiert“habe – möglicherweise die Frau, die in dem Café an der Synagoge mit am Tisch saß. Jetzt will Götzl wissen, was „kontaktieren“konkret bedeute. Außerdem will er den Namen der „Bekannten“wissen und warum die Behörden glauben, auch sie gehöre zur „einschlägigen Szene“.
In einer „Bewertung“halten die Verfassungsschützer fest, dass W. Zschäpe und Mundlos am Abend auch nach Chemnitz mitgenommen haben könnte. Es gebe „nicht bestätigte Hinweise“, dass sich das Trio „im Raum Chemnitz“aufhalte. Das passt zu den Ergebnissen der Beweisaufnahme im NSU-Prozess.