Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Innenansichten einer Mustergemeinde
Neujahrsempfang in Baienfurt – 2016 ist viel geplant worden, 2017 wird viel gebaut – Minister Lucha sprach
BAIENFURT - Die Baienfurter und ihre Gäste – sie mögen sich am Sonntag beim traditionellen Neujahrsempfang im Katholischen Gemeindehaus wieder ein wenig vorgekommen sein wie in der großen Politik in Stuttgart oder gar Berlin. Man (frau) defilierte am Bürgermeister und an seiner Gattin vorbei, sich gegenseitig Gesundheit, Erfolg, Glück wünschend. Und diesmal – es war der 27. Neujahrsempfang der 7289-Seelen-Gemeinde, die allein im vergangenen Jahr um rund 100 Einwohner gewachsen ist – sprach sogar ein Minister ein Grußwort. Manfred Lucha, Sozial- und Integrationsminister des Landes, lobte den guten Bürgersinn in Baienfurt.
Ja, man versteht es in Baienfurt, so ein Ereignis festlich zu zelebrieren. Zu Beginn traten die Sternsinger der Pfarrgemeinde Mariä Himmelfahrt in Aktion, in festlichem Ornat, singend und lobpreisend. Sie sammeln in diesem Jahr Spenden ein für Klimaschutz-Projekte in Kenia und anderswo in der Welt, was auch Bürgermeister Günter A. Binder in seiner fast 40 DIN-A-4-Seiten langen Rede lobend hervorhob. Binder zeichnete das Bild einer in vieler Hinsicht vorbildlichen, ja einer Mustergemeinde, die im vergangenen Jahr viel geplant hat und 2017 viel bauen will.
64 junge Baienfurter geboren Die Liste der namentlich begrüßten Gäste wollte kein Ende nehmen. Neben den vielen Einheimischen, unter ihnen der neue Kämmerer Robert Hoffmann und Binders Sekretärin Margit Schrimpf, die der Bürgermeister mit dem trefflichen Titel „absolute Allrounderin“versah, hieß Binder vor allem den neuen Landesminister Manfred Lucha (Grüne), den früheren Landesminister Rudolf Köberle und den Landtagsabgeordneten August Schuler (beide CDU) willkommen. Binder gedachte der Toten, so des Pfarrers Josef Mendel und der früheren Gemeinderätin Annemarie Thoma, und er erwähnte auch die älteste Mitbürgerin der Gemeinde, Klara Fischer, die bei guter Gesundheit ihren 102. Geburtstag gefeiert habe. 64 Baienfurter Babys erblickten 2016 das Licht der Welt, 46 Baienfurter starben.
Breiten Raum widmete der Schultes einem millionenschweren Projekt, das die Gemeindepolitik und die Finanzen über Jahre beherrschen wird: die Weiterentwicklung der Achtalschule zur Gemeinschaftsschule. Wer genau hinhörte, konnte erkennen, dass der Schultes die Gemeinde schon einmal auf Mehrkosten vorbereitete, die über die ursprünglichen Berechnungen der beiden Machbarkeitsstudien hinausgehen dürften. Gerade erlebe man im Bausektor ganz enorme Kostensteigerungen bei gleichzeitig geringer werdenden Zinserträgen der gemeindlichen Rücklagen. Auffallend war auch, dass der Bürgermeister nicht auf die finanzielle Lage der Gemeinde einging. Auch in Sachen neue Baugebiete blieb er im Vagen. Mit dem Neubau der Grundschule, der das alte Schulhaus ersetzen soll und der vorgezogen wird, will man schon in wenigen Monaten beginnen. Die Baukosten sind mit rund 3,15 Millionen Euro veranschlagt, etwa 700 000 Euro bezahlt das Land.
2016 praktizierte die Gemeinde erstmals die zentrale Vergabe für Kindergartenplätze. Der Kindergarten St. Josef wurde für beispielhaftes Bauen von der Architektenkammer ausgezeichnet, und im Baienfurter Westen, in der Niederbieger Straße, entstand der erste Kreisverkehr. Eine neue Planung für den Friedhof und die Aufnahme des Sanierungsgebiets Ortsmitte IV ins Landessanierungsprogramm sowie ein Gutachten in Sachen Hochwassergefahren waren 2016 weitere kommunale Schwerpunkte. Hier kündigte Binder Gespräche mit den Gemeinden Kißlegg, Wolfegg und Baindt an. Was das alte Sportheim Achperle betrifft, so steht ein Ersatzbau mit Doppelfunktion für Fußballverein und Tennisverein im Fokus.
Einmal mehr lobte der Schultes die ehrenamtliche Arbeit des Helferkreises für die Flüchtlinge mit Josef Wurm und Gisela Spitzmülller an der Spitze und das Engagement der Flüchtlingsbeauftragten Susanne Heinning. Für eine maßvolle Anschlussunterbringung, so Binder, schaffe man neuen Wohnraum in der Römerstraße 16. Das alte, gemeindeeigene Gebäude ist abgebrochen, der Neubau werde etwa 1,1 Millionen Euro kosten, davon bezahlt das Land 332 500 Euro.
Lucha ruft zum guten Umgang auf Der Industrie- und Gewerbepark auf dem ehemaligen Stora-Enso-Gelände ist 2016 eingeweiht worden. Knapp 20 Betriebe haben sich auf dem 24 Hektar großen Gelände angesiedelt, es stünden nur wenige Flächen zur Verfügung, sagte der Bürgermeister, man denke über neue Gewerbeflächen und neue Wohnflächen nach.
Manfred Lucha überbrachte Grüße der Landesregierung. Auffallend oft erwähnte er seine Zusammenarbeit mit dem Landtagsabgeordneten August Schuler. Lucha lobte den guten Bürgersinn in Baienfurt, nannte beispielhaft die Rettung des Hallenbads und die Flüchtlingshilfe. Besonders hob er hervor, dass der Baienfurter Gemeinderat Uwe Hertrampf die Nachfolge des unlängst verstorbenen Professor Markus als Vorsitzender des Denkstättenkomitees für die Opfer des Nazi-Regimes übernommen hat. Ohne die AfD namentlich zu nennen, kritisiere Lucha deren undemokratisches Auftreten im Landtag und mahnte die Politik: „Wir sollten im Bundestagswahlkampf schonender miteinander umgehen und unsere Worte sorgfältig wählen“.
Den wohl stärksten Beifall bei diesem Neujahrsempfang erntete die erst 16-jährige Felicitas Binder, eine der beiden Töchter des Ehepaares Binder, die mit zwei Stücken am Klavier begeisterte. Chapeau!