Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Präzisionsschuss oder Ablenkungsmanöver
Zustimmung aus der Union, Kritik aus den Ländern für de Maizières Sicherheitspläne
BERLIN - Viel Lob aus den eigenen Reihen, aber auch viel Kritik erntet Innenminister Thomas de Maizière für seine Vorschläge, die innere Sicherheit zu stärken. Dazu will der Bundesinnenminister mehr Macht für den Bund. Er möchte das BKA aufrüsten und die Landesämter für Verfassungsschutz schließen.
Am frühen Dienstagmorgen bekommt de Maizière höchstes Lob vom CDU-Innenexperten Armin Schuster. Das neue Konzept sei „fast ein Präzisionsschuss“, schwärmt der frühere Polizeidirektor der Bundespolizei im „Morgenmagazin“, es gebe viele gute Gründe, sich dem zu nähern. „Denn der Staat muss wehrhaft bleiben“, sagt Schuster. Auch Unions-Fraktionsvize Stephan Harbarth begrüßt de Maizières Vorstoß: „Wir brauchen eine tabufreie Diskussion, welche gesetzlichen Änderungen nötig sind und wie man sich im föderalen Staat auf die veränderte Bedrohungslage einstellt“.
Spätestens seit dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt läuft die Sicherheitsdebatte auf Hochtouren. Der Bundesinnenminister verbreitete seine Vorschläge einen Tag vor der in Seeon beginnenden Klausur der CSU, die traditionell die CDU in Sachen Sicherheit vor sich hertreibt. War der Zeitpunkt bewusst gewählt? „Ich sehe darin nicht den Versuch, der CSU mediale Aufmerksamkeit zu nehmen. Es geht darum, die grundsätzliche Debatte über die längeren Linien der Politik in der ruhigen Zeit nach Weihnachten und Neujahr zu eröffnen“, sagt Harbarth.
Gabriel schimpft Mehr Videoüberwachung, längere Abschiebehaft, schnellere Rückführung - all diese Forderungen kommen nicht nur aus den Reihen der Union, sondern auch von den Sozialdemokraten. SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte vor zwei Tagen bereits mehr Videoüberwachung gefordert. Doch angesichts der neuen Pläne de Maizières zeigt er sich jetzt skeptisch. „Woher nimmt de Maizière die Tausenden Mitarbeiter, die er dafür braucht?“fragt Gabriel am Dienstag. Bei einem schnell angesetzten Statement auf dem Marktplatz seiner Heimatstadt Goslar wirft der SPD-Chef außerdem der Union vor, sie habe erst den Staat „kaputtgespart“und rufe jetzt nach mehr Staat: „Die Union muss aufpassen, was sie will. Sie fordert Steuersenkungen und gleichzeitig mehr Polizei und mehr Lehrer.“Außerdem weist Gabriel darauf hin, dass die bisherigen Attentäter sich alle in Deutschland radikalisiert hätten. „Was tun wir dagegen?“Man könne nicht nur durch das Ausländerrecht den Terrorismus begrenzen, so Gabriel, sondern müsse das auch kulturell tun. Auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann geht zu Gesetzesverschärfungen auf Distanz: „Ich wünsche mir weniger kernige Sprüche und mehr ernsthafte Gedanken.“Für den Grünen Christian Ströbele ist de Maizières Forderungskatalog ohnehin nur ein Ablenkungsmanöver. „Ich habe den Eindruck, dass der Bundesinnenminister von seinem Versagen im Fall Amri abzulenken versucht“, so Ströbele. Es gehe jetzt darum , den Fall Amri aufzuklären. „Wie kann es geschehen, dass wir ein neu eingerichtetes Terrorismus-Abwehrzentrum haben, das aber im Fall Amri zum Ergebnis kam, dass es nichts zu befürchten gibt?" fragt Ströbele.
Stephan Harbarth (CDU) weist diese grünen Vorwürfe zurück. „Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Das permanente Nörgeln der Grünen an den Sicherheitsbehörden ist doch ein Ablenkungsmanöver davon, dass die Grünen alle vernünftigen Maßnahmen zur Verbesserung der inneren Sicherheit in dieser Legislaturperiode abgelehnt haben."
Doch nicht nur von den Grünen, auch den Ländern kommt Kritik. Während die meisten die Hoheit über Abschiebungen gerne dem Bund überlassen würden, halten sie nichts von der drohenden Entmachtung beim Verfassungsschutz. „Abwegig“ sei der Gedanke, dass die Bundespolizei zusätzliche Aufgaben übernehmen solle, zu einem Zeitpunkt, wo sie nach eigenem Bekunden nicht genug Leute habe, die Grenzen zu kontrollieren, findet Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU).
Hessens Innenminister Peter Beuth bezeichnet es als „Unsinn“, die Strukturen zu zerschlagen. „Schnellschüsse dieser Art untergraben nicht nur das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat, sie stellen die gesamte föderale Sicherheitsarchitektur infrage“, sagte der CDU-Politiker. De Maizière verteidigte sein Konzept im „heute-journal“: „Die Abstimmungen sind nicht gut genug angesichts internationaler Bedrohungen“. Nötig seien „die Sachkenntnis vor Ort, in den Ländern, aber auch mehr Steuerung durch einen starken Staat“.