Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein Kinofilm voller Überraschungen
„Die Taschendiebin“ist eine großartige Adaption eines romantischen Thrillers durch den Koreaner Park Chan-wook
olange du lügst“heißt ein Bestseller der Britin Sarah Waters, die auf viktorianische Schauplätze spezialisiert ist. Hauptfigur ist eine gewiefte Trickdiebin, die als Kammerdienerin getarnt eine reiche Lady um ihr Erbe prellen soll. Der koreanische Regisseur Park Chan-wook hat diesen Roman jetzt verfilmt und in die 1930er-Jahre versetzt.
Es beginnt mit einer jungen Frau, die offensichtlich einsam und verunsichert in einer Limousine sitzt. Ein Chauffeur fährt sie durch einen nächtlichen Wald. Sie kommt in ein riesiges, überaus altmodisches Haus, mit einem englisch eingerichteten und einem in japanischer Mode gehaltenen Trakt, mit verwirrend vielen Zimmern und Gängen und labyrinthischem Grundriss, dazu ein Keller, in den niemand hinein darf. Auf den ersten Blick fühlt man sich in eine klassische Gothic Tale versetzt, eine Schauergeschichte der Schwarzen Romantik. Man spürt die viktorianische Atmosphäre der Romanvorlage. Aber die junge Frau ist eine Koreanerin namens Sooki, und das Auto, mit dem sie anreist, zeigt, dass wir uns in den 1930er-Jahren befinden. Das war die Zeit der japanischen Besetzung von Korea und der Mandschurei.
Mit diesem Gebäude legt Regisseur Park Chan-wook bereits von Anfang an die Struktur seines Films offen: In seinem intensiven Liebesthriller entfaltet er ein Spiel über die Macht der Maskerade und der Täuschung, voller unvorhersehbarer Wendungen.
Komplexe Liebesgeschichte Sooki (Kim Tae-ri) soll als Dienerin arbeiten. Als Allererstes erhält sie und damit auch das Kinopublikum von der Hausvorsteherin eine Führung durch das Gebäude. Zentral ist hier die kostbare Bibliothek des Onkels ihrer zukünftigen Herrin, eines berühmten Büchersammlers. Im Haus bekommt sie eine kleine fensterlose Kammer zugewiesen, direkt neben dem Schlafzimmer ihrer Herrin. Sie soll schließlich jederzeit zur Stelle sein. Diese Herrin namens Hideko (Kim Min-hee) ist eine unverheiratete Frau und reiche Erbin.
Kurz darauf wendet sich das Blatt: Sookis Erzählungen aus dem Off machen klar, dass die Dienerin eigentlich eine perfekt ausgebildete Taschendiebin ist, die alle ausgefeilten Tricks ihres Gewerbes kennt. Als Zuschauer wissen wir nun, dass es eine kriminelle Verschwörung gegen Lady Hideko gibt, die sie um ihr Erbe prellen soll. Doch bald bekommt die Story eine weitere radikale Wendung: Zwischen den beiden Frauen entstehen Gefühle, die weit über ihr Dienstverhältnis hinausgehen und alle anderen Pläne zweitrangig machen. Oder ist auch das alles ganz anders?
Es ist eine Geschichte der Vexierspiele und Perspektivwechsel, der Wendungen und Überraschungen. Wie die titelgebende Taschendiebin Sooki täuscht auch der Film ein ums andere Mal, bedient sich Finten und Umkehrungen. Überaus virtuos erzählt Regisseur Park Chan-wook, der einst mit dem Film „Old Boy“berühmt wurde, im Kern eine komplexe Liebesgeschichte, die er mit dem Sujet eines romantischen Thrillers verbindet. „Die Taschendiebin“ist ein Film voller Eleganz und Tempo, getrieben von schöner Musik und bemerkenswerter Inszenierungskunst. Zudem ist er eine koreanisch-japanische Liebesgeschichte, noch dazu unter Frauen, in Asien immer noch als solche ein Tabubruch.
Sinnliche Bilder Auch hier steht, wie meist in Parks Filmen, der Fetischismus im Zentrum – der des Zuschauers versteht sich. Denn alles hier ist prachtvoll ausgestattet und anzusehen: Die kostbaren Bücher der Bibliothek des Hauses, die Wandgemälde, Möbel und Tapeten, und selbst ein riesiger Octopus, der einmal in einem viel zu kleinen Aquarium im für die Story bedeutenden Keller des Onkels auftaucht. Hinzu kommen die nackten Frauen- und Männerleiber bei den gelegentlichen Sexszenen.
Park erfüllt insofern mit diesem Film alle Erwartungen an das Kino: „Die Taschendiebin“argumentiert in sinnlichen Bildern, nicht so sehr in der intellektuellen Analyse und psychologischen Triftigkeit, die die guten Filme europäischer und nordamerikanischer Regisseure oft im ästhetischen Würgegriff hält. Trotzdem ist dies auch ein kluges, facettenreiches Kinowerk.
Die Taschendiebin, Regie: Park Chan-wook, Südkorea 2016, 144 Minuten, FSK: o. A.