Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Deutsche Schifffahrt vor Schicksalsjahr
Etliche deutsche Reedereien werden das rettende Ufer nach der längsten Branchenkrise nicht erreichen
HAMBURG (dpa) - Eigentlich dachten die deutschen Reeder und die Schiffsbanken, es könne nicht mehr schlimmer kommen. Und doch hat sich die Krise der Schifffahrt, die ins neunte Jahr geht, nochmals verschärft. Viele Schiffe fahren quasi gratis, sie erwirtschaften ihre Betriebskosten nicht.
Die Banken bekommen keine Zinsen und keine Tilgung für Kredite, die sie vor vielen Jahren vergeben haben. Es werden Schiffe abgewrackt, die noch nicht einmal zehn Jahre alt sind. Und gebrauchte Schiffe sind nicht viel mehr wert als ihr Schrottgewicht.
Bertram Rickmers stammt aus uraltem hanseatischen Reeder-Adel, und sein Blick reicht weit zurück. „Eine Krise wie diese gab es in der Schifffahrt zuletzt nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/ 71“, sagt er. „Nicht nach dem Ersten und nicht nach dem Zweiten Weltkrieg.“Sondern eben vor 145 Jahren. Und heute wieder.
Die Hamburger Rickmers-Gruppe ist ein maritimer Dienstleister, der unter anderem Schiffe an die großen Linienreedereien verchartert und sie bereedert. Rickmers oder seinen Anlegern gehören die Schiffe, er stattet sie mit Personal aus und ist für den Betrieb verantwortlich.
Fast alle deutschen Reedereien sind Charterreedereien. Und fast alle sind kleiner als die Rickmers-Gruppe. Der Hamburger Reeder managt um die 120 Containerschiffe. Die Mehrzahl der 364 Reedereien in Deutschland hat höchstens vier Schiffe, nur drei Prozent der Betriebe verfügen über eine Flotte von mehr als 50 Einheiten.
Das ist nicht mehr zukunftsfähig. Den kleinen Reedereien fehlen finanzielle Reserven und der Zugang zu frischem Kapital. Rickmers hat versucht, sein Unternehmen frühzeitig auf neue Zeiten vorzubereiten. Das Ziel war der Börsengang. Dafür aber boten weder die Schifffahrtsbranche noch das Börsenumfeld den richtigen Rahmen. Die Linienreederei Hapag-Lloyd schaffte es im Herbst 2015 noch gerade so an die Börse, dann war das Zeitfenster zu. „Wir haben das nach wie vor im Auge“, sagt Bertram Rickmers.
Deutsche Handelsflotte schrumpft Erst einmal geht es für ihn wie für die gesamte Branche aber darum, lebend durch die Krise zu kommen. Mittelgroße Containerschiffe, die vor einigen Jahren noch eine Tagescharter von 25 000 Dollar eingebracht haben, sind jetzt für 4000 Dollar täglich zu haben. Rund 400 Schiffe unter deutschem Management haben aufgegeben, sie sind in die Insolvenz gegangen, wurden verkauft oder verschrottet. Die deutsche Handelsflotte ist um ein Viertel geschrumpft, meldet der Reederverband. „Es geht nur noch ums Überleben“, meinte der Hamburger Reeder Bernd Kortüm vor einiger Zeit im „Hamburger Abendblatt“.
Die Reeder haben hohe Millionenbeträge verloren, Verluste zum Teil aus ihrem Privatvermögen abgedeckt. Viele Anleger, die mit Schiffen Geld verdienen oder auch nur Steuern sparen wollten, haben einen Crash erlitten. Banken, in deren Büchern noch etliche Milliarden an Schiffskrediten stehen, müssen die Schiffswerte weiter abschreiben. Die Bremer Landesbank etwa konnte das nur überleben, indem sie vollständig unter das Dach der NordLB schlüpfte.
„Wir zahlen jetzt alle für unsere Fehler in der Vergangenheit – Reeder, Anleger und Banken“, sagt Bertram Rickmers, der einen dreistelligen Millionenbetrag in sein Unternehmen gesteckt hat. Für das neue Jahr hat er wenig Zuversicht: „2017 wird noch nicht besser, aber 2018 könnte der Umschwung kommen.“Spätestens 2020, wenn strengere Umweltregeln für Schiffe in Kraft treten, stehe eine Verschrottungswelle bevor. Bis dahin erwartet der Hamburger Reeder Fusionen, Übernahmen, Kooperationen und Pleiten in den Reihen der Reederschaft.