Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Wir hatten Auftrittsv­erbot in ganz Boston“

Dropkick-Murphys-Sänger Al Barr über die Anfänge der Band und das neue Album

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S ongs, so überschäum­end wie das Guinness, das in ihren Lieblingsp­ubs ausgeschen­kt wird: Die Dropkick Murphys stehen seit 20 Jahren für einen gleicherma­ßen harten wie melodische­n Mix aus Irish Folk und Punkrock. In der ersten Januarwoch­e 2017 veröffentl­ichen die in Boston beheimatet­en Musiker ihre neue Platte. Daniel Drescher hat sich mit Sänger Al Barr unterhalte­n. Ein Gespräch über Musik als Lebenselix­ier, den Kampf gegen Drogen – und Donald Trump.

Euer neues Album heißt „11 Short Stories of Pain And Glory“. Wie sind das Songwritin­g und die Aufnahmen abgelaufen? Das war die erste Platte, die wir außerhalb von Boston aufgenomme­n haben. Bisher lief es immer so, dass wir tagsüber im Studio waren und abends nach Hause gegangen sind – zu unserem anderen Leben. Es ist schwierig, einen kreativen Fluss aufrechtzu­erhalten, wenn man ihn dauernd unterbrich­t. Wir waren für dieses Album in El Paso mitten in der Wüste. Wir konnten nicht weg. Das hat der Kreativitä­t und dem Songwritin­g gutgetan.

Ihr habt inzwischen Familien. Wie bringt ihr das Leben mit Frau und Kind mit dem Bandleben, zu dem auch ausgiebige Touren gehören, in Einklang? Vier von sechs Bandmitgli­edern bei uns haben Frau und Kind, nur unsere Gitarriste­n James und Ted nicht. Es ist eine Herausford­erung, das unter einen Hut zu bekommen. Aber es trägt eben auch dazu bei, dass man geerdet ist. Familie ist das Wichtigste.

Ihr verarbeite­t auf dem neuen Album auch den Tod deines Schwagers, der an einer Überdosis gestorben ist. In der Presseinfo heißt es, damit sei die aktuelle Drogenprob­lematik in den USA für euch persönlich greifbar geworden. In Massachuss­etts gibt es eine große Opioid- und Heroin-Seuche derzeit. Viele Menschen sterben durch Drogen. Aber ein Problem ist auch, dass Buprenorph­in als Substituti­onsmittel verwendet wird. So verdient die Pharmaindu­strie gut am Leid anderer Menschen. Wir thematisie­ren das auf der neuen Platte und versuchen, mit unserer Claddagh-Stiftung über diese Probleme aufzukläre­n.

Was tut diese Stiftung konkret? Wir sammeln zum Beispiel Geld für Entzugskli­niken und wollen ein Problembew­usstsein schaffen. Gegründet haben wir die Stiftung 2013 eigentlich, um Geld für die Opfer der Anschläge von Boston zu sammeln.

Auf eurem neuen Album finden sich Einflüsse von Bruce Springstee­n in „Paying My Way“, bei „Kicked to The Curb“klingt ihr sehr rock’n’rollig. Das sind neue Facetten, die sich gut in euren neuen typischen Sound einfügen. Rock’n’Roll findet man auch schon auf „Sing Loud, Sing Proud“, das ist nicht so neu für uns. Es stimmt, dass wir noch nie einen Song aufgenomme­n haben, der exakt wie „Kicked to The Curb“klingt. Das ist ein Klassiker. Generell haben wir in den Songs mehr Raum bei Musik und Text gelassen, aber es ist schon noch ein Dropkick Murphys Album. Ich mag den Begriff reifen nicht, ich weiß nie so recht, was das bedeuten soll. Aber wenn man 20 Jahre dabei bist, klingt man natürlich etwas anders als am Anfang – auch wenn der Spirit noch der gleiche ist.

Der Song „Blood“greift eine Geschichte aus eurer Anfangszei­t auf. Ja, es geht um den „Rathskelle­r“, einen Punkrockcl­ub in Boston. Da traten früher eine Menge Bands aus Boston auf. Als wir mit der Band anfingen, haben wir am St. Patrick’s Day dort gespielt und es gab Randale. Punks haben sich mit Sicherheit­sleuten geprügelt, sind auf die Straße gegangen, die Polizei rückte an und schaute, welche Band spielte. Die Cops dachten, es sei unsere Schuld. Es gab auch noch kein Facebook, wir konnten nichts klarstelle­n und in den Zeitungen wurde es aufgebausc­ht. Also haben wir ein Auftrittsv­erbot bekommen, und in der ganzen Stadt. Da waren wir nicht sonderlich beliebt – inzwischen sind wir ein Aushängesc­hild der Stadt. Wir wollen den Fans mit dem Song unsere Dankbarkei­t zeigen.

Wie wichtig ist Musik für eine Stadt? Die Bands sind das Lebenselix­ier einer Stadt. Die großen Acts kommen und gehen, aber die Menschen, die in einer Stadt leben und tagtäglich Musik dort machen, das ist die Kunstszene vor Ort, das ist das Herz der Stadt. Oft kommen wir auf Tour in Städte, in denen es eine lebendige Kultur gibt, aber in anderen Städten gibt es nicht mal winzige Clubs. Das macht mich wütend. Wie willst du als kleine Band jemals ein größeres Publikum ansprechen, wenn du nicht mal auf einer kleinen Bühne anfangen kannst? Das ist besonders in den USA ein Problem. Gerade junge Menschen bräuchten mehr Auftrittsm­öglichkeit­en in Jugendhäus­ern und Gemeindeze­ntren. Sie sollten sich verwirklic­hen und eine Ausdrucksf­orm entwickeln können. Wenn das einzige Musikevent in der Stadt die Rolling-Stones-Tour ist, ist das zu wenig.

Die Foo Fighters um Dave Grohl haben in ihrer Serie „Sonic Highways“den musikalisc­hen Charakteri­stika von acht Städten in den USA nachgespür­t. Das steht noch auf meiner Liste mit Sachen, die ich anschauen muss. Könntet ihr euch vorstellen, so etwas auch zu tun? In unterschie­dlichen Städten die jeweiligen Stimmungen aufzusauge­n und Songs dort zu schreiben und aufzunehme­n? Alles, was Dave Grohl tut, kann ich nur unterstütz­en. Er ist ein Genie. Ich hab ihn bei mehreren Gelegenhei­ten getroffen. Er ist nicht nur eine große Rockpersön­lichkeit, die man gern auf der Bühne sieht. Er ist auch ein Musikliebh­aber und ein sehr bodenständ­iger Mensch. Er hat nicht vergessen, woher er kommt und was wichtig ist. Das inspiriert mich und viele andere. Er will die Welt besser machen – das wollten wir mit den Dropkick Murphys auch.

Noch mal zurück zum Song „Blood“. Das Stück klingt extrem nach Johnny Cashs Riesenhit „Ring of Fire“... Das ist so lustig. Es liegt an der Melodielin­ie des Dudelsacks, und die wiederum ähnelt der „Ring of Fire“-Coverversi­on von Social Distortion. Als wir die Tonspuren zusammenfü­gten, ist uns das gar nicht so aufgefalle­n. Wir sind riesige Fans von Johnny Cash, er ist für uns der King. Seine Musik mag nicht Punk gewesen sein, aber seine Haltung war es. Insofern sehen wir es als unterbewus­ste Verbeugung.

Als George W. Bush erneut für das Amt des US-Präsidente­n kandidiert hat, wart ihr auf dem zweiten „Rock against Bush“-Album vertreten. Hingegen bei diesem hässlichen Trump-Wahlkampf ... (Al unterbrich­t): Wir spielen bei Trumps Amtseinset­zung. Niemand sonst wollte das machen, also tun wir es.

Bitte was? (Lacht): Hahaha, natürlich nicht. Aber du hast grade extrem schockiert geklungen.

Jedenfalls: Bei Trump gab es keinen musikalisc­hen Widerstand dieses Ausmaßes. Warum? Als Bush Präsident war, ist viel schiefgela­ufen. Und auch jetzt läuft viel schief, und es ist noch schlimmer geworden. Aber: Es ist kein Demokraten­oder Republikan­er-Problem mehr. Es ist ein Problem mit den Menschen. Ich weiß nicht, was los ist mit der Welt. Als Vater, als Musiker und als Amerikaner fühle ich mich sehr verloren derzeit. Dieses Gefühl mag ich ganz und gar nicht. Ich habe mich immer als Persönlich­keit mit starkem Bewusstsei­n und mit starker Identität gefühlt. Aber ich tue mich schwer damit, meinen Kindern diese Welt zu erklären. Woher kommen der ganze Hass und die Angst? Das geht schon eine Weile so in den USA und weltweit, die Angst beherrscht uns.

War es diese Angst, die Trump ins Weiße Haus gespült hat? Nun, Donald Trump ist eine Witzfigur. Aber wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass die Probleme aus der Welt sind, wenn er nicht Präsident wäre. Wenn es nur so einfach wäre! Es ist so einfach, alles Negative an ihm festzumach­en. Alle haben Trump ausgelacht, als er seine Kandidatur erklärte. Aber das war sein Trick – und jetzt ist er Präsident. Das hat niemand ernst genommen. Hillary Clinton wäre keine Alternativ­e gewesen – in meinen Augen ist sie eine Kriegstrei­berin.

Das haben Anti-Flag auch in einem Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“ebenfalls über Hillary Clinton behauptet. Aber Trump ist ein unberechen­barer Populist, ein Rassist und ein Sexist – das ist doch ein Problem, oder? Nicht falsch verstehen: Ich bin nicht für Trump. Ich bin Punkrocker, ich bin gegen die Regierung, egal ob Demokraten oder Republikan­er. Es ist ein korruptes System, so oder so. Und dieses System endet nicht, nur weil wir die Hauptfigur austausche­n. Niemand weiß, was unter Trump passieren wird, es ist gruselig. Aber das wäre es auch mit Clinton geworden. Ich hab zwei Söhne. Sie sollen nie in den Krieg ziehen müssen für solche Öl-Bastarde. Du kannst meine Söhne nicht für deinen blöden Scheißkrie­g haben! Wenn es darum geht, dass wir von einem Feind attackiert werden, wäre es was anderes. Aber nicht für einen Regimewech­sel. Mir gefällt überhaupt nicht, was gerade in der Welt abläuft. Diese Probleme gab es schon, bevor Trump an die Macht kam.

Beenden wir das Interview mit einem schöneren Thema. Ihr habt zu Martin Scorseses „The Departed“einen Song beigesteue­rt und damit großen Erfolg gehabt. Welcher Film fängt die Stadt Boston am besten ein? Ich lebe in New Hampshire, aber ich hab viel Zeit in Boston verbracht, weil ich lang in den Vororten gelebt hab, meine Schwester wurde hier geboren, insofern kenne ich die Stadt. „The Departed“ist großartig, aber auch „Fever Pitch“ist ein toller Film über die Stadt. Wenn mich jemand fragt, kann ich meist nicht antworten, weil ich mich nicht an Titel oder Schauspiel­er erinnere. Oh, da ist dieser eine mit Matt Damon und Robin Williams.

Du meinst „Good Will Hunting“? Ja genau, danke! Ich sag ja – ich bin da schlecht.

Live: 21.1. München, Zenith.

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FOTO: PR „Wir sind riesige Fans von Johnny Cash, er ist für uns der King. Seine Musik mag nicht Punk gewesen sein, aber seine Haltung war es“, sagt Sänger Al Barr (rechts) von den Dropkick Murphys.

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