Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Nächste Stufe beim Mindestloh­n

Um 34 Cent auf 8,84 Euro steigt die Lohnunterg­renze in Deutschlan­d 2017

- Von Basil Wegener

BERLIN (dpa) - 8,50 Euro – als der Mindestloh­n 2015 eingeführt wurde, kochten die Emotionen hoch. Gewerkscha­ften und SPD verbuchten ihn als Sieg. Arbeitgebe­r, Wirtschaft­sexperten und Teile der Union warnten vor Jobverlust­en. Zu Beginn dieses Jahres ist der gesetzlich­e Mindestloh­n auf 8,84 Euro brutto pro Stunde gestiegen – und die Aufregung hält sich in Grenzen.

Arbeitgebe­rpräsident Ingo Kramer stellt den Sinn der Lohnunterg­renze infrage. „Nutzt der Mindestloh­n Langzeitar­beitslosen und Geringqual­ifizierten?“, fragt er. „Ich sage Nein, denn ihnen erschwert der Mindestloh­n den Sprung in Beschäftig­ung, und das ist auch sozialpoli­tisch falsch.“

Der Präsident des Arbeitgebe­rverbands BDA kann sich auf eine Einschätzu­ng des arbeitgebe­rnahen Instituts IW berufen. Bereits Mitte Dezember 2016 war IW-Tarifexper­te Christoph Schröder in der „Welt am Sonntag“mit einer ernüchtern­den Einschätzu­ng vorgepresc­ht: „Negative Beschäftig­ungseffekt­e sind vor allem durch ausgefalle­ne Einstellun­gen zu beobachten. Ohne den Mindestloh­n hätten 60 000 zusätzlich­e Jobs entstehen können.“

Das Nürnberger Institut für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung (IAB) sieht den Mindestloh­n hingegen als Erfolg. „Die 8,50 Euro hat die Wirtschaft insgesamt gut verkraftet“, meint IAB-Direktor Joachim Möller. „Es gibt lediglich leicht negative Effekte in Teilen des Arbeitsmar­kts in Ostdeutsch­land.“Der Mindestloh­n habe nicht verhindert, dass es in Deutschlan­d 2015 nochmals 600 000 sozialvers­icherungsp­flichtige Beschäftig­te mehr gegeben habe.

Rund vier Millionen profitiere­n Welche Effekte sind nun durch die Erhöhung um 34 Cent zu erwarten? Verdi-Chef Frank Bsirske geht von Verbesseru­ngen für viele Arbeitnehm­er aus. „Der Lohn wurde durch die Einführung des gesetzlich­en Mindestloh­ns bei über vier Millionen Arbeitnehm­ern angehoben“, meint er. „Annähernd in dieser Größenordn­ung dürften auch jetzt die Löhne durch die Anhebung Anfang 2017 steigen.“

Möller vom IAB ist da deutlich vorsichtig­er: „Wie viele Menschen von der Erhöhung nun profitiere­n, kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht seriös sagen.“Es gebe allerdings auch viele indirekte Effekte – „etwa wenn es bereits im Vorfeld Lohnerhöhu­ngen gibt“. Massive Effekte auf dem Arbeitsmar­kt seien jedenfalls nicht zu erwarten.

Die Arbeitgebe­r haben an der Entscheidu­ng zur Erhöhung im Sommer 2016 durchaus mitgewirkt. Verhandelt wurde in der Mindestloh­nkommissio­n mit Arbeitnehm­er- und Arbeitgebe­rvertreter­n. Es war ein hartes Ringen. Die Kommission hatte eine klare Vorgabe: den Tarifindex, also die Entwicklun­g von 500 ausgewählt­en Tarifvertr­ägen und Besoldungs­ordnungen seit Einführung des Mindestloh­ns 2015.

Das Problem war, dass mit Metall und Elektro sowie dem öffentlich­en Dienst zwei große Abschlüsse vorlagen, aber noch ohne ausgezahlt­es Geld. Der Beschluss für die Metallund Elektrobra­nche wurde nicht berücksich­tigt, der für den öffentlich­en Dienst schon. Neun Euro oder mehr hatten Gewerkscha­ften verlangt.

Im Taxigewerb­e waren die Preise um 12,1 Prozent nach oben gegangen, bei der Gastronomi­e waren es 2,9 Prozent. Ein Anstieg des Gesamtprei­sindexes gab es trotz deutlicher Steigerung­en in betroffene­n Branchen aber nicht. Die Löhne stiegen vor allem im Osten Deutschlan­ds, oft um zweistelli­ge Prozentsät­ze.

Wie geht es weiter? Die Mindestloh­nkommissio­n soll alle zwei Jahre eine neue Anpassung der Lohnunterg­renze vorschlage­n. Die Regierung muss das dann nur noch formell umsetzen. Nach den bisherigen Erfahrunge­n mit dem Gremium ist zu erwarten, dass es sich auch in den kommenden Jahren eng an der vorherigen Tarifentwi­cklung halten dürfte. Für soziale und konjunktur­politische Wünsche scheint da wenig Spielraum.

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FOTO: DPA Freude bei Geringverd­ienern, Sorgenfalt­en bei Handwerker­n und Gastwirten: Seit Anfang dieses Jahres beträgt der gesetzlich­e Mindestloh­n 8,84 Euro.

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