Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Neu-Ulm diskutiert über den „Nuxit
In der Stadt gibt es Überlegungen, den eigenen Landkreis zu verlassen – Verwaltung prüft mögliche Konsequenzen eines solchen Schrittes
NEU-ULM - Ärger ohne Ende über Millionen-Defizite bei den Krankenhäusern, endlose Diskussionen im Kreistag, aber angesichts wirtschaftlicher Stärke der Stadt Neu-Ulm und steigender Einwohnerzahlen ein wachsendes Selbstbewusstsein: Seit einiger Zeit schwillt den Neu-Ulmer Kommunalpolitikern der Kamm. Irgendwann im Herbst sprach einer von ihnen den Gedanken aus, den bis dato niemand auszusprechen gewagt hatte: „Neu-Ulm verlässt den Landkreis, es geht auch ohne die aufmüpfigen kleinen, aber teuren Nachbarn, wir werden wieder selbstständig.“
Die Idee des „Nuxit“– inspiriert durch den „Brexit“und „NU“steht für Neu-Ulm – war geboren. Doch hinter den Kulissen wird ernsthaft überlegt, wie der „Geist wieder in die Flasche zu bekommen ist“. Denn es geht nicht um noch mehr Grenzen im Großraum Ulm/Neu-Ulm, sondern um mehr Miteinander zwischen Ehingen und Günzburg auf der WestOst-Achse sowie Illertissen und Gerstetten auf der Süd-Nord-Achse.
Zu den Fakten: Neu-Ulm ist die größte Stadt Bayerns, die noch einem Landkreis angegliedert ist. Bis 1972 war die schwäbische Stadt Neu-Ulm kreisfrei, dann verlor die Kommune die Selbstständigkeit und wurde in den gleichnamigen Landkreis eingegliedert. Seit 1972 ist die Einwohnerzahl von Neu-Ulm stark gestiegen, um fast die Hälfte. Heute hat die bayerische Stadt etwa 60 000 Einwohner und bildet zusammen mit der angrenzenden und doppelt so großen Schwesterstadt Ulm in Baden-Württemberg ein bedeutendes wirtschaftliches Zentrum.
Rein formal erfüllt Neu-Ulm die Voraussetzungen dafür, wieder kreisfrei zu werden. Nach der Bayerischen Gemeindeordnung muss eine Stadt dafür mindestens 50 000 Einwohner haben. Dann könnte die Staatsregierung mit Zustimmung des Landtags und bei Anhörung des Kreistages die Gemeinde für kreisfrei erklären. Auch durch die Krise der Krankenhäuser des Kreises wurden entsprechende Überlegungen nun befeuert: Auf 13 Millionen Euro beläuft sich das Defizit. Dies könne bedeuten, dass die von der Stadt zu zahlende Kreisumlage um mehrere Millionen Euro steigen werde, kritisierte die Neu-Ulmer CSU-Stadtratsfraktion und fordert, dass die Umlage „kein Selbstbedienungsladen für den Landkreis“sein dürfe.
Hier argumentieren die Christsozialen mit Halbwahrheiten, machen Stimmung mit falschen Zahlen: „Fakt ist, dass in den letzten Jahren mehr Geld vom Landkreis nach Neu-Ulm geflossen ist als andersherum“, sagt der Neu-Ulmer Landrat Thorsten Freudenberger (CSU). Die Stadt profitiere auch von den etablierten Verwaltungsstrukturen und müsse sich sonst künftig selbst um Schulen und Sozialkosten kümmern. Mit der größten Stadt würde rund ein Drittel der Kreisbevölkerung wegbrechen. Landrat Freudenberger sieht die Überlegungen in der Kreisstadt dennoch „sehr nüchtern“, wie er sagt. Der Landkreis wäre auch ohne die Stadt Neu-Ulm eine für bayerische Verhältnisse normal große kommunale Einheit. Allerdings macht Freudenberger klar, dass er einen Austritt Neu-Ulms bedauern würde: „Man hat gemeinsam eine Erfolgsgeschichte von 44 Jahren.“
Gemeinsamkeiten statt Grenzen Im Ulmer Rathaus gibt man sich offiziell bedeckt, verweist auf die politischen Entscheidungen, die auf der anderen Donauseite zu fällen seien. Doch blicken die schwäbischen Nachbarn mit Verwunderung auf die Kirchturmpolitik der „Nuxit“-Anhänger. Es brauche in allen Fragen des täglichen Lebens – angefangen von einem gemeinsamen Krankenhaus-Bedarfsplan über die geplante Regio-S-Bahn, Wirtschaftsförderung bis hin zur Polizeiarbeit – mehr Gemeinsamkeit und nicht mehr Grenzen. Die Landesgrenze zwischen Bayern und Baden-Württemberg sei schon hinderlich genug. Doch die CSU lässt nicht locker. Schon vor Bekanntwerden des Krankenhaus-Desasters hatte die Partei zur Kreisfreiheit erklärt, man solle sich mit dem „wichtigen Thema und seinen möglichen Konsequenzen intensiv auseinandersetzen“. „Es bietet sich die gute Chance, Verwaltungsstrukturen schlanker, effizienter, effektiver und insgesamt bürgernäher zu organisieren“, meint Fraktionschef Johannes Stingl. Was an Doppelstrukturen günstiger sein soll, lässt er offen. Auch die SPD als zweitgrößte Fraktion möchte über einen möglichen Kreisaustritt diskutieren.
Alle Details zu einem möglichen Austritt würden nun von der Verwaltung zusammengetragen, dann werde das Ergebnis dem Stadtrat vorgelegt, sagt die Stadtsprecherin. „Das wird eine ganze Zeit in Anspruch nehmen.“Im Jahr 2017 solle die Prüfung aber abgeschlossen sein.