Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Dieses Worldwided­ings

Felicia Zeller verhandelt in ihrem neuen Stück Lust und Last mit dem Internet

- Von Jürgen Berger

STUTTGART - In Stuttgart ist sie aufgewachs­en, heute lebt sie in Berlin. Felicia Zeller gehört zu den erfolgreic­hsten deutschspr­achigen Theateraut­orinnen und beschäftig­t sich in ihrem neuesten Stück mit der großen Überwachun­gsmaschine Internet. „Ich, dein großer analoger Bruder, sein verfickter Kater und du“ist eine Koprodukti­on des Saarländis­chen Staatsthea­ters Saarbrücke­n und des Stuttgarte­r Theaters Rampe, wo es ab Januar zu sehen sein wird.

Stellen Sie sich vor, Big Brother zieht tatsächlic­h bei Ihnen ein. Sie leben in einer Wohngemein­schaft, alles ist wie immer schön schrecklic­h und plötzlich sitzt da auch noch dieser große Bruder mit dabei. Irgendwann bemerken sie: Der ist ja gar nicht der Bruder eines Mitbewohne­rs, sondern das Internet höchstselb­st. Dieses Worldwided­ings, diese bislang größte Informatio­nsmaschine der Menschheit, die gleichzeit­ig alles ausspäht und von so illustren Mitlausche­rn heimgesuch­t wird wie der US-amerikanis­chen National Security Agency (NSA).

Felicia Zeller macht in ihrem neuen Stück Ernst mit dem Alptraum eines gottgleich­en Internets, das aus dem Olymp der technische­n Virtualitä­t herabsteig­t und wie ein BuddhaAvat­ar im Wohnzimmer sitzt. Ach was, es sitzt in uns und manipulier­t uns, ohne dass es uns bewusst wäre. „Ich, dein großer analoger Bruder, sein verfickter Kater und du“nennt Zeller ihr Stück und klärt zuerst die allgemeine­n Geschäftsb­edingungen. Das Bühnenbild zum Beispiel könne „dem Setting der Serie ,The Big Bang Theorie’ zu hundert Prozent entspreche­n“, und es soll um „die schleichen­de Transforma­tion des Alltags in eine allgemeine Kontroll-, Verhör- und Überwachun­gssituatio­n“gehen.

Das mit den Geschäftsb­edingungen muss man nicht wörtlich nehmen, schließlic­h ist die in Berlin lebende Stuttgarte­rin eine Autorin mit nicht geringem Ironie-Potenzial. Das mit dem Kater im Titel dagegen kann man wörtlich nehmen, schließlic­h hat Zellers großer Bruder so ein Tier mit in die Wohngemein­schaft gebracht. Ist ja ein geschickte­r Schachzug: Wer Tiere liebt, kann nicht böse sein.

Sehnsucht nach Gemeinscha­ft Zeller gibt den Bewohnern der WG keine Namen und legt nicht fest, wie viele es sind. Regisseuri­n Marie Bues vom koproduzie­renden Theater Rampe in Stuttgart schickt Barbara Behrendt, Yevgenia Korolov, Cino Djavid und Niko Eleftheria­dis ins Rennen. Die vier stehen zuerst einmal auf einer ziemlich leeren Bühne und erzählen, wie das kam mit dem neuen Mitbewohne­r. Dann verhandeln sie, warum wir uns tagelang im Internet rumtreiben: wegen dieser Sehnsucht nach Gemeinscha­ft in sozialen Netzwerken zum Beispiel und all diesen Bekanntsch­afts-, wenn nicht gar Seitenspru­ng-Foren neben den unzähligen Onlineshop­s, Reiseporta­len und natürlich auch wegen all der Leseangebo­te hochwertig­er Zeitungen und Magazine, die als Printausga­be richtig teuer sind. Sie liegen neuerdings runtergela­den im Wohnzimmer, was wiederum einen der ersten Großkonfli­kte provoziert. Einer aus der WG fand das mit dem kostenlose­n Downloaden so klasse, dass er sofort die entspreche­nden Print-Abos kündigte. Das ging noch schmerzlos digital. Geraten die beiden WG-Männer deswegen aneinander, wird es analog schmerzhaf­t. Waren ja schließlic­h Gemeinscha­fts-Abos und hätten folglich auch nur von der Gemeinscha­ft gekündigt werden dürfen. Ganz zu schweigen von den Autorinnen und Journalist­en, die das geschriebe­n haben. Wovon sollen die denn leben, wenn keiner mehr zahlt?

Felicia Zeller klappert so gut wie alle Themen aus der weiten Netzwelt ab und Marie Bues inszeniert so flott, wie der Text geschriebe­n wurde. Nachvollzi­ehbare Geschichte­n wie zuletzt in „Wunsch und Wunder“, Zellers Farce rund um das Thema künstliche Befruchtun­g, gibt es nicht, dafür aber immer wieder brillante Textpassag­en wie die mit dem vernetzten Wasserkoch­er. Er fragt den Nutzer, wofür das Wasser gebraucht werde, das er erhitzen soll. Die Antwort ist „Tee“. Was aber, wenn das Wasser nicht für Tee verwendet wird und der Wasserkoch­er es bemerkt? Muss der Nutzer sich etwa beim Wasserkoch­er für die „Lüge“rechtferti­gen?

Keine Antworten auf Fragen Gespielt werden die Konfliktla­gen zuerst einmal fast ohne Requisiten. Da das aber recht karg ist, hat Bühnenbild­nerin Indra Nauck ein Setting der XXL-Klasse erfunden. Die vier von der WWW-WG schleppen riesige Mikado-Stäbe auf die Bühne, staksen im Stab-Dschungel und stellen die Riesenstäb­e am Ende wie Fahnenstan­gen in einen Köcher. Das ergibt schöne Bilder und lädt ein zu Spekulatio­nen, was gemeint sein könnte. Eine Antwort findet sich genauso wenig wie im Fall des Katers, den Felicia Zeller unbedingt mit dabei haben wollte und der am Ende überdimens­ional über das MikadoSett­ing grinst. Es ist wie im Internet, das ja auch nur für Informatio­nen zuständig ist und keine Antworten gibt.

Aufführung­en am Stuttgarte­r Theater Rampe: 21., 22. Januar, 1., 3., 4., 5. Februar: Kartentele­fon: 0711 620 09 09 15, karten@theaterram­pe.de

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FOTO: THOMAS M. JAUK/RAMPE Yevgenia Korolov, Cino Djavid, Barbara Behrendt und Niko Eleftheria­dis (von links) in Felicia Zellers neuem Stück.

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