Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Dieses Worldwidedings
Felicia Zeller verhandelt in ihrem neuen Stück Lust und Last mit dem Internet
STUTTGART - In Stuttgart ist sie aufgewachsen, heute lebt sie in Berlin. Felicia Zeller gehört zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Theaterautorinnen und beschäftigt sich in ihrem neuesten Stück mit der großen Überwachungsmaschine Internet. „Ich, dein großer analoger Bruder, sein verfickter Kater und du“ist eine Koproduktion des Saarländischen Staatstheaters Saarbrücken und des Stuttgarter Theaters Rampe, wo es ab Januar zu sehen sein wird.
Stellen Sie sich vor, Big Brother zieht tatsächlich bei Ihnen ein. Sie leben in einer Wohngemeinschaft, alles ist wie immer schön schrecklich und plötzlich sitzt da auch noch dieser große Bruder mit dabei. Irgendwann bemerken sie: Der ist ja gar nicht der Bruder eines Mitbewohners, sondern das Internet höchstselbst. Dieses Worldwidedings, diese bislang größte Informationsmaschine der Menschheit, die gleichzeitig alles ausspäht und von so illustren Mitlauschern heimgesucht wird wie der US-amerikanischen National Security Agency (NSA).
Felicia Zeller macht in ihrem neuen Stück Ernst mit dem Alptraum eines gottgleichen Internets, das aus dem Olymp der technischen Virtualität herabsteigt und wie ein BuddhaAvatar im Wohnzimmer sitzt. Ach was, es sitzt in uns und manipuliert uns, ohne dass es uns bewusst wäre. „Ich, dein großer analoger Bruder, sein verfickter Kater und du“nennt Zeller ihr Stück und klärt zuerst die allgemeinen Geschäftsbedingungen. Das Bühnenbild zum Beispiel könne „dem Setting der Serie ,The Big Bang Theorie’ zu hundert Prozent entsprechen“, und es soll um „die schleichende Transformation des Alltags in eine allgemeine Kontroll-, Verhör- und Überwachungssituation“gehen.
Das mit den Geschäftsbedingungen muss man nicht wörtlich nehmen, schließlich ist die in Berlin lebende Stuttgarterin eine Autorin mit nicht geringem Ironie-Potenzial. Das mit dem Kater im Titel dagegen kann man wörtlich nehmen, schließlich hat Zellers großer Bruder so ein Tier mit in die Wohngemeinschaft gebracht. Ist ja ein geschickter Schachzug: Wer Tiere liebt, kann nicht böse sein.
Sehnsucht nach Gemeinschaft Zeller gibt den Bewohnern der WG keine Namen und legt nicht fest, wie viele es sind. Regisseurin Marie Bues vom koproduzierenden Theater Rampe in Stuttgart schickt Barbara Behrendt, Yevgenia Korolov, Cino Djavid und Niko Eleftheriadis ins Rennen. Die vier stehen zuerst einmal auf einer ziemlich leeren Bühne und erzählen, wie das kam mit dem neuen Mitbewohner. Dann verhandeln sie, warum wir uns tagelang im Internet rumtreiben: wegen dieser Sehnsucht nach Gemeinschaft in sozialen Netzwerken zum Beispiel und all diesen Bekanntschafts-, wenn nicht gar Seitensprung-Foren neben den unzähligen Onlineshops, Reiseportalen und natürlich auch wegen all der Leseangebote hochwertiger Zeitungen und Magazine, die als Printausgabe richtig teuer sind. Sie liegen neuerdings runtergeladen im Wohnzimmer, was wiederum einen der ersten Großkonflikte provoziert. Einer aus der WG fand das mit dem kostenlosen Downloaden so klasse, dass er sofort die entsprechenden Print-Abos kündigte. Das ging noch schmerzlos digital. Geraten die beiden WG-Männer deswegen aneinander, wird es analog schmerzhaft. Waren ja schließlich Gemeinschafts-Abos und hätten folglich auch nur von der Gemeinschaft gekündigt werden dürfen. Ganz zu schweigen von den Autorinnen und Journalisten, die das geschrieben haben. Wovon sollen die denn leben, wenn keiner mehr zahlt?
Felicia Zeller klappert so gut wie alle Themen aus der weiten Netzwelt ab und Marie Bues inszeniert so flott, wie der Text geschrieben wurde. Nachvollziehbare Geschichten wie zuletzt in „Wunsch und Wunder“, Zellers Farce rund um das Thema künstliche Befruchtung, gibt es nicht, dafür aber immer wieder brillante Textpassagen wie die mit dem vernetzten Wasserkocher. Er fragt den Nutzer, wofür das Wasser gebraucht werde, das er erhitzen soll. Die Antwort ist „Tee“. Was aber, wenn das Wasser nicht für Tee verwendet wird und der Wasserkocher es bemerkt? Muss der Nutzer sich etwa beim Wasserkocher für die „Lüge“rechtfertigen?
Keine Antworten auf Fragen Gespielt werden die Konfliktlagen zuerst einmal fast ohne Requisiten. Da das aber recht karg ist, hat Bühnenbildnerin Indra Nauck ein Setting der XXL-Klasse erfunden. Die vier von der WWW-WG schleppen riesige Mikado-Stäbe auf die Bühne, staksen im Stab-Dschungel und stellen die Riesenstäbe am Ende wie Fahnenstangen in einen Köcher. Das ergibt schöne Bilder und lädt ein zu Spekulationen, was gemeint sein könnte. Eine Antwort findet sich genauso wenig wie im Fall des Katers, den Felicia Zeller unbedingt mit dabei haben wollte und der am Ende überdimensional über das MikadoSetting grinst. Es ist wie im Internet, das ja auch nur für Informationen zuständig ist und keine Antworten gibt.
Aufführungen am Stuttgarter Theater Rampe: 21., 22. Januar, 1., 3., 4., 5. Februar: Kartentelefon: 0711 620 09 09 15, karten@theaterrampe.de