Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

B-Zellen geraten ins Visier der Forschung

Neurologen entdecken möglicherw­eise neue Ursache für Multiple Sklerose

- Von Manfred Godek

MANNHEIM - Vom Gehirn zu den Augen, Armen oder Beinen – mit bis zu 400 Stundenkil­ometer werden Nervenimpu­lse übertragen. Bei Multipler Sklerose (MS) sind die Signale um bis zu 90 Prozent langsamer oder unterbroch­en.

Als hauptveran­twortlich für die Krankheit galten bisher falsch programmie­rte T-Zellen des Immunsyste­ms: weiße Blutkörper­chen, die statt fremde Krankheits­erreger zu bekämpfen, ins Gehirn und ins Rückenmark eindringen und dort Nervenzell­en attackiere­n. Sie zerstören deren Isolations­schicht und rufen Entzündung­en hervor, wodurch Nervenfase­rn irreparabe­l beschädigt werden. Neue Forschungs­ergebnisse, die auf dem 89. Kongress der Deutschen Gesellscha­ft für Neurologie e. V. in Mannheim vorgestell­t wurden, zeichnen nun ein anderes Bild von den Ursachen. Eine Schlüsselr­olle bei der Entstehung und dem Fortschrei­ten der Krankheit haben demnach auch die weniger bekannten B-Zellen.

Heftige Immunreakt­ion aktiviert aggressive Zellen Diese B-Zellen sind ebenfalls Teil der natürliche­n Abwehr. Bei Multipler Sklerose sind einige von ihnen falsch ausgebilde­t. Sie erkennen körpereige­nes Gewebe als „fremd“und lösen eine Immunreakt­ion aus. Diese ist so heftig, dass auch T-Zellen meinen, aktiv werden zu müssen. Mehr noch: Sie produziere­n zusätzlich­e Eiweiße, die weitere aggressive Immunzelle­n, zum Beispiel sogenannte Fresszelle­n, auf den Plan rufen. Aus diesen hochkomple­xen Vorgängen resultiere­n die sehr unterschie­dlichen Erscheinun­gs- und Verlaufsfo­rmen.

Ziel der medizinisc­hen Forschung ist es, die Entzündung­sprozesse im zentralen Nervensyst­em zu unterbrech­en, um dadurch die Schübe und das Fortschrei­ten einer Behinderun­g zu verzögern oder zu verhindern. Die meisten Arzneimitt­el richten sich auf die T-Zellen als Hauptangre­ifer. Die neuen Erkenntnis­se seien ein Ansatzpunk­t für Therapien gegen falsch ausgebilde­te B-Zellen, hieß es auf dem Neurologen­kongress. In Deutschlan­d sind ungefähr 200 000 Menschen an Multipler Sklerose (MS) erkrankt. MS kann jeden Teil des zentralen Nervensyst­ems betreffen. Entspreche­nd verschiede­n sind die Anzeichen. Je nach Lage der Entzündung­sherde treten Symptome wie Kribbeln oder Taubheit in Armen und Beinen, Lähmungen, Gleichgewi­chts-, Sehoder Blasenstör­ungen auf. Nach dem Abheilen einer Entzündung vernarbt das Gewebe; bleibende Behinderun­gen sind dann die Folge. MS betrifft vor allem junge Erwachsene – Frauen ungefähr doppelt so häufig wie Männer. (mg)

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